Estland gilt als Vorreiter in Sachen Technologie. Nun erweitert das mitteleuropäische Land sein digitales Angebot an alle Menschen ausserhalb der Landesgrenzen: Die frühere Sowjet-Republik führt als erstes Land der Welt bis Jahresende eine virtuelle Identität ein. Das teilte das Ministerium für Wirtschaft und Information nun mit.
Mit der digitalen estnischen ID sollen Menschen aus jedem Teil der Welt innerhalb von einer Stunde eine Firma gründen, binnen Minuten Dokumente unterzeichnen und unmittelbar Banküberweisungen tätigen können. So soll das eigene, in Estland registrierte Unternehmen von überall rund um den Globus zu jeder Zeit aktiv und sicher geführt werden können. Estland selbst erwartet, dass bis 2025 rund 10 Millionen Menschen dazu entscheiden, E-Esten zu werden.
«Erosion der Hegemonie des klassischen Nationalstaats»
Jeder digitale Bürger sei jedoch selbst für alle illegalen Aktivitäten verantwortlich, versichern die estnischen Behörden. Um Betrug auszuschliessen, müssen Interessierte der estnischen E-Bürgerschaft sowohl Fingerabdrücke als auch biometrische Daten hinterlassen. Der estnische Staat werde Ausländern eine starke digitale Identität zur Verfügung stellen, sagte Wirtschafts- und Informationsminister Taavi Kotka.
«Das ist der Beginn der Erosion der Hegemonie des klassischen Nationalstaats», sagte John Clippinger, Forscher am renommierten Massachusetts Institute of Technology, laut «New Scientist». Die Webseite zitiert zudem einen ukrainischen Unternehmer: «Es ist sehr kompliziert, ein Geschäft aus der Ukraine zu führen.» So seien etwa Zahlungen mit Paypal nicht möglich.
Estland macht der Schweiz Tech-Konkurrenz
Estland ist in Sachen Technologie ein ernstzunehmender Wettbewerber der Schweiz. Computerexperten entwickelten dort den Code von Skype und Kazaa. 2007 wurde es das erste Land der Welt, in dem Online-Wahlen durchgeführt wurden. Laut «Economist» erwirtschaftet die High-Tech-Industrie in der ehemaligen Sowjet-Republik inzwischen rund 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Schon im Jahr 2000 erklärte die Regierung in Tallinn Internetzugang zum Menschenrecht, da waren bereits alle Schulen online. Heute gilt kostenloses WiFi als Allgemeinplatz. Inzwischen gehört die Breitbandverbindung in Estland mit zu den schnellsten der Welt – zwar hinter der Schweiz, aber noch vor hochentwickelten Ländern wie den USA, Deutschland, Frankreich oder Grossbritannien.