Herr Leupold, wie verschlägt es einen Schweizer Strommanager nach Dänemark?

Samuel Leupold*: Ein Headhunter von Egon Zehnder rief mich an, der dänische Stromkonzern Dong suche einen Chef fürs Geschäft mit den Windturbinen auf dem offenen Meer. Das war vor etwas mehr als drei Jahren. Das Jobangebot hat mich damals nicht wirklich interessiert.

Sie waren im Rennen um den Chefposten beim Stromkonzern BKW.

Genau. Doch der Headhunter liess nicht locker. In der Zwischenzeit wurde klar, dass der BKW-Verwaltungsrat mich nicht als Chef wollte.

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Waren Sie enttäuscht?

Mein Ziel war es sicher, längerfristig bei der BKW zu bleiben. Auch privat richteten wir uns darauf ein. Wir hatten kurz zuvor ein Haus in der Berner Agglomeration gekauft.

Dennoch zogen Sie in Bern den Stecker und heuerten in Dänemark an. Warum?

Zunächst war ich sehr skeptisch. Meine Frau und ich haben zwei kleine Kinder. Da überlegt man sich einen solchen Schritt ins Ausland doppelt und dreifach. Zumal ich als Schweizer Binnenländer vom Offshore-Windgeschäft keine Ahnung hatte. Das sagte ich Dong-Chef Henrik Poulsen im Anstellungsgespräch. Doch Poulsen suchte keinen Offshore-Spezialisten, sondern jemand mit industriellem Know-how, der Strukturen schafft, die Projektrisiken in den Griff bekommt und die Kosten für Offshore-Windenergie senkt.

Seit drei Jahren leiten Sie die Windsparte von Dong. Sind Sie angekommen?

Im Job bestimmt. Als ich vor drei Jahren anfing, war die Offshore-Windsparte mit rund 2000 Angestellten in einer schwierigen Lage. Ich traf auf Startup-Strukturen, die milliardenschwere Bauprojekte zu stemmen hatten. Inzwischen haben wir den Turnaround geschafft. Das Geschäft mit dem Offshore-Wind hat sich von der kleinsten zur grössten und profitabelsten Dong-Division entwickelt.

Und privat?

Wir bemühen uns, Land und Leute zu verstehen und nicht in die Expat-Falle zu tappen. Dong hätte unseren Kindern beispielsweise die internationale Schule bezahlt, aber wir entschieden uns dagegen. Mittlerweile reden meine Frau und die Kinder fliessend Dänisch. Auch ich spreche die Landessprache leidlich. Es gefällt uns hier, aber für immer möchte ich nicht in Dänemark bleiben.

Warum?

Weil wir unsere Wurzeln in der Schweiz haben. Zudem gibt es spürbare Mentalitätsunterschiede. Die Dänen sind stark nach innen orientiert und sehr pragmatisch eingestellt. Dieser Pragmatismus kippt zuweilen ins Prinzipienlose und Opportunistische. Auch ist der Alltag hektisch und die Leute sind oft gestresst. Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen, ist in Dänemark sicher nicht einfacher als in der Schweiz. Teilzeitstellen sind Mangelware. Beide Eltern arbeiten in der Regel zu 100 Prozent.

In der Schweiz wird Dänemark stets als Modellstaat für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie herangezogen.

Natürlich kümmert sich der Staat um die Kinder, weil beide Elternteile arbeiten. Bloss ist die Betreuungssituation in der Schule eine andere, als man sich dies in der Schweiz vorstellt. Nach dem Unterricht werden die Kinder sich selbst überlassen und hängen dann im Schulhaus herum. Es gibt keine organisierten Aktivitäten wie Musik, Werken oder Sport.

Obwohl Dänemark das Image geniesst, eine bessere Schweiz zu sein.

Die Dänen tragen ihren Hurrapatriotismus lautstark nach aussen. Dong beispielsweise behauptet in der Firmenstory, Dänemark sei das energieeffizienteste Land der Erde. Doch in den offiziellen Statistiken liegen selbst die Italiener noch vor den Dänen. Sie sind extrem stolz auf ihr Land, was zuweilen in einen ungesunden Nationalismus abdriften kann. Die Gesellschaft hat etwas Hermetisches. So war ich bis vor kurzem der einzige Ausländer in der Dong-Konzernleitung.

Was lernen Sie von Ihren dänischenKollegen?

Den Mut zum Risiko. Die Dänen sind Seefahrer. Sie gehen hinaus in die Welt und suchen das Abenteuer. Sie sind harte Verhandlungspartner und stets auf der Jagd nach Opportunitäten. In der Schweiz hätte kein Verwaltungsrat so früh Milliarden in Offshore-Wind investiert.

Sie haben für die halbstaatliche BKW gearbeitet. Auch Dong gehört mehrheitlich der öffentlichen Hand. Wie arbeiten Sie mit dem Staatseigner zusammen?

Der dänische Staat verfolgt eine rein betriebswirtschaftliche Agenda. Er nimmt keinen Einfluss auf die Unternehmensführung. Dong ist bezeichnenderweise nicht dem Energie-, sondern dem Finanzministerium unterstellt. Bei uns sitzen keine aktiven Politiker oder Beamten im Verwaltungsrat, sondern Mitglieder mit Industrieerfahrung. Zudem steht uns mit Goldman Sachs ein Minderheitsaktionär zur Seite, der rein ergebnisorientiert ist.

Was bedeutet diese strikte Trennung für Ihren Geschäftsalltag?

Alles ist einfacher, da sich die unternehmerische Vernunft durchsetzt. Was profitabel ist, wird gemacht. In meiner Zeit als BKW-Geschäftsleitungsmitglied wusste ich nie, was wirklich gilt. Ist der Konzern ein Vollstreckungsinstrument, um die Energiepolitik der Berner Regierung durchzusetzen? Ist die BKW ein dividendengetriebenes Finanzinvestment für die öffentliche Hand? Oder muss die Firma möglichst viele Arbeitsplätze im Kanton halten? Solche Ziel- und Rollenkonflikte waren allgegenwärtig.

Was sind die Konsequenzen?

Für die Schweizer Stromkonzerne und ihre Eigner steht bei wichtigen Entscheiden oft nicht die ökonomische Logik im Vordergrund. Gepaart mit mangelnder Sachkompetenz gewisser Aufsichtsgremien ist dies eine toxische Mischung.

Können Sie ein Beispiel geben?

Ich denke da beispielsweise an Investitionen von Schweizer Versorgern in Technologiefirmen, welche dann Pleite machten. Oder an Investitionen in neue Kraftwerke, zum Teil in Prototypen. Und dies trotz ungenügender Wirtschaftlichkeitsrechnung.

Ist eine Rückkehr in die Schweizer Stromwirtschaft für Sie überhaupt denkbar?

Ich glaube nicht, dass ich für dieses Umfeld besonders geeignet bin. Weite Teile der Schweizer Stromindustrie arbeiten nicht nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten, sondern sind politisch gesteuert. Sie orientieren sich weniger an Fakten als an Schlagworten wie «Energiewende», «Stromlücke» oder an Glaubenssätzen wie «Für die Energiewende sind mehr Pumpspeicher nötig».

Apropos Pumpspeicher: Der Bund soll künftig bestehende Wasserkraftwerke subventionieren. Was halten Sie davon?

Diejenigen, die heute am lautesten nach Subventionen schreien, haben die jetzige Schieflage ihrer Unternehmen selber mitverursacht. So wurden beispielsweise milliardenteure Pumpspeicher realisiert, obwohl es bereits zu Baubeginn keinen tragfähigen Business Case gab. Unsere Sensitivitätsanalyse bei der BKW zeigte damals klar auf, dass neue Pumpspeicher neben zu hohen Strompreisrisiken auch hohe Währungsrisiken in sich bergen. Entsprechend hat sich die BKW vorsichtiger verhalten.

Schuld an der jetzigen Misere sollen in erster Linie die hochsubventionierten erneuerbaren Energien sein. Stimmt das?

Die Marktverzerrungen durch Subventionen sind Teil des Problems. Ein Teil der heutigen Marktsituation ist jedoch durch Überinvestition in konventionelle, nicht-subventionierte Kraftwerke entstanden. Zudem ging die Wette auf den Euro-Franken-Kurs verloren. Aber das ist halt Teil der Realität in dieser Branche. Die Probleme der Wasserkraft wurden durch unternehmerische Fehlentscheide verursacht. Diese werden jetzt einfach auf die Steuerzahler oder die Stromkonsumenten abgewälzt. Damit erzieht Bundesbern die Unternehmen dazu, nicht die Verantwortung zu tragen, sondern bei Fehlentscheiden auf Staatshilfe zu hoffen.

Wie könnte man diesen ordnungspolitischen Sündenfall abwenden?

Der Staat müsste hart bleiben. Im Gegensatz zu UBS und Co. droht in der Stromwirtschaft kein «Bank Run». Der schlimmste Fall wäre der Konkurs einzelner Unternehmen. Die Infrastruktur bleibt selbst in diesem Fall erhalten. Ein Sachwalter würde die Geschäfte übernehmen und neue Investoren suchen, welche die Anlagen zu einem Preis erwerben könnten, der ihnen eine akzeptable Rendite ermöglicht.

Ist ein solches Szenario denkbar?

Mit den heutigen Eigentümerstrukturen wohl nicht. Man bittet vermutlich vorher die Endkonsumenten oder die Steuerzahler der Eigentümerkantone zur Kasse, als die Governance-Probleme an der Wurzel zu packen und die Stromwirtschaft konsequent zu privatisieren.

Gefährdet eine solche Deregulierung nicht die Versorgungssicherheit?

Wieso sollte die Eigentümerstruktur eines Stromversorgers die Versorgungssicherheit beeinflussen? Die Kraftwerke und Leitungen stehen ja in der Schweiz. Das ist ein Scheinargument. Die Stromautarkie ist zudem heute schon eine Illusion. Wir sind von ausländischen Produzenten abhängig und wir werden mit dem Atomausstieg diesen Importanteil noch deutlich erhöhen müssen. Bei Brennstoffen oder Nahrungsmitteln ist die Versorgungssituation aber dieselbe. Im Kriegsfall mit unseren Nachbarn würden wir wohl eher verhungern, als dass kein Strom mehr aus der Steckdose fliesst.

Mittlerweile investieren die Schweizer Stromkonzerne Millionen in Service und Dienstleistungen. Geht die Strategie auf?

Ein Stromkonzern kann auch eine Gummistiefelfabrik kaufen, die schöne Renditen abwirft. Service und Dienstleistungen dienen einzig der Diversifizierung, was renditeorientierte Aktionäre eigentlich nicht schätzen. Die Probleme im Kerngeschäft sind damit nicht gelöst. Ich bin der festen Überzeugung, dass die DNA dieser Unternehmen nach wie vor im Infrastruktur- und Kraftwerksgeschäft liegt. Dieses gilt es profitabel zu machen.

Im Gegensatz zu den Schweizer Stromkonzernen wirtschaftet Dong erfolgreich im Kerngeschäft. Warum?

Dong investierte sehr früh ins Offshore-Geschäft. Ehrlicherweise muss man sagen, dass vor 2008 niemand ahnte, dass Wind dereinst die Wachstumsplattform werden würde. Auch bei Dong wurden noch bis vor wenigen Jahren massive Investitionen in Gas und Kohle getätigt. Wir haben die gleichen Fehler gemacht wie viele andere in der Branche.

Wo liegt der Unterschied?

Dong hat viel konsequenter reagiert, um diese Fehler zu korrigieren. Konkret: Abschreiben, rekapitalisieren und kein Geld mehr in Verlustgeschäfte stecken, sondern konsequent auf Wachstumsplattformen setzen, und zwar im internationalen Massstab. So findet der grösste Teil der Investitionen in den Windstrom nicht in Dänemark statt, sondern beispielsweise vor der Küste Grossbritanniens.

Ihre Windparks stehen auf dem offenen Meer.

Wir bauen Anlagen mit der Leistung eines AKW Gösgen oder Leibstadt rund 100 Kilometer von der Küste entfernt. Das ist eine sehr unwirtliche Umgebung mit hohen Wellen und grossen Windgeschwindigkeiten. Insbesondere die Bauphase ist heikel. Die Installationsschiffe kosten bis zu eine halbe Million Euro Miete pro Tag. Können die Schiffe wetterbedingt nicht installieren, wird es rasch sehr teuer.

Wie geht Dong mit den Projektrisiken um?

Indem wir mit 2000 Leuten sehr breit aufgestellt sind. Wir erbringen fast die gesamte Wertschöpfungskette für Offshore-Wind bei Dong intern. Dadurch haben wir eine enorme Expertise in allen Projektphasen. Beispielsweise entwickeln wir unsere Fundamente selbst, wodurch diese bei gleicher Wassertiefe bis zu 30 Prozent leichter sind als jene der Konkurrenz.

Mit Axpo hat sich auch ein Schweizer Konzern aufs offene Meer gewagt. Ergibt Offshore-Wind für einen hiesigen Versorger überhaupt Sinn?

Ich bin eher skeptisch, wenn ein Energieunternehmen einmalig in einen Kraftwerkstyp investiert. Es fehlt die Frequenz, um sich das nötige Know-how aufzubauen. Im Kraftwerksbau ist diese technische Kompetenz aber zwingend, um die Risiken beurteilen zu können. Sich bloss auf die Vorlieferanten zu verlassen, reicht nicht. Es besteht die Gefahr, dass der Stromversorger zum blossen, vielleicht sogar schlecht informierten Finanzinvestor wird ...

... der dem Staat auf der Tasche liegt. Ohne Subventionen würde sich doch kein Offshore-Projekt rechnen.

Dass wir als Industrie immer noch am Tropf der Subventionen hängen, ärgert mich. Meine Hauptaufgabe ist es deshalb, zusammen mit meiner Mannschaft die Kosten der Windparks massiv zu senken. Und das ist uns bereits in erstaunlichem Umfang gelungen. Allerspätestens 2025 wollen wir pro Megawattstunde nicht teurer sein als ein Gaskombikraftwerk, das in vielen Ländern noch immer die Kosten-Benchmark stellt.

Welche Stellhebel haben Sie beim Wind?

Indem wir Turbinen mit mehr Leistung und grösseren Rotordurchmessern einsetzen, erzielen wir mehr Ertrag mit weniger Turbinen. Auch die Überspezifizierung gegenüber den Vorlieferanten ist ein Thema, das wir konsequent angehen. Und schliesslich gilt es Produktivitätsgewinne bei Installation und Betrieb einzufahren. Das ist harte Knochenarbeit. Aber in der Summe der einzelnen Teile ergeben sich beachtliche Effizienzgewinne.

Dong ist bereits Offshore-Marktführer mit einem Anteil von 25 Prozent. Nun wollen Sie die USA erobern.

Wir haben eine Lizenz für ein Stück Seegrund an der Ostküste erworben. Aber ich bin vorsichtig, was unsere Überseeaktivitäten anbelangt. Die Expansion braucht Zeit, denn jeder neue Markt hat seine Tücken. Die USA sind hoch protektionistisch. Installationsschiffe für Offshore-Anlagen dürfen beispielsweise nicht in die Staaten eingeführt werden. Eigene «Jack-up Vessels» haben die Amerikaner aber auch nicht. Also müssen wir uns nun in der Ölindustrie nach Alternativen umsehen. Sie sehen, wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns.

Dong geht in diesem Jahr an die Börse. Analysten bezeichnen Ihre Sparte als «goldenes Ei». Was erhoffen Sie sich vom Börsengang?

Für mich bedeutet der Börsengang zusätzliche Arbeit. Meine Rolle als Manager wird sich vermehrt von der Innen- an die Aussenfront verschieben. Wir haben gezeigt, dass wir profitabel wachsen und unsere Risiken im Griff haben. Nun steht die Roadshow bei potenziellen Investoren an. Die Finanzwelt zeigt zwar grosses Interesse am Offshore-Geschäft. Aber der Erklärungsbedarf ist nach wie vor hoch.

* Der Schweizer Samuel Leupold ist Chef der Windsparte des dänischen Energiekonzerns Dong Energy.