Es war ein besonderer Auftritt, den sich Andrea Orcel Anfang Mai gönnte. Der Ex-UBS-Investment-Banking-Chef, eigentlich extrem pressescheu, traf sich mit einem Journalisten der «Financial Times» für die Rubrik «Lunch with the FT», für die das Londoner Finanzblatt in der Wochenendausgabe stets eine ganze Seite freiräumt. Orcel sprach über seinen neuen Hund («ein Husky, 18 Monate alt, er heisst Flash»), über seine achtjährige Tochter («habe ihr das Fahrradfahren beigebracht») und die neue Zweisamkeit mit seiner Frau («die Krise hat uns enger zusammengeschweisst»). Doch die Hauptbotschaft war alles andere als versöhnlich: «Ich werde nicht aufgeben.»

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Es war die Ouvertüre für einen weiteren Akt im Drama um den letzten Starbanker der Londoner City: Der 56-jährige Mann aus Rom reicht gegen die Banco Santander Klage wegen Vertragsbruch ein, und Details der Klage sollen offenbar im Juni bekannt werden. Orcel äussert sich dazu nicht, doch klar ist: Die grösste Schlammschlacht des europäischen Banking steht unmittelbar bevor.

Orcel rechnet sich gute Chancen aus

Vordergründig geht es ums Geld: Ana Botín, die mächtigste Frau im europäischen Banking, hatte im September die Verpflichtung Orcels als CEO verkündet, Anfang Januar den Deal aber rückgängig gemacht – angeblich, weil ihr die Höhe der Kompensationszahlungen an den UBS-Mann Orcel von knapp 50 Millionen Euro nicht voll bekannt gewesen war.

Doch wie immer, wenn Egos aufeinanderprallen, geht es vor allem um Emotionen. Und hier handelt es sich um besonders grosse Egos, die bisher das Wort «Niederlage» nur aus dem Wörterbuch kannten: Orcel selbst, dazu natürlich die spanische Bankenzarin Botín und am Rande auch die UBS-Lenker Sergio Ermotti und Axel Weber.

Dass Orcel die Klage durchzieht, und das noch vor einem Gericht in Madrid, bei dem seine Gegenspielerin Heimrecht hat, belegt vor allem eines: Er rechnet sich gute Chancen aus. Besonders Botín, die als Tochter des Santander-Übervaters Emilio Botín vor fünf Jahren an die Bankspitze gelangte und als extrem bedacht auf ihren Ruf gilt, droht ein massiver Imageschaden.

Eine Rekonstruktion der Abläufe zeigt aber auch, dass die UBS-Granden einige Kratzer davontragen: Orcels Abgang lässt ihre Nachfolgeplanung alt aussehen – und läutete im Herbst den Kurssturz der UBS-Aktie um 25 Prozent ein. Sie haben noch um ihn gekämpft – vergeblich.

Königshof Santander

Es beginnt im letzten Juni. Orcel war mehr als 20 Jahre der engste Begleiter von Emilio Botín, der 2014 verstorben war. Er orchestrierte all die wagemutigen Übernahmen in Mexiko, Brasilien und England, die aus dem verschlafenen Regionalplayer aus Nordspanien die grösste grenzüberschreitende Bank Europas machten.

Obwohl die Familie Botín beim Tod des Patriarchen nur zwei Prozent des Kapitals hielt (heute sind es unter 1,5 Prozent), lief die Nachfolgefrage wie an einem Königshof: Seine Tochter Ana, seit 30 Jahren in der Bank und zuletzt CEO bei Santander UK, übernahm nach dem Tod des Patriarchen den Chefposten, wie ihr Vater in der Funktion des «Executive Chairman», einer Art Über-CEO. Doch schon damals gab es in der Bank Vorbehalte, gerade bei der alten Garde.

Auch als UBS-Investment-Banking-Chef beriet Orcel Botín weiter, und als es um die neue Strategie ging, lag die Aufgabe wieder bei ihm. Orcel formulierte ein radikales Programm, das die Eigenkapitalrendite von 12 auf 18 Prozent heben sollte: Abstossen des schlecht rentierenden US-Geschäfts, stärkere Zentralisierung, bessere Kapitalnutzung.

Botín, die die Bank bei einem Kurs von acht Euro übernommen hatte und jetzt bei einem Stand von vier Euro böse Fragen von Investoren parieren musste, war so angetan, dass sie Orcel gleich den Chefposten anbot. Ihr eher gemütlicher CEO José Alvarez sollte sich auf den Verwaltungsrat beschränken.

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UBS-Gegenspieler Sergio Ermotti: Der UBS-Chef wurde von Orcel vorab informiert.

Quelle: Getty Images

Orcel sprang sofort an: Dass er CEO einer grossen Bank werden wollte, hatte er schon mehrfach verkündet, auch öffentlich, und auch wenn Santander in seiner Investment-Banking-Domäne kein Top-Player war, so zählt das Institut unbestritten zur europäischen Champions League: An der Börse ist es mit 73 Milliarden Franken 27 Milliarden höher bewertet als die UBS.

Und zudem schätzte Orcel seine Chancen auf den UBS-Chefposten nicht besonders hoch ein: Ermotti hatte von seinem Präsidenten die CEO-Lizenz bis zum Jahr 2022 erhalten, dann wäre er bereits 59 Jahre alt, zudem war er Investment Banker, und dann noch mit italienischem Pass. Die Chance bei Santander jedoch: Sie bot sich jetzt. Er musste nur zugreifen.

Anfang September informierte Orcel seinen Vorgesetzten Ermotti über die Offerte. Der hatte ihn einst von Merrill Lynch geholt, sie pflegten einen engen Austausch. Der Bankchef soll zwar nicht erfreut gewesen sein, zeigte aber Verständnis für Orcels Wechselwünsche.

Und was die aufgeschobenen Zahlungen anging, signalisierte er eine gewisse Offenheit: Man müsse das prüfen. Santander war kein direkter Konkurrent und zahlte mit etwa 40 Millionen Euro jedes Jahr eine grosse Summe an die UBS für diverse Dienstleistungen. Auch ein schneller Wechsel war ein Thema – Orcel wollte gern zügig in Madrid anfangen und nicht die vertraglich festgelegten sechs Monate absitzen.

Gegenofferte der UBS

In der Woche vom 17. September tagte erst die Konzernleitung und anschliessend der Verwaltungsrat der UBS in Singapur. Jetzt erfuhr auch das Kontrollgremium von der Offerte Orcels. Und da war die Reaktion deutlich weniger gelassen als bei Ermotti. Den Wealth-Management-Veteranen Jürg Zeltner hatten die Oberen ein knappes Jahr davor noch von Bord gedrängt, seitdem war Orcel die klare Nummer eins auf der internen Nachfolgeliste.

Besonders der Senior Director David Sidwell, mit Weber der starke Mann im Nominierungs-Komitee, wollte Orcel offenbar unbedingt halten – der Italiener galt am Kapitalmarkt als einziger Garant für einen stabilen Kurs bei einem CEO-Wechsel. Und so machte der Verwaltungsrat Orcel eine Gegenofferte. Man könne seine Kompetenzen erweitern und ihn als klare Nummer zwei positionieren, so das Angebot. Doch klar war damit auch: Sollte Orcel dennoch gehen, würde es kein Entgegenkommen geben. Weber teilte die harte Haltung Ana Botín direkt per Telefon mit. Aus UBS-Sicht verständlich: Sie wollte keinen Präzedenzfall schaffen.

Ablösesumme bekannt

Doch Orcel erlag dem UBS-Angebot nicht. Er beriet sich mit Botín, und gemeinsam kamen sie zu dem Schluss: Wir ziehen das durch. Und natürlich hatte sich der erfahrene Investment Banker eine genaue Bestätigung der Konditionen schriftlich zusichern lassen: Salär von zehn Millionen Euro wie der bisherige CEO Alvares, davon zwei Millionen in Cash, insgesamt zwei Millionen weniger als bei der UBS. Dazu, entscheidend: Die Zusicherung der Übernahme der gesperrten UBS-Vergütung.

Die Aktienansprüche waren im Geschäftsbericht mit mehr als 20 Millionen Franken ausgewiesen, dazu kamen Anrechte aus dem Bonusprogramm DCCP (Deferred Contingent Capital Plan) in der gleichen Grössenordnung und eine Steuerbeihilfe für den in London lebenden Investment Banker: Ein Gesamtpaket von knapp 50 Millionen Euro, die letzten Zahlungen waren sieben Jahre gesperrt. Orcel erklärte sich offenbar zu einem Verzicht von 15 Millionen bereit, Botín sicherte ihm also die Übernahme von 35 Millionen Euro Kompensationszahlungen zu. Am 25. September wurde der Wechsel verkündet. Bei Santander wussten Botín und der gesamte Verwaltungsrat, dass die UBS zu keinerlei Zahlungen bereit war, auch die Kommunikationschefin war eingeweiht.

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UBS-Gegenspieler David Sidwell: Der Senior Director wollte Orcel unbedingt halten.

Quelle: Martin Ruetschi

Doch damit begann das Drama erst richtig. Zum einen begehrten durch die lange Wartezeit Orcels die Truppen im weitverzweigten Santander-Reich auf. Der für Santander-Verhältnisse radikale Strategieplan, den Orcel im Sommer präsentiert hatte, sickerte langsam an Schlüsselstellen der Bank durch. Orcel wollte etwa die Macht der Regionalfürsten brechen – der mächtige Brasilien-Chef etwa liess sich aus der Zentrale nichts sagen und hatte sich einen Bonus unabhängig vom Gesamtergebnis ausgehandelt. Die alte Garde schoss gegen Orcel.

Doch vor allem bekam das Verhältnis zwischen Botín und Orcel erste Risse. Anfang November teilte Orcel Botín mit, dass er Ende Januar gern zum WEF nach Davos fahren würde. Keine Auftritte, keine Empfänge, nur Kundenpflege, beruhigte er sie. Doch Davos: Das war immer der Turf von Botín. Sie verbot Orcel die Teilnahme, der akzeptierte grummelnd – und plante weiter seinen Wechsel von London nach Madrid. Seine Frau suchte nach Schulen für die Tochter.

Doch offenbar war die Furcht vor dem Mann von aussen gestiegen. Anfang Dezember bat er um ein Treffen, um die Prioritäten für seine Amtsüberahme und vor allem den Schlachtplan für den Investorentag vom 3. April festzulegen. Er sollte aus Sicht Orcels sein «Big Bang» werden – zwei Tage nach seinem ersten Arbeitstag. Die Weihnachtszeit stehe bevor, man solle anschliessend sprechen, wich Botín aus.

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Das taten sie dann auch: Am 7. Januar teilte Botín Orcel mit, dass sie ihn nicht anstellen würde. Eine genaue Begründung gab es nicht. Als die Volte am 15. Januar bekannt wurde, begründete Botín sie damit, dass ihr die genaue Ablösesumme nicht bekannt gewesen sei. Natürlich wusste sie, dass das nicht stimmte. Auch das Argument, die sozialistische Regierung erschwere derartige Zahlungen, war kaum mehr als eine Alibi-Behauptung – es hatte zwischen dem 25. September und dem 7. Januar keine Neupositionierung aus dem spanischen Regierungslager zu diesem Thema gegeben.

Die simple Wahrheit lautet wohl: Botín fühlte sich bedroht und fürchtete einen Machtverlust durch den zweifellos kompetenten und durchsetzungsstarken Orcel, und viele alteingesessene Banker fürchteten um ihre Pfründe und lobbyierten erfolgreich bei den Verwaltungsräten gegen den Neuen. Die lange Wartezeit bis zu seinem Amtsantritt war da Gift. So beliess die 58-Jährige lieber alles beim Alten und liess ihren harmoniebedürftigen CEO Alvares weitermachen. Der Kurs dümpelt weiter bei vier Euro, der Investorentag Anfang April brachte keine Impulse.

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UBS-Gegenspieler Axel Weber: Der VR-Präsident teilte Ana Botín die harte Haltung der Bank mit.

Quelle: Bloomberg / Getty Images

Sieben Jahre gesperrt

Für Orcel war die Absage ein Desaster. Er fühlte nochmal bei der UBS vor, doch da war zu viel Geschirr zerschlagen. Zumindest hätte er erwartet, dass ihm Santander angesichts der klaren Vertragslage eine Offerte macht. Doch er hörte nichts. Schliesslich engagierte er selbst Anwälte. Und die bekamen von Santander zu hören, dass er sich nie trauen würde, gegen die mächtigste spanische Bank in Madrid vor Gericht zu ziehen. Er steckte fest. Der Mann, der seit mehr als 30 Jahren extrem hochtourig arbeitete, hatte ein De-facto-Berufsverbot: Sieben Jahre würde er nicht arbeiten können, wenn er die Ansprüche voll beziehen wollte und kein Mitbewerber ihn freikaufen würde.

Jetzt klagt er also. Profiteur könnte auch die UBS sein. Gewinnt Orcel, will er je nach Höhe des Vergleichs auf die gesperrten Ansprüche verzichten. Er will vor allem eines: Wieder arbeiten.

Dieser Text erschien in der Juni-Ausgabe 6/2019 der BILANZ.

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