Der Markt ist im Gleichgewicht, alle sind glücklich von diesem Zustand hielt Schumpeter nicht viel. «So eine stabile Lage gibt es nicht», mag der Ökonom gesagt haben seine Idee lief nämlich in eine ganz andere Richtung. Auf Märkten sind Unternehmer aktiv, die Dinge verbessern, verändern, vorantreiben. Indem sie Neues schaffen, zerstören sie das Bestehende, so lautet einer der zentralen Gedanken von Joseph Alois Schumpeter.

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Daraus entstand das Konzept der schöpferischen Zerstörung. Es wird noch heute oft und gern zitiert, wenn von der Rolle des Unternehmers die Rede ist. In Kurzform lautet Schumpeters Kernidee so: Auf dem Weg zu Innovationen ruinieren Firmeninhaber mitunter ihre eigenen, bis dato erfolgreichen Angebote weil sie nach dem nächsten Wettbewerbsvorteil streben.

Beispiele für die These des gebürtigen Österreichers liefert die Geschichte zuhauf. «Unsere Städte ersticken im Dung der Kutschenpferde», erging Ende des 18. Jahrhunderts eine verbreitete Warnung. Aber noch ehe diese Prognose eintreten konnte, wurde erst die Eisenbahn und dann das Automobil erfunden Technologien, die den Kutschenmarkt vollkommen zerstörten. Heute ist das nicht anders: Digitalkameras machen gerade den Fotoapparaten mit Film den Garaus, und E-Mail wird bald das Fax, vor 20 Jahren eine modernen Technologie, verdrängt haben. «Der Kapitalismus hat eine Geschichte der Zerstörung und der technischen Revolution», lautet zusammengefasst Schumpeters These.

Boom und Krise, so der Ökonom, werden ebenfalls durch Innovationen ausgelöst. Damit setzte sich Schumpeter, der alle seine wesentlichen Ideen zwischen 1910 und 1942 formulierte, in Gegensatz zur damals herrschenden Lehre. Diese besagte: Krisen entstehen, weil es Kriege, Erdbeben und Missernten gibt. Dem Vordenker aber reichte diese Erklärung nicht aus. Schumpeter: «Innovationen kommen nicht gleichmässig, sondern schub-, ruck- und stossweise.»

Deshalb lösen Neuerungen den Boom aus etwa in Folge des Eisenbahnbaus ab 1840 oder durch die massenhafte Nutzung des Internet ab 1999. Doch in jedem Boom steckt schon der Keim der Krise.

Diese folgt, wenn der Aufschwung ein Überangebot auslöst und die anfangs hohen Renditen in der Folge erodieren. Diese Sichtweise Schumpeters war damals bahnbrechend er erklärte den Zyklus endogen, während die Klassiker diesen bislang stets auf externe Ursachen geschoben hatten.

Kapital statt Unternehmer

Der Wissenschaftler spann seine Idee noch weiter. «Auf Dauer ist der Kapitalismus nicht lebensfähig», lautete eine seiner wichtigen Thesen. Schumpeter neigte dazu, dem Sozialismus und der zentralen Planung das Wort zu reden. Denn diese seien die natürlichen Erben der Marktwirtschaft, die an ihren eigenen Krisen zugrunde gehe, heisst es mit Blick auf Karl Marx.

Das erklärt der Wirtschafts-Professor so: Durch die Gewinne entsteht eine Klasse von Kapitalisten. Diese aber sind nicht mehr schöpferisch tätige Unternehmer, sondern beschäftigen sich damit, ihre Firmengebilde durch Wachstum und Aufkäufe immer grösser zu machen. Die Produktivität steigt weiter, aber eine neue Generation von Verantwortlichen gewinnt an Einfluss: Manager, die nicht mehr innovieren, sondern sich verhalten wie Funktionäre.

In seinem Werk «Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie», erstmals erschienen 1942 in New York, präzisierte er seine Thesen. Unternehmer verschwinden danach langsam von der Bildfläche.

Evolution statt Revolution

Die neue bürgerliche Klasse der Angestellten ersetzt die Unternehmer und bürokratisiert die Wirtschaft. Monopolartige Konzerne treten an die Stelle der kleinern Unternehmen, die nach und nach ausgerottet werden. Als Vorstufe zum Sozialismus etabliert sich eine Art Technokratie. Schliesslich kann der Sozialismus den Kapitalismus ablösen. «Eine Revolution gibt es nicht, der Übergang kommt schleichend», lautete Schumpeters Credo. Das unterschied ihn von den Annahmen von Marx, der stets von einer Revolution gesprochen hatte. Der Kapitalismus-Kritiker, seit 1932 in Harvard lehrend, hielt seinen Sozialismus für den besseren Weg. Wenn Konzerne nicht mehr Privaten gehören, sondern einer staatlichen Zentralbehörde unterstehen, geht es allen gut. Der Staat lenkt und kann dank seines Wissens auch die hässlichen zyklischen Krisen vermeiden.

Schumpeter war in seiner Harvard-Zeit zum Pessimisten geworden. Nach seiner Übersiedlung in die USA lebte er von seinen Kollegen isoliert. Überdies litt er darunter, dass sein akademischer Widersacher John Maynard Keynes schneller war als er. Keynes Buch «Vom Gelde» erschien, bevor Schumpeter ein Werk ähnlichen Inhalts abschliessen konnte. Auch der Schwarze Freitag an der New Yorker Börse von 1929 beflügelte seine negativen Gedanken, die in die Prognose vom Untergang des Kapitalismus mündeten.

Heute wird Schumpeter eher als Theoretiker des Unternehmertums gewürdigt. Seine Anhänger schätzen sein Bild vom Unternehmer als treibende Kraft der Innovation. Seit den 80er Jahren, als Keynes aus der Mode kam, entwickelt sich ein reges Interesse an Schumpeters Werk. Allein bis 1993 erschienen 20 Übersetzungen und sieben deutsche Auflagen von «Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie», meldet der Buchdienst Get-Abstract. In Erinnerung bleiben wird Schumpeter als Vater der Idee von der schöpferischen Zerstörung.

Bereits erschienen: Adam Smith, «HandelsZeitung» Nr. 27 vom 6. Juni 2005; David Ricardo, Nr. 28 vom 13. Juni; Karl Marx, Nr. 29 vom 20. Juni; Alfred Marshall, Nr. 30 vom 27. Juni; Vilfredo Pareto, Nr. 31 vom 3. August; John Maynard Keynes, Nr. 32 vom 11. August. Lesen Sie nächste Woche: Ludwig Erhard.



Zitate: Das sagt Joseph Alois Schumpeter ...

... zum Thema Lebensdauer eines Unternehmens: «Die meisten Unternehmen werden mit einer Idee und einem bestimmten Zweck gegründet. Sie verlieren ihre Lebenskraft, wenn diese Idee unzeitgemäss geworden ist.»

... zur beschränkten Wirkung der CEO von Konzernen: «Der Führende hat keine Gelegenheit mehr, sich in den Kampf zu stürzen. Er wird zu einem Büromitarbeiter mehr.»

... zur Verdrängung der Unternehmer durch die Manager: «Der technische Fortschritt wird in zunehmendem Masse zur Sache von geschulten Spezialistengruppen, die das, was man von ihnen verlangt, liefern und dafür sorgen, dass es auf die vorausgesagte Weise funktioniert.»

... zur Zukunft der Marktwirtschaft: «Kann der Kapitalismus weiterleben? Nein, meines Erachtens nicht.»



Joseph Alois Schumpeter - der schöpferische Zerstörer

Joseph Alois Schumpeter wurde 1883 im seinerzeit mährischen Treisch geboren. Sein Vater war Tuchfabrikant. Der Besuch eines Adelsgymnasiums prägte den jungen Mann, Schumpeter erwarb hier umfassende Bildung und seinen Lebensstil, den Zeitgenossen mit «kultivierter österreichischer Gentleman alter Schule» beschreiben.

Er studierte Jura und Ökonomie in Wien, promovierte 1906 und erhielt nach Veröffentlichung seines Buches «Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie» mit 26 Jahren eine Professur in Czernowitz; später bekam er einen Lehrstuhl in Graz. Sein Traum, in Wien zu lehren, blieb im verwehrt.

Schumpeters Leben ausserhalb der Akademia verlief glücklos. 1919 wurde er, berufen durch eine sozialdemokratische Regierung, Finanzminister Österreichs. Dieses Amt nach dem Zusammenbruch der K&K-Monarchie zu verwalten, überforderte Schumpeter. Er scheiterte und trat nach sieben Monaten zurück. Seine anschliessende Stelle als Chef der Privatbank Biedermann endete ebenfalls in einem Fiasko. Die Bank geriet in den Abwärtsstrudel des 1924er Börsencrashs in Wien, das Geldhaus ging Bankrott und Schumpeter musste sich, verschuldet, aus seinem Amt zurückziehen.

Deshalb ging es 1925 zurück an die Alma Mater: Er nahm eine Professur an der Universität Bonn an. Sein Wirken machte die Fakultät zu einem Mekka von Ökonomen aus aller Welt denn Schumpeter vertrat den seinerzeit neuen Ansatz der mathematisch-theoretischen Ökonomie. Während der Bonner Zeit hielt er bereits Gastvorlesungen an der Harvard-Universität. Als sich 1932 der Vormarsch der Nationalsozialisten abzeichnete, verliess er Deutschland und nahm einen Ruf nach Harvard an, wo er bis zu seinem Tode 1950 wirkte. (ag)