Andere legen sich für die gleiche Summe einen schicken Sportwagen zu. Giovanni Cerfeda hingegen hat für solch profanes Imponiergehabe wenig übrig. Der Architekt aus Winterthur investiert sein Geld lieber in Immobilien von Gottes Gnaden und kauft sich eine Kirche. «Zwischen 0 und 100000 Fr.» lässt er laut Kirchgemeindepräsident Karl Gabler für das evangelisch-reformierte Gotteshaus St. Leonhard springen, und einige Mio werden für die Renovation der Kirche noch hinzukommen.
Cerfeda war einer von 30 Interessenten, die sich im Herbst 2004 auf ein anonymes Inserat der Kirchgemeinde meldeten. Weil der neugotische Bau für geschätzte 4,5 Mio Fr. saniert werden müsste, suchte sie einen Käufer. «Ein Abbruch hätte finanziell mit Sicherheit mehr eingebracht, doch die Kirche steht unter Denkmalschutz», erklärt Gabler. Sagen die Stimmberechtigten Ende April Ja zum Verkauf ihrer Kirche, erhält Cerfeda den Zuschlag und eine Event-Location, die in der Schweiz ihresgleichen sucht. Was er mit dem Sakralbau vorhat, ist noch unklar. Gehobene Konzerte von Klassik über Jazz bis hin zum Pop, Theateraufführungen oder Lesungen schweben dem Liebhaber historischer Bauten vor. Er will sich zwei Jahre Zeit lassen für ein Nutzungskonzept. Solange geniesst der Verein Offener St. Leonhard, der die leere Kirche schon seit zehn Jahren mit Leben füllt, Gastrecht. Die Kirchgemeinde zieht Cerfeda einem anderen Kaufinteressenten vor, der einen Glaskubus einbauen und in der Kirche ein Restaurant mit VIP-Lounge eröffnen wollte.
Weniger Gläubige und weniger Geld
Sowohl vom evangelisch-reformierten Kirchenbund wie auch von der katholischen Bischofskonferenz noch als Ausnahmefall bezeichnet, könnte das St. Galler Beispiel Schule machen. Die Zahl der Kirchenaustritte steigt, die Steuereinnahmen sinken. Gaben bei der Volkszählung 1970 noch mehr als 46% der Wohnbevölkerung an, der evangelisch-reformierten Kirche anzugehören, sind es jetzt noch 33%. Bei den Katholiken sank die Zahl von 49% auf 42%. Besonders gebeutelt ist die römisch-katholische Kirche des Kantons Basel-Stadt. Zahlen sind keine erhältlich, doch das Problem ist erkannt: Der Steuerrückgang sei massiv, es brauche neue Strategien auch für die Frage der Immobilienbewirtschaftung. Umnutzungen und Verkäufe sind kein Tabu mehr.
Wie leer die Kassen bei den Landeskirchen tatsächlich sind, ist schwierig abzuschätzen. Eine nationale Statistik gibt es nicht. Die Kirchensteuereinnahmen hängen von den jeweiligen Regelungen in den Kantonen ab, bei den Kirchenimmobilien sind die Besitzerverhältnisse zudem höchst unterschiedlich geregelt. Dennoch machen sich Katholiken wie Reformierte Gedanken, wie leere Kirchen sinnvoll genutzt werden können. Dies bestätigen der Sprecher des evangelisch-reformierten Kirchenbundes, Simon Weber, und Mario Galgano, Informationsbeauftragter der Schweizerischen Bischofskonferenz.
Mosimann kocht in der Kirche
Im Gegensatz zu anderen Ländern ist man in der Schweiz sehr zurückhaltend mit der Umnutzung und dem Verkauf von Kirchen. «Ein Einkaufszentrum in der Kirche ist unvorstellbar», sagt Galgano. Der Leidensdruck sei nicht so gross, stimmt Weber zu.
In den Niederlanden, in England und auch in Deutschland wurden aus Kirchen Restaurants, Parkhäuser, Einkaufstempel, Nachtklubs, sogar Wohnungen. Der Schweizer Starkoch Anton Mosimann rührt seine Kellen in einer ehemaligen Presbyterianerkirche in London. In der Krypta der Kirche St. Martin in the Fields, ebenfalls in London, wird seit Jahren Kaffee ausgeschenkt. Und in New York gilt die Church of the Holy Communion als einer der angesagtesten Nachtklubs der Stadt («Avalon»).
In der Schweiz gibt es bisher wenig vergleichbare Beispiele. Das zur (verkauften) Zwinglikirche gehörende Zwinglihaus in Zürich wurde 1998 zum Kulturhaus «Rats», einem Beschäftigungsprogramm für Erwerbslose. Im bernischen La Neuveville wurde 2002 aus der Hugenottenkirche das «Café Théâtre». Die Wesley-Kapelle im Berner Breitenrainquartier ist seit 1998 die Kleinkunstbühne «La Cappella», und das Franziskanerinnenkloster in Solothurn mutierte 2002 zum «Haus der Kunst».
Keine «himmlischen Drinks»
Statt mit radikaler Umnutzung, Verkauf oder gar Abbruch gehen die Schweizer Kirchen sanfter vor gegen die Finanznot. Sie versuchen zumindest in den Städten, die leeren Bänke mit dem Konzept der City-Kirchen zu füllen. Diese Bewegung hat ihren Ursprung in England und entstand vor dem Hintergrund finanzieller Sorgen. In Bern, Zürich, Basel und St. Gallen gibt es vier grössere City-Kirchen. Sie werden von der jeweiligen Kirchgemeinde getragen oder von einem privaten Verein, der sich durch Fremdvermietung und mit Veranstaltungen finanziell über Wasser hält.
Wer es wagt, die Kirche ans einfache Partyvolk zu vermieten, gerät schnell ins Kreuzfeuer der Kritik. Dies musste die Zürcher City-Kirche Offener St. Jakob erfahren. Eine Party, die ein «höllisches Erlebnis bei himmlischen Drinks» im Gotteshaus versprach, löste vor zwei Jahren heftige Kontroversen aus. Um die Mindereinnahmen durch Kirchenaustritte zu egalisieren, reicht das Konzept der City-Kirche indessen nicht aus. Stellenabbau und Outsourcing von Aufgaben an Freiwillige sind längst auch in Kirchen gang und gäbe.
Alte Mauern, neue Nutzung
Die meisten Klöster bessern ihre Kassen auf: Dass Kirchen oder Teile von ihnen anders genutzt werden, ist auch in der Schweiz nicht neu. Der Chor der Predigerkirche im Zürcher Niederdorf etwa wird seit langem von der Zentralbibliothek genutzt, die Barfüsserkirche in Basel beherbergt das Historische Museum.
Von Verkauf und Umnutzung sind laut Mario Galgano von der Schweizerischen Bischofskonferenz aber vor allem Klöster mit ihren meist sehr umfassenden Gebäudekomplexen betroffen. So verkaufte etwa der Kapuzinerorden 1996 sein Kloster in Arth SZ an die syrisch-aramäische Gemeinde, weil die Zahl der Mönche stetig sank. Im ehemaligen Kloster von Sursee LU ist heute unter anderem ein Architekturbüro untergebracht, im Kloster Baldegg LU werden seit je Lehrerinnen und Krankenschwestern ausgebildet, im Kloster Fahr an der Limmat Bäuerinnen.
Die meisten Klöster bessern ihre Kassen mit der Herstellung und dem Verkauf von selber hergestellten Spezialitäten wie Käse, Bier, Wein oder Honig auf, kaum ein Kloster kommt heute noch ohne Klosterladen aus. Zudem sind viele (ehemalige) Klöster beliebte Veranstaltungsorte für Seminare oder dienen gestressten Geschäftsleuten als Rückzugsorte, um ein paar Tage Kraft zu tanken.