Seit gut 800 Jahren wird das Schwingen in der Schweiz gelebt. Doch nie zuvor in der Geschichte stiess der freundeidgenössische Hosenlupf in der Wirtschaft auf ein so grosses Interesse wie dieses Jahr. Nun schwingen in Burgdorf 278 Athleten einen neuen König aus. Auf dem Areal des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfestes werden mehr als 250'000 Menschen erwartet - Schwingfans, Eventpilger und auffallend viele Vertreter grosser Unternehmen.
Die Teppichetage scheut das Sägemehl nicht länger. Im Gegenteil: Mit dem öffentlich zur Schau gestellten Bekenntnis zum Schweizer Nationalsport lässt sich das Image des eigenen Unternehmens wunderbar aufpolieren.
Ein Paradebeispiel hierfür ist die Grossbank UBS. 2007 - just zur Zeit, als die Bank im Zuge der Subprime-Krise für negative Schlagzeilen in Serie sorgte - , stieg sie am «Eidgenössischen» von Aarau als Sponsor erstmals in den Sägemehlring. Nach einem Unterbruch - 2010 hatten die Veranstalter des Schwingfests Lokalrivalin Raiffeisen zum «Königspartner» gekrönt - ist die UBS in Burgdorf wieder an vorderster Front mit von der Partie. Sie spricht von einem Coup. «Das ‹Eidgenössische› passt bestens zu unserer Strategie, die absoluten Top-Events in der Schweiz zu unterstützen und so die Bedeutung des Heimmarktes für unsere Bank nachhaltig zu unterstreichen», sagt Tom Ackermann, Leiter Marketing bei der UBS Schweiz. Die Botschaft, welche die Grossbank dem Schwingvolk mittels einer breit aufgezogenen Kampagne vermitteln will, ist offensichtlich: Wir sind auch eure Bank - die Bank der kleinen Leute.
Die Millionen der «Königspartner»
Klein ist am «Eidgenössischen» 2013 ansonsten kaum etwas. Das Budget für den Mega-Event beläuft sich auf stolze 25 Millionen Franken. Das sind 3 Millionen mehr als noch vor drei Jahren in Frauenfeld. Im Vergleich zu 2007, als in Aarau der aktuelle Schwingerboom eingeläutet wurde, sind es sogar 6 Millionen Franken mehr. In finanzieller Hinsicht ist keine andere Schweizer Sportveranstaltung in den letzten Jahren stärker gewachsen.
Sechs Hauptsponsoren - eben «Königspartner» - steuern ihren Teil bei an die Deckung der Fixkosten. Nebst der UBS sind dies die Detailhändlerin Migros, der Versicherer Mobiliar, der Landmaschinenhersteller Aebi, die Brauerei Feldschlösschen und der Autobauer Toyota. Die Japaner streichen heraus, dass «unsere Entwicklungsteams mit modernster Technik und mit grösster Perfektion arbeiten. Und genau so tun es auch unsere Schwinger in der Vorbereitung und im Sägemehlring.» Neben den «Königspartnern» engagieren sich über 60 kleinere und grössere Sponsoren - etwa als Kranzspender.
Der helvetische Schwingboom ist mittlerweile sogar ins Ausland geschwappt. Der amerikanische Sportartikelhersteller Under Armour - gross geworden mit Sicherheitsausrüstungen für den American Football - unterstützt den Schwinger Christoph Bieri aus Aarwangen BE. «Sein unbändiger Wille zu siegen passt perfekt zu unserer Marke», sagt der Schweizer Marketingchef des Importeurs. Es scheint, dass heute fast jedes Unternehmen beim Schwingen dabei sein will.
Hans-Willy Brockes, Geschäftsführer bei der Europäischen Sponsoring-Börse ESB, erstaunt das überhaupt nicht. Das Engagement für die «bösen Buben» lohne sich für die Unternehmen. «Das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest hat schon fast die Bedeutung von olympischen Spielen. Es findet nur alle drei Jahre statt. Bei keinem anderen Anlass haben Sponsoren die Möglichkeit, so gezielt und in geballter Form die Schiene Swissness zu fahren», sagt Brockes. Anders als bei Mannschafts- oder anderen publikumsträchtigen Sportarten, könnten die Sponsoren beim «Eidgenössischen» kaum etwas falsch machen. «Sie unterstützen einen Anlass und nicht ein Team oder einen einzelnen Athleten. Und damit laufen sie nicht Gefahr, zu polarisieren.»
Wie viel sie für ihr Engagement aufwenden, darüber schweigen sich die einzelnen Sponsoren beharrlich aus. Ein Insider geht davon aus, dass die Träger des Titels «Königspartner» zwischen 1 und 2 Millionen Franken hinzublättern hatten. Und dies, obwohl direkte Werbung in der riesigen Arena verboten ist, das Logo des eigenen Unternehmens im Gegensatz zu Fussball- oder Leichtathletikveranstaltungen folglich auch nicht in der Live-Übertragung am Fernsehen zu sehen sein wird.
Die kommerziellen Interessen seien für «Königspartner» Feldschlösschen am «Eidgenössischen» zweitrangig, erläutert Sprecherin Bettina Sutter: «Wir wollen uns dem Schwingervolk in erster Linie als perfekter Getränkepartner präsentieren und explizit unseren Slogan ‹Feldschlösschen verbindet› leben.» Nirgendwo sonst sei dies so gut möglich wie an einem Schwingfest. «Hier treffen sich Stadt und Land, Jung und Alt, Sportler und Sportbegeisterte, Prominente und weniger Prominente - die Begeisterung für den Schwingsport, für heimische Tradition und Brauchtum verbindet sie.» Die Schwingfestbesucher: Ein einig Volk fernab des Elite-Dünkels.
Rote Teppiche und rote Köpfe
Doch sind tatsächlich alle gleich im Bannkreis des Sägemehls? Kaum. Schaut man sich die Pakete an, welche von den Sponsoren für ihre Partner und besten Kunden geschnürt werden, wird schnell klar: Der Schwing-Event gleicht sich anderen Sport-Grossveranstaltungen an. Von exklusiven «Hospitality»-Angeboten ist da in Neudeutsch die Rede, von der Behandlung als VIP. Bis zu 1000 Franken lassen sich die Unternehmen solche Kundengeschenke kosten.
Die Vermarktung hat den Burgdorfern Veranstaltern rund um den Berner SVP-Nationalrat Andreas Aebi viel Kritik eingetragen, vorab aus den Reihen des einfachen Schwingervolkes. Denn viele der treuesten Fans, die Wochenende für Wochenende an kleinere und grössere Feste reisen und dabei Wind und Wetter nicht scheuen, finden sich am «Eidgenössischen» aussen vor. Weil sie keines der 4000 für den freien Verkauf bestimmten Tickets erstehen konnten. Oder weil sie sich eine Zweitageskarte für 225, 170 oder 140 Franken, die sie zum Einlass in die mehr als 50 000 Plätze fassende Emmental-Arena berechtigen würde, nicht leisten können.
Während solche Preise bei anderen Sportveranstaltungen oder Konzerten gang und gäbe sind, sorgen sie beim Nationalsport für rote Köpfe. «Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir uns tatsächlich fragen müssen, wie es mit dem ‹Eidgenössischen› punkto Grösse und Sponsorentum weitergehen soll», sagt Mario John. Er ist der oberste Schwinger im Lande, der Obmann des Eidgenössischen Schwingerverbandes. Für ihn ist klar: «Es ist toll, wenn der Schwingsport boomt - doch nicht um jeden Preis. Wenn in den Arenen nur noch rote Teppiche ausgerollt und Sessel gepolstert werden, dann läuft das Schwingen Gefahr, seine Seele zu verlieren.»
Johns Bestreben, den Schwingsport in seiner ursprünglichen Form zu erhalten, mit bodenständigen Burschen, die neben dem Schwingen einem anständigen Beruf nachgehen, mit harten Bänken und mit Besuchern in Bergschuhen, die sich aus dem Rucksack verpflegen, entspricht so gar nicht dem, was Marketing- und Eventfachleute mit dem Hosenlupf vorhaben. «Die Diskrepanz könnte kaum grösser sein: Auf der einen Seite haben wir die Funktionäre, mehr oder weniger Amateure. Und auf der anderen Seite die Leute, welche mit dem Schwingen ihr Geld verdienen wollen - und das sind meist absolute Profis», sagt Sponsoring-Experte Brockes. Obwohl einzelne Athleten heute halbprofessionell ans Werk gehen, gilt das Schwingen nach wie vor als reiner Amateursport.
Fast 1 Million für den König
Dabei gehören die besten «Bösen» längst zur A-Prominenz und landen entsprechend häufig in Magazinspalten und Fernsehsendungen. Einer hat es unlängst gar auf die Frontseite des «Blick» geschafft - nur mit einer Zwilchhose bekleidet. Und ein Kilian Wenger, Schwingerkönig von Frauenfeld, dürfte als Markenbotschafter in seiner nunmehr dreijährigen Amtszeit gegen 1 Million Franken zusätzlich zu seinem Einkommen als Zimmermann verdient haben.
Ohne umtriebige Manager und striktes Zeitmanagement kommen er und seine Kollegen an der Spitze des Feldes kaum mehr aus. Schwinger sind als Werbeträger mittlerweile gefragt wie Missen und andere Zudiener des Showgeschäfts. «Weil sie einen eigentümlichen Mix aus Schweiss, Tradition und Authentizität verkörpern - und damit eine Art Kontrapunkt setzen in einer immer künstlicher, virtueller und schneller werdenden Welt», sagt Werber Frank Bodin. Von der Strahlkraft seiner Aushängeschilder profitiert im Übrigen auch der Schwingerverband: 10 Prozent der Werbeeinnahmen jedes Sportlers gehen direkt an ihn.
Um Geld wird in Burgdorf nicht geschwungen. Der König erhält einen Muni im Wert von 20'000 Franken, der wohl gleich wieder an den Züchter zurückgehen wird. Insgesamt warten im Gabentempel auf die Schwinger Preise im Wert von 800'000 Franken. Wer obenaus schwingt - meistgenannte Favoriten sind die Berner Kilian Wenger, Matthias Sempach und Christian Stucki, der Nordwestschweizer Bruno Gisler sowie Altmeister Arnold Forrer aus der Nordostschweiz - darf sich darüber hinaus für die nächsten Jahre einiges an Nebeneinkünften ausrechnen.
Solche erhofft sich natürlich auch der Austragungsort selber. Rund 700'000 Franken erbringt Burgdorf im Rahmen des «Eidgenössischen» an Leistungen. Das Städtchen mit seinen 15 000 Einwohnern will sich während des Spektakels von seiner besten Seite zeigen und Werbung für den örtlichen Tourismus machen. Angelehnt an eine Wertschöpfungsstudie, die im Rahmen des «Eidgenössischen» von Luzern anno 2004 erstellt wurde, dürfen Burgdorf und das Emmental hochgerechnet mit einem Umsatz von über 80 Millionen Franken rechnen.
Trotz präsidialem Appell an die Bescheidenheit ist ein Ende des Schwingerbooms nicht abzusehen, zumindest nicht, was den Zuspruch der Wirtschaft anbelangt. Bereits stehen die Sponsoren Schlange, um 2016 in Estavayer-le-Lac mit von der Partie zu sein.
Sponsoring-Fachmann Brockes sieht darüber hinaus weitere Möglichkeiten, den Sport und dessen Vermarktung voranzutreiben: «Warum nicht Weltmeisterschaften?» Irgendeine Form von Ringen werde schliesslich in jedem Land betrieben. «Und weshalb nicht auch all die kleinen Hallenschwingfeste aufwerten, die im Winter stattfinden? Ich wittere da ein grosses Potenzial.»
Die Puristen dürften ob solcher Ideen die Nase rümpfen. Doch sie müssen eingestehen: Das Schwingen, im 13. Jahrhundert erstmals dokumentarisch festgehalten, ist in der Moderne angelangt und zieht immer mehr Unternehmen in seinen Bann.