Noch hat der Internetkonzern Google nicht genau festgelegt, wie er das «Recht auf Vergessen» umsetzen will, das der Europäische Gerichtshof jüngst in einer Entscheidung festgelegt hat. Wie können EU-Bürger sich an Google wenden, wenn sie die Suchergebnisse zu ihrem Namen beeinflussen wollen?
Ab wann ist ein Suchtreffer so alt, dass Google ihn vergessen muss, und bei welchen Inhalten geht das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit vor?
Hunderte Mitarbeiter zum Daten sichten
All das ist noch nicht geklärt. Doch schon jetzt vermuten Datenschützer und Fachjuristen, dass Google Hunderte neue Mitarbeiter einstellen muss, die den drohenden Ansturm von Anhängern der Suchindex-Demenz verwalten. Vermutlich wird Google angesichts des zu erwartenden Anteils von Querulanten unter den deutschen Internetnutzern kaum hinterherkommen.
Zeit also für eine eigene Bestandsaufnahme, damit ich im Zweifelsfall ganz vorn in der Schlange der Petenten stehe, Zeit für eine Google-Suche nach «Benedikt Fuest». Zeit für «Egosurfing».
Das ist nicht so einfach, wie es scheint, denn Google-Suche ist nicht gleich Google-Suche. Da die Suchmaschine mich bereits seit Langem als Nutzer kennt, zeigt sie mir ganz andere Ergebnisse über mich selbst, als sie einem völlig fremden Nutzer zeigt. Wer sehen will, was andere über seine Person bei Google finden können, der muss sich gegenüber der Maschine verbergen, muss sich in die Rolle des Fremden versetzen und anonym suchen.
Dank Cookies reicht bloßes Ausloggen aus den Google-Diensten nicht, ich installiere stattdessen einen neuen, jungfräulichen Browser, öffne www.google.de und tippe «Benedikt Fu» in die Maschine. Immerhin, Googles umstrittene Auto-Vervollständigungs-Funktion macht weder Anspielungen aufs Rotlichtmilieu noch verknüpft sie Zwangsversteigerungen mit meinem Namen.
Stattdessen verrät sie durch Ergänzungen, wie andere nach mir suchen – und dass ein Mathematiker der Universität Dortmund namens Benedikt Funke häufiger gesucht wird als ich. Vervollständige ich meinen Namen, ergänzt Google automatisch «Journalist» und «Welt». So weit, so richtig.
Unter Suchmaschinenoptimierern gilt die eherne Regel, dass allein die ersten fünf Suchtreffer bei Google relevant sind. Als ersten und aus seiner Sicht relevantesten von rund 17'600 Treffern zeigt Googles Roboter mein Profil bei Twitter. Da habe ich mich 2009 unter dem Internet-Pseudonym fanaticTRX angemeldet, den Nonsens-Namen bitte merken, er wird noch erschreckend relevant.
Google verrät sexuelle Orientierung
Wer Twitter öffnet, findet ohne langes Scrollen heraus, dass ich für «Welt« und «Welt am Sonntag« aus dem Netz berichte, gern mit meiner BMW-Reiseenduro in den Alpen fahre, Fan der amerikanischen Serie «Game of Thrones« bin und recht liberale Ansichten zur Internet-Regulierung hege.
Mehr über mich verrät die Liste jener, denen ich auf Twitter folge – dem US-Model Emily Ratajkowski etwa. Allein der erste Suchtreffer also liefert Hinweise auf meinen Beruf, Hobbys, kulturelle Vorlieben und meine sexuelle Orientierung.
Google-Treffer Nummer zwei ist mein Profil beim Karrierenetzwerk Xing. Dort erfährt jeder neugierige Fremde, wie alt ich ungefähr bin, das ergibt sich aus den Eckdaten meines Studiums.
Ferner lässt sich herausfinden, dass ich die Kölner Journalistenschule abgeschlossen habe, dass ich in Köln und Münster Volkswirtschaftslehre studiert habe, dass ich einmal drei Jahre lang bei einer Wochenzeitung namens «Rheinischer Merkur« gearbeitet und für die «Financial Times Deutschland« geschrieben habe.
Meine Karriere weist diverse Lücken und Knicke auf, «Merkur« und «FTD« sind bekanntlich untergegangen. 2012 hatte die Kreditscoring-Gesellschaft Schufa öffentlich darüber nachgedacht, künftig auch Internet-Suchergebnisse und Treffer aus sozialen Netzwerken in ihre Kredit-Scores einzubauen. Einen langfristigen Kredit würde ich mir nach der Lektüre dieser Google-Suche nicht geben.
Das Pseudonym verrät mehr
Nach den ersten zwei Treffern schlägt Google Fotos vor. Das erste, viel zu seriöse Bild kommt direkt aus meinem Profil bei Googles sozialem Netzwerk Plus. Die Suchmaschine weiß, wie ich aussehe: wenig Haare, leichtes Übergewicht, Brille, Stoppelbart. Dazwischengemixt ein paar Bilder aus Artikeln, die in der «Welt« erschienen sind.
Treffer Nummer vier beweist, wie gut die Kollegen von «Focus Online« Googles Suchalgorithmus durchschaut haben. Ich habe früher einmal für «Focus« geschrieben, aber nicht oft. Dennoch findet sich einer dieser Artikel weit oben auf der Trefferliste. Link Nummer fünf, mein Profil bei Googles sozialem Netzwerk Plus, gibt meinen Wohnort in der Nähe von Köln preis.
Allein die ersten fünf Treffer zeichnen also ein recht genaues Profil. Doch aus Sicht des Stalkers fehlen wesentliche Informationen: Mit wem lebe ich zusammen? Wer sind meine Freunde? Alles Informationen, die ich aus dem Netz herauszuhalten versuche.
Aber schon ein Abgleich mit meinen Xing-Kontakten lässt Rückschlüsse zu. Und wer noch weitersucht, rückt mir auf die Pelle: Den Spitznamen «fanaticTRX« verwende ich nämlich nicht nur bei Twitter, er ist in Dutzenden Internetforen und Diensten mein Pseudonym.
Potenzieller Amokläufer
Eine zweite Google-Suche, dieses Mal nach «fanaticTRX«, zeigt sofort: Hier wird Google persönlicher – und potenziell unangenehmer. Diverse dubiose Statistikseiten loggen ohne mein Einverständnis mit, dass ich in den vergangenen fünfzehn Jahren ein paar Hundert Stunden mit Multiplayer-Egoshooter-Spielen verschwendet habe. Gemessen an der öffentlich geäußerten Überzeugung diverser konservativer Politiker bin ich damit potenzieller Kandidat für einen Amoklauf.
Ein Dutzend Suchtreffer später verrät Google, dass mein Auto ein Toyota Auris aus dem Jahr 2007 ist. Und dass ich nach kapitalen Motor- und Getriebeschäden nicht sonderlich glücklich mit ihm bin. Der Getriebeschaden könnte in meiner Fahrweise begründet liegen. Denn an anderer Stelle tausche ich mich über Strategien auf der linken Autobahnspur bei Geschwindigkeiten jenseits von 200 Stundenkilometern aus.
Autobahnraser bin ich also auch, die Sachbearbeiter meiner Kraftfahrzeugversicherung könnte das bei künftigen Schäden interessieren. Vielleicht hat auch Toyota gegoogelt und deswegen bei der Reparatur keine Kulanz gewährt.
Ein wahrer Goldschatz für Stalker ist mein Profil beim Fotodienst Flickr, in der Trefferliste an zweiter Stelle. Es ist nicht mit meinem echten Namen verknüpft. Doch Google weiß dank Links auf Twitter trotzdem, dass ich hier Bilder aus meinem Leben veröffentliche. Fotos verraten viel über ihren Fotografen, sie erlauben dank «Geotags« sogar das Erstellen von Bewegungsprofilen, lassen Rückschlüsse auf Urlaubsvorlieben, Hobbys, Freundeskreise und Familie zu.
Mein Flickr-Profil zeigt auf der ersten Seite: Ich campe gern im Schnee in Norwegen, ich mag Geländewagen und habe sie vermutlich entgegen den Mietbedingungen und einschlägigen Umweltschutzgesetzen durch die Mojave-Wüste gefahren. Googeln Autovermieter ihre Kunden?
Vorname und Gesicht meiner Freundin
Die Metadaten der Bilder beweisen übrigens, welche Kameras und Objektive ich nutze. Ein Einbruch bei mir zu Hause lohnt demnach nicht wirklich, aber ein paar Tausend Euro kämen zusammen.
Wer die Bilder genauer betrachtet, stellt fest, dass eine junge Frau über einen längeren Zeitraum öfter auftaucht. Damit sind zumindest Vorname und Gesicht meiner Freundin enttarnt. Die Suche des Vornamens zusammen mit meinem kompletten Namen liefert den Nachnamen meiner Freundin dazu, er steht in einer jahrealten Gästeliste des Bundespresseballs, an die sich Google zuverlässig erinnert.
Nicht mehr erinnern kann sich Google demgegenüber an meine Schullaufbahn. Noch vor drei Jahren habe ich bei der Suche nach mir selbst Hinweise auf meinen Abiturjahrgang gefunden. Das klappt heute nicht mehr, da mein altes Gymnasium in der Zwischenzeit seinen Internetauftritt überarbeitet und die Absolventenliste aus dem Netz genommen hat. Selbst Google findet sie nicht mehr.
Da ist aber noch etwas: Selbst wer Google zur Zensur der öffentlichen Ergebnisliste zu seiner Person bewegen kann, zwingt den Konzern damit noch lange nicht zum Vergessen. Die Suchergebnisse werden nur nicht mehr angezeigt, Google behält sie aber sehr wohl in seiner Datenbank. Google weiß über mich viel mehr, als es anderen Nutzern in der Suche zeigt.
Das muss so sein, schließlich nutze ich Googles wichtigste Dienste wie Mail, YouTube oder Plus. Dass Google meine Handynummer, meine Adresse, die Daten meiner gut 2000 Kontakte kennt, ist der Preis, den ich für die Nutzung der Umsonst-Angebote zahle. Die Werbeanzeigen, die Google in Mail neben meine digitale Korrespondenz stellt, zeigt, wie gut die Kontext-Erkennung bereits funktioniert: Nachdem ich mich per Mail mit einem Freund über dessen Jobverlust ausgetauscht habe, zeigt Google mir Werbung für Arbeitsrechts-Kanzleien.
66'000 Mails habe ich Google im Laufe der vergangenen sieben Jahre anvertraut. In ihnen berichte ich über Jobwechsel, persönliche Probleme, darüber, was mich bewegt, worüber ich mich gefreut habe, was ich plane.
Google weiss mehr als nahe Verwandte
Dashboard heißt die Seite im Nutzerprofil jedes Nutzers, auf der Google verrät, was der Konzern über ihn weiß: Google hat genau mitgeloggt, welche 176 YouTube-Videos ich im vergangenen Monat angesehen habe, und zeigt mir passende Outdoor-Werbespots. Der Konzern speichert jede einzelne meiner Suchanfragen, um mir anschließend besser auf mich zugeschnittene Suchergebnisse zu liefern.
Der Suchroboter weiß daher in mancher Hinsicht mehr darüber, was mich aktuell bewegt oder interessiert, als meine Freunde, meine Eltern, meine Freundin. Wer wie ich Googles Dienste auch mobil verwendet, etwa in Android-Telefonen oder mit Googles Kartendienst Maps, kann sich von dem Punkt «Standortverlauf« erschrecken lassen: Google merkt sich jahrelang und auf den Meter genau, wo ich an jedem der Tage war, an denen ich ihr Navigationsangebot verwendet habe.
Dashboard ist noch relativ ungenau, verschweigt mir etwa, was Google über meine Interessen herausgefunden hat, warum Google mir welche Werbung anzeigt. Doch die angezeigten Details lassen mich schaudern. Dank der Kombination von Maps, YouTube, Googlemail, der Suche und dem Cloudspeicher Drive kann Google ein so facettenreiches Personenprofil über mich erstellen wie niemand sonst.
Das Netzwerk Google+ dient dabei als Überbau. Mit ihm kann Google mich auf jedem seiner Dienste identifizieren. Wer will, dass Google all dies vergisst, muss kein Recht auf Vergessen bemühen. Er muss lediglich sein Nutzerprofil löschen – und anschließend konsequent auf all jene bequemen Dienste verzichten, für deren Nutzung wir mit unseren Daten bezahlen.
Ich überlege nicht lange: Mir wäre dieser Preis zu hoch. Google hat gewonnen.
Dieser Artikel ist zuerst in unserer Schwester-Publikation «Die Welt» erschienen.