Die Firmengruppe Lyoness aus Buchs/SG bezeichnet sich als «Einkaufsgemeinschaft». Wer mitmacht, erhält bei einigen Geschäften Rabatte. Mitglieder konnten über ein komplexes Verrechnungssystem mit Phantasienamen wie «binäres Matrixsystem» Provisionen und Einkaufsrückvergütungen erreichen. Wichtig ist, dass man andere Geschäftspartner anwirbt. Ein internes Memo zeigte, dass man Leuten, die ein «Businesspaket» für 3000 Franken kauften, einen Profit von 24'858 Franken in Aussicht stellte - das geht aber nur, wenn man wieder neue Mitglieder anwirbt.
Seit einiger Zeit wurde in Internetforen vor Lyoness gewarnt - von «Schneeballsystem» oder «Pyramidenspiel» war die Rede. Vorwürfe, die Lyoness vehement bestreitet. Die Firma gibt an, über 2 Millionen Mitglieder zu haben, sie existiert seit 2003 und hat in dutzenden Ländern Zweigstellen eröffnet - in der Schweiz existieren überdurchschnittlich viele Lyoness-Gesellschaften.
Drohender Leitentscheid in Österreich
In Österreich kommt die Firma immer mehr unter Druck. Dieser Tage wurde ein Urteil bekannt, das für Lyoness verheerende Auswirkungen haben könnte. Das Bezirksgericht für Handelssachen (BGHS) in Wien entschied, dass Lyoness einen Anleger entschädigen muss, der eine «Werbekampagne» der Firma gezeichnet hatte. Die Richter fanden, Lyoness hätte einen von der österreichischen Finanzmarktaufsicht (FMA) genehmigten Kapitalmarktprospekt veröffentlichen müssen, weil es sich um eine Veranlagung gemäss dem österreichischen Kapitalmarktgesetz handelte.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Lyoness wird in Berufung gehen, erklärte deren Pressesprecher Mathias Vorbach gegenüber handelszeitung.ch: «Bei dem Verfahren am BGH Wien handelt es sich um eine erstinstanzliche Entscheidung, welche einen einzelnen Kläger betrifft. Hintergrund ist eine bereits Jahre zurück liegende Werbekampagne. Vor ca. einem Jahr wurde vom Kläger eine Verletzung der Prospektpflicht geltend gemacht. Wir werden gegen das Urteil berufen und die nächste Instanz damit befassen wollen.»
Der Grund ist klar: Würde das Urteil rechtskräftig, gäbe es für Lyoness-Mitglieder wegen dem fehlenden Prospekt eine unbefristete Rücktrittsmöglichkeit. Es drohte ein Massenexodus Unzufriedener.
Lyoness steht in Österreich aber auch anderweitig unter Druck: Die Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt wegen Verdachts auf Betrug und Betreiben eines Pyramidenspiels. Lyoness hatte in der Vergangenheit alle Vorwürfe zurückgewiesen - man betreibe eine nachvollziehbare Einkaufsgemeinschaft.
Doch nicht nur in Österreich sorgte die Firma in der Vergangenheit für Aufsehen - auch in der Schweiz gabs Negativschlagzeilen.
«Kopfgeld» auf Kritiker ausgesetzt
Der «Beobachter», der wie die «Handelszeitung» zum Verlag Axel Springer Schweiz gehört, berichtete Anfang 2012 ausführlich über seltsame Geschäftspraktiken bei Lyoness: Als ehemalige Mitarbeiter unter anderem in Internetforen vor einem «schneeballähnlichen System» warnten, produzierte Lyoness ein internes Memo. Inhalt: ein Kopfgeld für «Täter». «Für sachdienliche Hinweise (...) wird ein Entgelt von 45'000 Franken in Aussicht gestellt».
Dabei blieb es nicht: Ein Kritiker aus dem Kanton Zürich, der verschiedene Schweizer Partnerfirmen auf das undurchsichtige Geschäft aufmerksam machte, wurde mit einer Millionenbetreibung versucht mundtot zu machen.
Schwammige «Richtigstellung»
Anfang Juni 2012 veröffentlichte Lyoness auf ihrer Webseite eine «Richtigstellung zur aktuellen Berichterstattung». Dabei schreibt die Firma: «Entgegen anderslautender Meldungen wird die Strafanzeige von den Schweizer Behörden aktuell nicht weiter verfolgt, das heisst, die zuständige Staatsanwaltschaft führt keine Ermittlungen gegen Lyoness durch. Faktum ist hingegen, dass das Geschäftsmodell von Lyoness von den verantwortlichen Schweizer Behörden bereits für rechtlich einwandfrei erklärt wurde.»
Diese Aussagen von Lyoness bedürfen der Klärung. Im Kanton Sankt Gallen ermittelt die Staatsanwaltschaft «zurzeit nicht originär gegen die Verantwortlichen der Lyoness International AG und Lyoness Europe AG mit formellem Sitz in Buchs», bestätigt der Erste Staatsanwalt Thomas Hansjakob.
Schweiz ermittelt nicht, weil Zentrum in Österreich liegt
Chef-Staatsanwalt Thomas Hansjakob erklärt auch den Grund: «Die österreichischen Strafverfolgungsbehörden ermitteln in dieser Sache; beschuldigt sind österreichische Staatsangehörige mit Wohnsitz in der Republik Österreich. Bei dieser Sachlage (doppelte Strafverfolgung; keine Auslieferung eigener Staatsangehöriger durch Österreich an die Schweiz) ist ein originäres Strafverfahren in der Schweiz nicht zielführend. Der Kanton Sankt Gallen wird ein allfälliges Rechtshilfeersuchen der österreichischen Behörden nach gewohnter Manier prüfen und bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen Rechtshilfe leisten.»
Und wie steht es um die Behauptung, das Geschäftsmodell von Lyoness sei von «verschiedenen Schweizer Behörden» für «rechtlich einwandfrei» erklärt worden?
Auch hier sind Nachfragen äusserst aufschlussreich - die Antworten dürften Lyoness nicht gefallen.
Behörden haben Lyoness nie Freipass erteilt
Seit April 2012 ist das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) für mutmassliche Schneeballsysteme zuständig.
Guido Sutter, Chefjurist des Seco, sagt: «Das Seco hat das Geschäftsmodell der Lyoness zu keinem Zeitpunkt «als rechtlich einwandfrei» erklärt. Das Seco hat diesen Umstand Lyoness am 15. Juni 2012 mitgeteilt und um eine Erklärung für die Behauptung in der Pressemitteilung vom 6. Juni 2012 ersucht. Dabei erklärte der Vertreter von Lyoness, Lyoness habe sich bei dieser Behauptung auf die Comlot und die Finma berufen.»
Mathias Vorbach von Lyoness meint dazu: «Wir möchten festhalten, dass in dieser Pressemitteilung nicht die Rede davon war, dass das Seco das festgestellt hat. Lyoness wurde bereits in der Vergangenheit von unterschiedlichsten Behörden überprüft – auch in der Schweiz.»
Was also meinen die Schweizerische Finanzmarktaufsicht (Finma) sowie die Lotterie- und Wettkommission (Comlot) dazu?
Finma: «Geschäftsmodell nicht geprüft»
Christina Bürgi von der Schweizerischen Finanzmarktaufsicht erklärt: «Es ist richtig, dass sich die Finma mit der Lyoness beschäftigt hat. Wir haben das Geschäftsmodell nicht «geprüft», sondern abgeklärt, ob die Gesellschaft Dienstleistungen anbietet, die eine Bewilligung erforderlich machen. Die Finma hat die Abklärungen zur Tätigkeit der Lyoness im Juli 2011 eingestellt, da sich der Anfangsverdacht auf eine bewilligungspflichtige Tätigkeit nicht bestätigt hat.»
Wichtig ist der Finma, darauf hinzuweisen, dass sie sich «ausschliesslich auf die Frage der Unterstellungspflicht unter die Finanzmarktgesetze» beschränkt habe. Und weiter: «Zur Seriosität der Tätigkeit der Lyoness äussern wir uns nicht.»
«Komplexes und undurchsichtiges System»
Auf Anfrage von handelszeitung.ch zu Lyoness meinte David Keller von der Lotterie- und Wettkommission (Comlot): «Die Comlot hat das Geschäftsmodell von Lyoness nie als «rechtlich einwandfrei» beurteilt. Die Comlot hat vielmehr darauf hingewiesen, dass es sich bei Lyoness um ein komplexes und undurchsichtiges System handelt und dass sie bezweifelt, dass die Teilnahme am System für einen Teilnehmer die von Lyoness angepriesenen (finanziellen) Vorteile mit sich bringt.»