Der Zürichberg ist ein eigenartiger Ort. Einerseits residieren dort die Reichen einer der teuersten Städte der Welt. Andererseits dient er als Habitat für weitaus exotischere Kreaturen. Auf rund einem Hektar Land im Quartier Fluntern – Besuchern aus allen Ecken der Schweiz mag dieser Ort als Masoala-Regenwald bekannt sein – tummeln sich etwa 40 Tierarten, die man normalerweise nicht in diesem Gebiet antreffen würde. Die Wesen, die dort kreuchen, fleuchen, wieseln und wuseln, haben etwas gemeinsam: Sie mögen es gern warm – um die 18 bis 25 Grad.
Wie wird für das üppige Klima im Dschungel-Replikat des Zoos Zürich gesorgt? Unter dem Tropenparadies, in 250 Metern Tiefe, befinden sich 40 Sonden, die der Erde Wärme entziehen. Mittels einer Wärmepumpe wird so der grösste Teil der benötigten Wärme für den Regenwald produziert. Dieses Heizsystem ist beim Zoo Zürich nur eine von vielen Massnahmen, um CO2-Emissionen einzusparen.
«Es ist Teil unseres Selbstverständnisses», so Zoo-Direktor Severin Dressen. «Wir verstehen uns als Naturschutzzentrum, und Teil des aktiven Naturschutzes ist die Reduktion von Emissionen.»
Klimabewusste Unternehmen 2022
Aus Dressens Sicht wäre es paradox, Naturschutzprojekte im Ausland zu unterstützen, aber in den eigenen vier Wänden beziehungsweise im eigenen Gehege nicht dieselbe Philosophie anzuwenden. Im Zeitraum von 2015 bis 2020 konnte der Zoo Zürich die «Emissionsintensität», also den Ausstoss an Treibhausgas pro erwirtschafteter Umsatzmillion Franken, um rund 36 Prozent senken.
Damit belegt der Zoo Zürich den vierten Rang im neuen Ranking der klimabewussten Firmen der Schweiz, das BILANZ mit Statista erarbeitet hat.
Bei den Firmen hierzulande, das dürften auch Herr und Frau Schweizer bemerkt haben, tut sich punkto Nachhaltigkeit einiges. Durch den Wechsel zu fossilfreien Heizsystemen, Ökostrom und die schrittweise Umstellung auf Elektrofahrzeuge konnte Swisscom etwa die Emissionsintensität seit 2015 jährlich um rund 50 Prozent reduzieren – der Telekom-Konzern liegt damit an der Spitze unseres Rankings.
Zug Estates wiederum hat den CO2-freien Betrieb von Liegenschaften zum Kern der Nachhaltigkeitsstrategie erklärt. Die Folge: Seit 2017 senkte die Immobilienfirma die Emissionsintensität jährlich im Schnitt um rund 48 Prozent und rangiert damit auf Platz zwei. Auch beim Gebäudebau will man jetzt anpacken: «Die Kreislauf-Thematik hat massiv an Bedeutung gewonnen», sagt CEO Patrik Stillhart.
«Mit welchen Materialien baue ich? Und wie verbaue ich sie, dass ich sie wiederverwenden kann?», lauten die Herausforderungen. «Neue Materialien und Konstruktionsweisen ermöglichen es, CO2-Emissionen beim Bauen deutlich zu reduzieren und Baustoffe wiederzuverwenden», so Stillhart.
Bei Logitech auf Platz drei sorgten die Umstellung auf erneuerbare Energiequellen sowie Investitionen in Kreislaufmodelle und rezyklierbare Materialien für eine durchschnittliche jährliche Reduktion der Emissionsintensität von 40 Prozent.
Die Verpflichtungserklärung zum Klimaschutz hat beim Computerperipherie-Hersteller zudem einen Schub ausgelöst: «So sind wir gezwungen, die Entwicklung nachhaltigerer Lösungen zu beschleunigen und die Messlatte für künftige Produkte höher zu legen», sagt Prakash Arunkundrum, Head of Global Operations & Sustainability bei Logitech.
Die Zielsetzungen für klimabewusste Unternehmen
Was auffällt: Die Schnittmenge der grünen Engagements von Firmen ist gross. Weg mit Heizöl und her mit fossilfreien Heizsystemen sowie natürlichen Kältemitteln. Nein zu Graustrom und ja zu Strom aus zu 100 Prozent erneuerbaren Energien. Adieu Dreckschleuder-LKWs und hallo E-Flotte. So reduzieren Firmen vor allem CO2-Emissionen im eigenen Betrieb und aus bezogener Energie – im Fachjargon Scope 1 und 2 genannt.
Dass viele Unternehmen ähnliche Ansätze zur Verbesserung ihrer CO2-Bilanzen verfolgen, ist kein Zufall. Heizung, Klimaanlage, Strom – das alles ist im Geltungsbereich einer Firma. Scope 1 und 2 sind demnach die tief hängenden Früchte für ein Unternehmen. Massnahmen in diesen Segmenten schlagen sich manchmal sogar positiv in der Firmenbilanz nieder.
«Technologie spielt in der ganzen Berechnung eine wichtige Rolle», so Anna Krutikov, Head of Sustainable Development bei Glencore. «Je ausgereifter und effizienter die Klimatechnologie ist, desto einfacher wird es für Firmen, Klimamassnahmen umzusetzen.» Wie schnell diese Entwicklung vorankommt, zeigt sich bei Glencore klar.
Wurden 2020 Möglichkeiten zur liquiditätsfördernden Reduktion von rund 3 Millionen Tonnen CO2 ermittelt, waren es für 2021 bereits 5,6 Millionen Tonnen.
Knackpunkt in der Öko-Bilanz
Klassensiegerin Swisscom nutzt einen internen Klimafonds aus der Rückgabe von CO2-Lenkungsabgaben, um (noch) nicht wirtschaftliche Initiativen umzusetzen. Die Telco hat etwa Wärmepumpen und Solarenergie eingeführt, bevor die Lebensdauer der fossilen Anlagen zu Ende war. «Wir wollen unseren Stromverbrauch bis 2030 um 20 Prozent senken.
Das ist bei jährlich steigenden Datenmengen eine grosse Herausforderung», sagt Saskia Günther, Head of Corporate Responsibility bei Swisscom.
Wenn Scope 1 und 2 tief hängende Früchte sind, dann ist Scope 3 der Tannenzapfen im Baumwipfel. In Scope 3 werden nämlich jene Emissionen summiert, die über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg entstehen, also auch bei Zulieferern. Die Berechnung der Emissionen aller Prozesse – etwa vom Pflanzen der Kartoffel bis hin zur Platzierung des Fertig-Härdöpfelstocks im Regal – kann demnach sehr komplex und aufwendig sein.
Doch es ist der Löwenanteil der Emissionen von Firmen, der genau auf dieses Segment entfällt und den Weg zur grünen Null so harzig macht. Trotzdem entscheiden sich Firmen wie etwa Swisscom und Logitech, die Netto-null-Strategie auf die ganze Wertschöpfungskette zu applizieren – und ihr Ziel in naher Zukunft zu stecken.
Das ist eine grosse Herausforderung – vor allem, wenn die Dekarbonisierung auch noch vom Kundenverhalten abhängt: «Wenn sich die Ernährungsgewohnheiten in der Schweiz verändern und tierische durch pflanzliche Proteine ersetzt würden, dann wären auch die Emissionen geringer», so Julia Baumann, Department Manager Sustainability bei Lidl Schweiz.
Unter anderem über Kundensensibilisierung könne die Firma ein Stück weit Einfluss nehmen, aber die Entscheidung bleibt beim Kunden. Das gleiche Problem besteht im Bereich Food Waste, der für den Händler klimarelevant ist. Natürlich gebe es betriebliche Massnahmen, die zur Minimierung von Lebensmittelabfall umgesetzt würden, aber: «Der grösste Teil der vermeidbaren Lebensmittelabfälle fällt in Haushalten an», sagt Baumann. Auch hier gilt es zu sensibilisieren: Lidl Schweiz bringt deshalb auf Produkten neben dem Mindesthaltbarkeitsdatum auch den Hinweis «Oft länger gut» an.
Banken, Versicherungen und Co.: Was macht das Geld?
Die Scope-3-Emissionen sorgen vor allem im Finanzmarkt für Furore. Das Bankgebäude mag schon mit ökostrombetriebenen Sitzungszimmern und Recyclingstationen an jeder Ecke grün erscheinen. Doch der unsichtbare Treiber bei den Finanzhäusern ist das Kundengeschäft. Wo wird das Geld investiert?
Und welche Kriterien werden berücksichtigt? NGOs wie Greenpeace beschuldigen Geldinstitute des Greenwashings: Banken hielten sich nicht an die Ziele der Vereinten Nationen oder des Pariser Klimaabkommens und legten die Kriterien für nachhaltige Investments einfach nach Lust und Laune fest. «In dieser Diskussion wird oft vergessen, dass es lange Zeit keine Standards für nachhaltige Produkte gab.
Anbieter mussten demnach die Kriterien selbst festlegen», so Christian Leitz, Head of Responsible Development bei UBS. «Jetzt kommen wir immer mehr in ein regulatorisches Umfeld, aber klare Standards fehlen zurzeit immer noch. Wichtig ist, dass wir völlig transparent sind und der Kunde versteht, was das Produkt macht – und was nicht.»
Marc Chesney, Professor für Finanzmathematik und Leiter des Kompetenzzentrums für nachhaltige Finanzen, versteht das Dilemma. Zu viel Nachsicht dürfe man aber nicht haben: «Es gibt zwar noch kein Label für grüne Produkte – was nicht grün ist, ist aber viel einfacher zu definieren. Solange Banken in den Öl-, Gas- und Kohlensektor investieren, sind sie einfach nicht nachhaltig.»
«Wer Targets für 2050 oder 2060 setzt, meint es einfach nicht ernst.»
Marc Chesney, Professor für Finanzmathematik
Chesney findet besonders harte Worte für Firmen, die zwar den Ausstieg aus problematischen Sektoren auf der Agenda haben, das Ziel aber weit in die Zukunft schieben. «Wer Targets für 2050 oder 2060 setzt, meint es einfach nicht ernst. Bis dann hat der CEO schon mehrere Male gewechselt. Worte sind schön, Taten sind besser. Die Wirtschaft muss hier – grünes – Gas geben.»
Schnelle Lösungen für grüne Unternehmen
Doch schnelle Ausstiege, so sehr sie auch die Öffentlichkeit fordert, sind oft problembehaftet, wie Glencore verdeutlicht. Einerseits befinden sich im Portfolio des Rohstoffgiganten Metalle, die für die Energiewende benötigt werden, beispielsweise Kupfer, das in Elektroautos und Windkraftanlagen verbaut wird, oder das Batteriemetall Kobalt. Andererseits bleibt da ja noch das Kohlengeschäft.
«Dank unserem diversifizierten Portfolio können wir Investitionen in die Übergangsmetalle priorisieren», erklärt Anna Krutikov. Glencore wolle schrittweise ihre Scope-3-Emissionen reduzieren, welche mehrheitlich auf die Verwendung der von ihr produzierten Kohle zurückzuführen sind. 2023 sollen bereits drei Werke in Australien (Liddell, Integra und Newlands) geschlossen werden.
Das Kohlengeschäft einfach loszuwerden, ist jedoch nicht immer im Interesse der Umwelt. Man denke nur an Anglo American: 2021 spaltete der Rohstoffkonzern mit Sitz in London das Kohlengeschäft ab, das nun unter dem Namen Thungela firmiert. Dieser Schritt brachte Anglo American zwar eine Entlastung der CO2-Bilanz – der neue CEO von Thungela signalisierte jedoch, die Kohlenproduktion ausbauen zu wollen.
Auch Glencore ist sich bewusst: Assets loswerden, ohne die Konsequenzen einzubeziehen, ist problematisch. «Mit schnellen Lösungen würde unsere CO2-Bilanz geschont, aber dem Klima wäre damit nicht geholfen», so Krutikov.
Klimaengagement auf allen Unternehmensebenen
Investorendruck, Kundennachfrage oder ein Verantwortungsgefühl – die Gründe für grünes Engagement variieren. Was aber klar ist: Das Klimathema rangiert bei Schweizer Firmen an oberster Stelle und geniesst Unterstützung auf unterschiedlichen Ebenen.
«Wir sind selbst unsere härtesten Kritiker», sagt Zoo-Direktor Dressen über das Nachhaltigkeitsbewusstsein, das er bei den Mitarbeitenden sieht: «Wer sich nicht für Naturschutz und Nachhaltigkeit interessiert, wird im Zoo auf die Dauer nicht glücklich.» Auch bei Holcim heisst es öfters «bottom-up», wenn es um grüne Initiativen geht.
«Der Verwaltungsrat sowie die Konzernleitung stehen zu 100 Prozent hinter uns»
Saskia Günther, Head of Corporate Responsibility bei der Swisscom
«Mitarbeitende in der Nordwestschweiz haben Plastikflaschen und Wegwerf-Kaffeebecher aus dem Werk verbannt, während sich ein anderes Team in der Nordostschweiz dafür einsetzt, dass seltene Uferschwalben mitten in unserer Kiesgrube brüten können», sagt Clemens Wögerbauer, Head Commercial & Sustainability bei Holcim.
Grüne Teppichetage bei klimabewussten Firmen
Rückenwind gibt es auch von der Teppichetage. «Der Verwaltungsrat sowie die Konzernleitung stehen zu 100 Prozent hinter uns», sagt Saskia Günther, welche die enge Zusammenarbeit für ambitiöse Nachhaltigkeitspläne mit Noch-CEO Urs Schaeppi und der Konzernleitung schätzt. Damit ist Swisscom nicht die einzige Firma, bei der das Thema Nachhaltigkeit ganz oben angesiedelt ist.
Bei UBS und Holcim sind die Nachhaltigkeitsbeauftragten Teil der Konzernleitung, bei Lidl wird das Thema auf Geschäftsleitungsebene gesteuert. Die spezifischen Abteilungen, welche die Klimaproblematik innerhalb eines Unternehmens anpacken, sieht Günther lediglich als Zwischenlösung: «Umwelt- und Klimathematiken sollten Fundament und Bestandteil jedes Studiengangs sein», erklärt sie.
«Dann würde es uns Nachhaltigkeitsdelegierte in Zukunft nicht mehr in der heutigen Form brauchen.»
Für den Schweizer Klimatologen Reto Knutti ist klar: Um die Klimakrise zu lösen, müssen Politik, Wirtschaft und die Individuen am selben Strang ziehen.
Herr Knutti, der Groschen scheint bei den Firmen punkto Klimamassnahmen gefallen zu sein. Sind Sie als Klimaexperte zufrieden?
Beim Sustainability Reporting gibt es noch viel heisse Luft und farbige Broschüren. Aber ja, der Mikado-Effekt – wer sich zuerst bewegt, der verliert – ist zumindest verschollen. Firmen sind keine Weltretter, aber sie haben verstanden, dass es in Anbetracht von CO2-Preisen, drohenden Klimaklagen und Kunden-Shitstorms ein grosses wirtschaftliches Risiko ist, nicht auf die Themen Nachhaltigkeit und Klima einzugehen.
Heisst das, die Wirtschaft kann die Klimakrise alleine lösen?
Nein. Die Aufgabe der Wirtschaft ist es, innovative Lösungen zu bringen, die Aufgabe der Politik ist es, einen Rahmen zu setzen. Wenn die Politik ihre Aufgabe nicht erfüllt, dann bewegt sich bei der Innovation nichts.
Wie meinen Sie das?
Schauen wir doch einmal in die Vergangenheit: Noch nie wurde ein Umweltproblem nur durch spontane Innovation gelöst. Abwasserleitungen, Kläranlagen, Partikelfilter und das Asbestverbot – das ist alles entstanden, weil die Politik gesagt hat: «So kann es nicht mehr weitergehen.» Das heisst nicht, dass Innovation und der freie Markt keinen Platz haben, aber dieser muss sich innerhalb des von der Politik gesetzten Rahmens befinden. Die Lenkungsabgabe etwa ist ein politischer Rahmen, der technologieoffen ist: Ob sich schlussendlich Solar- oder Windenergie durchsetzt, ist egal. Aber nur wenn der politische Rahmen existiert, ist es für die Wirtschaft attraktiv, etwas zu ändern.
Der Rahmen ist also wichtig. Doch die Politik steht zurzeit ziemlich mutlos da.
Ja, das stimmt, aber das ist nicht nur ein Problem der Politik, sondern der Gesellschaft. In der Schweiz sind wir sehr konservativ und individualistisch unterwegs. Wir tun uns so unheimlich schwer damit, vorausschauend klare Regeln aufzustellen. Denken Sie nur einmal an die Pandemie. Individualismus ist eine schlechte Voraussetzung, um kollektive Probleme zu lösen. Und trotzdem: Die Schweiz hätte extrem viele Voraussetzungen, um in der Klimadiskussion eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Wir haben Geld, gut ausgebildete Leute, politisch stabile Verhältnisse und gute Infrastrukturen. Wir stehen uns aber manchmal selber im Weg.
Sie arbeiten ja mit vielen Firmen zusammen – blicken Sie zuversichtlich in die Zukunft?
Ja ich bin zuversichtlich. Umwelt und Nachhaltigkeit sind, wie man mir mal so schön gesagt hat, kein «links-grünes Birkenstock-Thema» mehr, es wird nicht mehr belächelt. Es hat sich wirklich etwas geändert, und das merke ich selber in der Zusammenarbeit mit den Firmen. Da gibt es Männer mit weissen Haaren und Krawatte, die mir sagen: «Ich denke heute anders als früher, wir können und möchten auch etwas dagegen tun.» Wenn solch ein Sinneswandel ganz oben in den Konzernleitungen stattfindet, dann ist das Gold wert. Die gute Botschaft ist nämlich: Während die Politik frustrierend langsam ist, geht es bei den Firmen sehr schnell vorwärts. Was heute entschieden wird, kann morgen schon umgesetzt werden.