Die Entwicklung in den vergangenen 40 Jahren führte von traditionellen materiellen hin zu immateriellen Vermögenswerten. Dazu gehören unter anderem Patente, Rezepturen oder auch Warenzeichen. Mehr als 85% des Wertes des Standard & Poor’s 500 Aktienindex gründet heute auf immateriellen Vermögenswerten der gelisteten Unternehmen. Weltweit ergibt das eine Summe von 60 Billionen Dollar. Viele Unternehmen – auch in der Schweiz – haben den Wert des geistigen Eigentums als Unternehmens-Asset noch nicht erkannt. Gleichzeitig wird der Sicherung dieser Werte zu wenig Beachtung geschenkt. 


Herr Schmid, das geistige Eigentum als immaterielles Unternehmensvermögen wird bis heute zu wenig geschützt. Weshalb?

Raphael Schmid: Nur wenige Unternehmen erkennen den Wert ihres geistigen Eigentums, also des Intellectual Property’s (IP). Daher gibt es in den meisten Fällen auch keine sogenannte IP-Strategie, die widerspiegeln würde, wie dieser Wert maximiert werden könnte.

Wird der Wert von geistigem Eigentum nicht verstanden?

Raphael Schmid: Obwohl geistiges Eigentum der wertvollste Vermögenswert ist, den ein Unternehmen besitzt, erlauben die aktuellen Buchhaltungsstandards nicht, dass intern entwickeltes geistiges Eigentum explizit als Teil der Bilanz eines Unternehmens bewertet wird. Dies führt dazu, dass viele Unternehmen den Wert nicht genügend würdigen und eine Wachstumsfinanzierung noch immer durch Kaptalverwässerung geschieht.

Was wären denn aber Voraussetzungen für eine Bilanzierung?

Raphael Schmid: Der immaterielle Wert muss im Zeitpunkt der Bilanzierung identifizierbar sein, der Wert muss dem Unternehmen zustehen, er muss einen für das Unternehmen messbaren und nachhaltigen Nutzen haben und die zur Fertigstellung und Vermarktung oder zum Eigengebrauch des immateriellen Wertes notwendigen Mittel müssen verfügbar sein.

Zurück zur Wachstumsfinanzierung…

Will Kier: …für die wir andere Lösungsansätze, als eine Kapitalverwässerung sehen.

Sie sprechen von Kreditlösungen, Herr Kier?

Will Kier: Ja, Aon hat vor kurzem eine versicherungsgestützte Kreditlösung entwickelt, die den Weg zu Wachstumskapital eröffnet, ohne die Eigentumsrechte und den Wert für ihre Gründer und Investoren zu tangieren.

Wobei Sie in erster Linie auf die Beurteilung der immateriellen Vermögenswerte abstellen.

Will Kier: Wir sind nun in der Lage, IP-Vermögenswerte zu beurteilen und zu bewerten, indem wir eine proprietäre IP-Analyseplattform nutzen. Dieser Ansatz wird von einigen branchenführenden Versicherern unterstützt. Damit arrangieren wir einen Versicherungsschutz, um die Interessen eines Kreditgebers am geistigen Eigentum zu schützen, das der Kreditnehmer als Sicherheit für den Kredit verwendet. Durch das Vertrauen des Kreditgebers in die immateriellen Sicherheiten stehen die Türen für Kreditgeber offen, sich risikoarm zu engagieren und Unternehmen Kapital zur Verfügung zu stellen, das zuvor als unerreichbar galt.

Wo sehen Sie die Zukunft der IP-versicherten Kreditvergabe? 

Will Kier: Wir können mit Sicherheit sagen, dass IP und immaterielle Vermögenswerte auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten ein wichtiger Bestandteil des Unternehmenswertes für Unternehmen sein werden. Damit erklärt sich, dass sich die IP-gesicherte Kreditvergabe weiter entwickeln wird.

Können Sie ihre Aussage beziffern?

Will Kier: Allein in den letzten neun Monaten wurden durch unsere Lösung Transaktionen im Wert von mehr als 150 Mio. Dollar getätigt. Kürzlich haben wir eine 49-Millionen-Dollar-Transaktion für Entrinsic Bioscience ermöglicht, um die Entwicklung und Kommerzialisierung von funktionellen und aktiven pharmazeutischen Inhaltsstoffen der nächsten Generation zu beschleunigen. 

Wie schätzen Sie die die Nachfrage ein?

Will Kier: Wir gehen davon aus, dass wir mit unserem Ansatz Geschäfte in der Grössenordnung von $1Billion Dollar pro Jahr ermöglichen. Um dies zu realisieren, sind kontinuierliche Investitionen in geistiges Eigentum auf der Ebene des Kreditnehmers und ein kontinuierliches Engagement von Versicherern und Kreditgebern in dieses Ökosystem erforderlich.

Wie wird IP eigentlich bei einer M&A-Transaktion bewertet?

Raphael Schmid: Eine traditionelle IP Due Diligence findet eher spät im Lebenszyklus der Transaktion statt und prüft mögliche Problematiken im Zusammenhang mit Eigentumsrechten, Verlängerungsgebühren, Pfandrechten, Ansprüchen Dritter, unzureichenden Nachweisen für IP-Übertragungen, Lizenzen oder laufende Rechtsstreitigkeiten. 

Wird in einem solchen Prozess auch eine qualitative Bewertung der IP-Vermögenswerte vorgenommen?

Raphael Schmid: Leider viel zu wenig. Dies ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass ein sehr bedeutender Anteil des Wertes eines Unternehmens auf geistigem Eigentum basiert.

Liegt die Schwierigkeit in der Bewertung?

Raphael Schmid: Das stimmt. Doch um dieses Problem zu lösen, haben wir einen Prozess entwickelt, der unsere eigene IP-Analyseplattform nutzt, um die Qualität der IP-Assets schnell und umfassend zu bewerten. Dieser Prozess bewertet die Abdeckung, die Chance und das Risiko der IP-Assets. 

Erfahrene Investoren graben vielleicht auch tiefer, um die Reife der IP-Management-Prozesse des Zielunternehmens zu bewerten, da der zukünftige Erfolg auch davon abhängt, wie gut das Unternehmen zukünftig generiertes IP erfasst und schützt. 

Raphael Schmid: In der Tat. Insbesondere Geschäftsgeheimnisse sind zunehmend ein Untersuchungsfeld bei einer IP-Diligence. Studien zeigen, dass ein Teil der Mitarbeiter mit einer anstehenden Transaktion nicht zufrieden sind und Geschäftsgeheimnisse entwenden könnten. Die Überprüfung der Prozesse und Sicherheitsmassnahmen innerhalb des Zielunternehmens kann Investoren beruhigen und auch Bereiche für Verbesserungen identifizieren. 

Sie, Herr Kier, arbeiten zusammen mit Herr Schmid in einem internationalen Aon-Team im Bereich IP. 

Ja, ich arbeite in einem länderübergreifenden Team. Dabei stehe ich in engem Austausch mit Herrn Schmid und unseren Kunden in der Schweiz. Wir setzen in unserem Unternehmen sehr stark auf solchen Organisationsstrukturen ab, da wir dadurch äusserst beweglich, flexibel und lösungsorientiert arbeiten und unsere Kunden beraten können.

Herr Schmid, worin liegt für Sie der Reiz, in diesem Team zu arbeiten?

Es ist die Bedeutung der Fragestellung, auf die wir Antworten zu finden hoffen. Ist die Umwandlung von immateriellen Vermögenswerten in einen greifbaren Wert möglich oder kann solchen Vermögenswerten ein Wert wie anderen Assets auch zugewiesen werden? Oder, wie ermöglichen wir durch unsere Lösungen den Schutz und die Sicherung für Investitionen in Unternehmen, die künftig marktbestimmend und durch ihr enormes geistiges Eigentum ein Quantum Verbesserung und Fortschritt für uns alle ermöglichen können.

 

Interview mit Will Kier, Head of Risk & Insurance, Intellectual Property Solutions EMEA und Raphael Schmid, Chief Specialty Officer, Aon Schweiz