Herr Dhar, viele Börsen eilen von Rekord zu Rekord. Ist der Optimismus gerechtfertigt? 

Zum Teil. Wir haben bei der Bekämpfung der Inflation signifikante Fortschritte gemacht. Aber die Kerninflation liegt noch weit über dem Zielband. Die Frage, ob wir dieses erreichen, ist nach wie vor unbeantwortet. Dass die Inflation für die Märkte erledigt ist, dessen wäre ich mir nicht so sicher. Die Inflation wird sinken, aber langsamer, als die Märkte denken.

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Also fallen die Zinsen nicht? 

Doch, aber der Markt erwartet auch hier zu viel. Bis vor Kurzem waren sechs bis sieben Zinsschritte eingepreist. Beginnen sollte die Lockerung bereits im März. Nun liegt die Markterwartung nur noch bei vier Zinssenkungen, beginnend im Juni. Ich halte in diesem Jahr drei Zinsschritte für realistisch. 

Trifft die Prognose ein, würde es zu einer Ernüchterung führen. Glauben Sie an eine Korrektur? 

Bleibt die Geldpolitik restriktiver als erhofft, wird die Hausse an den Märkten eingebremst. Langfristig sind wir für Aktien positiv, auf Sicht von sechs bis zwölf Monaten ist grössere Vorsicht angebracht. Aber glücklicherweise sind die Bondmärkte ja wieder eine Alternative.

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Also in Bonds investieren? 

Sie machen vor allem für US-Dollar-Anleger wieder Sinn. Der Begriff Income wird seinem Namen wieder gerecht. Die Yields sind so hoch wie seit einer Dekade nicht und werden wohl auf Sicht von fünf bis zehn Jahren dort bleiben. Bonds spielen wieder die Rolle, die sie vor der Finanzkrise gespielt haben. Ich habe mir die Entwicklung der Zinsen über 300 Jahre angesehen. Die Zeit der Null- bis Negativzinsen von 2008 bis 2020 ist völlig abnormal. Wir kehren wieder in die normale Welt zurück, die etwas in Vergessenheit geriet.

Ein Treiber der Hausse wäre kräftiges Wirtschaftswachstum. Ist die US-Rezession wirklich kein Thema mehr? 

In unserem Hauptszenario nicht. Das Wachstum in den USA dürfte sich ein wenig abschwächen, ist dank der KI-Profiteure aber immer noch stärker als in Europa. Die chinesische Wirtschaft läuft ganz okay. Dem Szenario einer unvermeidbaren Rezession, wie es Anfang 2023 verbreitet war, geben wir eine Wahrscheinlichkeit von 40 Prozent.

Wie würde es dazu kommen? 

Wenn die Inflation wieder steigen würde und die Notenbanken die Zinsen anheben müssten. Der Markt rechnet derzeit in keiner Weise damit – es ist «the single most underpriced thing in the market». Aber so sicher wäre ich da nicht. Die Gefahr, dass das Inflationsbiest im zweiten Halbjahr zurückkommt, ist nicht unerheblich.

Erich Gerbl
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