Herr Hartmann, nach Verlusten von 20 Prozent befindet sich nun auch die Schweizer Börse offiziell im Bärenmarkt. Wie lange hält der Ausverkauf an?

Ich fürchte, noch länger. Die Rezessionsrisiken werden sowohl von den Marktteilnehmern als auch von den Notenbanken unterschätzt. Die Leute glauben, dass schon einiges Ungemach in den Kursen enthalten ist, Aktien günstig sind und man wieder einsteigen kann. Der Zeitpunkt für den Einstieg kommt mit dem konjunkturellen Tiefpunkt, und der wird frühestens Mitte 2023, vielleicht erst Ende 2023, erreicht sein. Bis dahin sehe ich eine weitere Korrektur von mindestens 20 Prozent. Beim S&P 500 sehe ich einen Verfall auf 3000 Punkte, der DAX dürfte wieder Richtung 10 000 Punkte gehen, der SMI auf 8200 Punkte korrigieren. Insgesamt werden es zwei schlechte Aktienjahre. 2022 wegen des Zinsschocks, 2023 wegen der Rezession.

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Was macht Sie so sicher?

Unsere Frühindikatoren. Die zeigen sowohl für die Konjunktur in den USA als auch Europa steil nach unten. Unser Index für die Gewinnmargen ist so deutlich nach unten gerichtet wie selten zuvor. Analysten gehen immer noch davon aus, dass es 2023 ein Gewinnwachstum gibt, diese Einschätzung teile ich überhaupt nicht.

Analysten kennen die Firmen doch meist gut. Warum liegen sie so daneben?

Sie sind es gewohnt, dass die Konzerne die Gewinne selbst in schwierigen Zeiten steigern, so wie es in der Covid-Krise der Fall war. Und selbst die Notenbanken hoffen auf ein Soft Landing. Aber wir haben einen Energiepreisschock, die Löhne schiessen in die Höhe, und wie in einer konzertierten Aktion steigen die Zinsen global kräftig an. Das kann nur zu etwas Negativem führen. Die globale Rezession kommt, und damit schrumpfen die Gewinne.

Wann kommt die Rezession genau, und wie schwer wird sie?

Spätestens Ende des Jahres wird klar, dass in Europa und den USA eine Rezession bevorsteht. Derzeit rechne ich für 2023 mit BIP-Einbussen von einem Prozent, aber es könnte deutlich mehr werden. Das wahre Ausmass zeigt sich erst in den kommenden Monaten. Die Schweiz könnte mit einer leichten Rezession davonkommen.

Kommen dann wieder die Notenbanken zu Hilfe?

Ja, schon Ende des Jahres werden die Zinsen nicht mehr steigen. Die Fed dürfte den Leitzins 2023 sogar senken, weil die Arbeitslosigkeit deutlich steigt. Bei der EZB könnte es bei Senkungsdebatten bleiben. Auch die führen schon zur Auspreisung der Leitzinserwartungen. Aktuell rechnet der Markt mit zu vielen Zinsschritten. Ich denke, in der Eurozone ist nicht bei 3, sondern bei 1,5 bis 2 Prozent Schluss.

Erich Gerbl
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