Im August letzten Jahres entfachte eine Neuigkeit aus Indien eine grosse Diskussion in den sozialen Netzwerken: Mitarbeiterinnen von Zomato, dem grössten Lieferdienst Indiens, können jetzt bis zu zehn Tage im Jahr bezahlten Menstruationsurlaub nehmen. «Bei Zomato wollen wir eine Kultur des Vertrauens, der Wahrheit und der Akzeptanz fördern», schreibt CEO Deepinder Goyal im Blog des Unternehmens. Er will das Thema von seinem Stigma befreien, indem er Frauen das Recht auf Menstruationsurlaub verleiht.

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Mit der Entscheidung, seinen weiblichen Angestellten Menstruationsurlaub zuzusichern, wagt Zomato gerade für ein indisches Unternehmen einen grossen Schritt – denn in dem Land ist die Periode immer noch ein grosses Tabuthema. Während ihrer Menstruation gelten Frauen dort als unrein und dürfen zum Beispiel keine Tempel betreten.

Ganz so drastisch reagiert die Gesellschaft in den meisten westlichen Ländern nicht auf die Tage – doch im Arbeitsleben wird immer noch kaum über Bauchkrämpfe und Co. gesprochen. Dabei zeigt eine Studie der Unternehmensberatung Kearney und der NGO Wash: Allein in der EU kostet es Unternehmen mehr als 100 Milliarden Euro pro Jahr, sich nicht mit dem Thema Periode auseinanderzusetzen.

Schmerzen verheimlichen

Der Studie zufolge kommen diese Kosten folgendermassen zustande: Viele Frauen, die während ihrer Tage unter Schmerzen leiden, verheimlichen ihr Unwohlsein, ruhen sich nicht aus – und arbeiten deshalb weniger effektiv. «Rund 32 Prozent der deutschen Befragten geben an, dass sie während ihrer Menstruation sehr viel unproduktiver sind», so Carsten Gerhardt, Partner bei Kearney und Co-Autor der Studie.

Durchschnittlich 1,3 Tage im Jahr lassen deutsche Frauen sich wegen Menstruationsbeschwerden krankschreiben. An 7,6 Tagen leiden sie so stark unter der Periode, dass es ihre Arbeit negativ beeinflusst. Für berufstätige Frauen ergibt sich dadurch ein jährlicher Produktivitätsverlust von insgesamt 8,9 Tagen. «Nimmt man für diese Tage nun die Durchschnittslöhne für Frauen in der EU, dann gehen jedes Jahr 107 Milliarden Euro an Produktivität verloren», sagt Gerhardt. «Das liesse sich durch periodenfreundlichere Arbeitsumfelder deutlich reduzieren.»

Medizinische Faktoren mitdenken

Laut der Befragung zeichnen sich Unternehmen, in denen sich Frauen während ihrer Periode wohlfühlen, vor allem durch flexible Arbeitszeiten und Aufgaben aus. Ein Menstruationsurlaub wie beim indischen Essenslieferanten sei allerdings nur ein Anfang, meint Theres Blöchlinger. Sie war Leiterin des Frauenambulatoriums in Zürich und ist Mitglied des feministischen Netzwerkes Wide, das sich mit Fragen der Wirtschafts-, Sozial- und Entwicklungspolitik beschäftigt und Workshops gibt. Blöchlinger sagt: «Frauen spielen in Wirtschaftstheorien, die teilweise älter als 300 Jahre sind, kaum eine Rolle – und die Periode natürlich auch nicht.» Für eine Gleichstellung von Mann und Frau sei es wichtig, dass erwerbstätige Frauen einen zusätzlichen bezahlten Menstruationsurlaub in Anspruch nehmen dürfen. «Medizinische Faktoren wie die Menstruation müssen in der Arbeitswelt enttabuisiert und explizit mitgedacht werden», fordert Blöchlinger.

Bei Unia, der grössten Gewerkschaft der Schweiz, sieht man das anders. Die Gewerkschaft vertritt Arbeitnehmer unterschiedlicher Berufsgruppen – und hält ein Recht auf Menstruationsurlaub für unnötig. «Es kann sein, dass sich eine Frau bei starken Menstruationsbeschwerden krank fühlt. In diesem Fall ist sie auch krank und es gilt das entsprechende Gesetz», sagt Sprecherin Leena Schmitter. In der Schweiz bedeutet das: Wer krank ist und sich arbeitsunfähig fühlt, muss umgehend seinen Arbeitgeber benachrichtigen.

Ab welchem Krankheitstag ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin ein Arztzeugnis vorweisen muss, liegt beim Unternehmen, meist ist es der dritte Tag nach der Krankmeldung. Daher meint Schmitter: «Die Unia befürwortet keinen generellen Menstruationsurlaub – denn Menstruation ist schliesslich keine Krankheit.» Das sagt auch Brigitte Leeners. Sie ist Direktorin der Klinik für Reproduktionsendokrinologie in Zürich und hat bereits mehrfach zu der Frage geforscht, ob die Menstruation einen Einfluss darauf hat, wie produktiv eine Frau arbeitet.

Ihr Ergebnis: «Der Zyklus einer gesunden Frau beeinträchtigt nicht ihre kognitiven Fähigkeiten», so Leeners. Das heisst zum Beispiel: Nur weil eine Frau gerade menstruiert, kann sie sich nicht pauschal schlechter konzentrieren. Damit entkräftet Leeners das Gerücht, dass Frauen während ihrer Periode grundsätzlich geringere Denkleistungen erbringen können und damit unproduktiver sind als Männer.

Falsche Signalwirkung

Die Ärztin will damit auch die Position von Frauen auf dem Arbeitsmarkt stärken. Auch wenn die meisten Verfechter des Menstruationsurlaubs den Bedürfnissen von Frauen entgegenkommen wollen, können sie ihnen damit durchaus auch schaden, ist Leeners überzeugt: «Wenn Frauen wegen ihrer Periode grundsätzlich mehr Urlaub nehmen können und ein Arbeitgeber im Einstellungsprozess die Wahl zwischen einem männlichen und einem weiblichen Bewerber hat, ist die Chance bei einer solchen Regelung gross, dass er sich für den Mann entscheidet.» Da für Erkrankungen im Zusammenhang mit der Menstruation im Bedarfsfall bereits Möglichkeiten für Krankschreibungen bestehen, ist Leeners gegen einen gesetzlich festgelegten Menstruationsurlaub.

Allerdings findet auch Leeners: Wenn eine Frau so stark unter Menstruationsbeschwerden leidet, dass sie sich nicht auf ihre Arbeit konzentrieren kann, muss sie wie bei anderen Schmerzerkrankungen zu Hause bleiben dürfen – ohne sich rechtfertigen zu müssen. «Bei Frauen, die während ihrer Periode grosse Beschwerden haben, liegt oft eine Krankheit wie Endometriose vor, die sowieso ärztlich behandelt werden muss.» Endometriose ist eine unter Frauen weitverbreitete Krankheit, bei der starke Schmerzen im Unterleib auftreten können. «Bei solchen Krankheiten nützt Menstruationsurlaub nichts – denn die Schmerzen treten oftmals auch unabhängig von der Periode und mehrfach im Zyklus auf», sagt Leeners.

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