Um den Herausforderungen zu begegnen, wird die berufliche Vorsorge zunehmend individualisiert (Stichworte: Wahlmöglichkeiten im BVG, BVG-1e-Pläne), und die private Selbstvorsorge soll ausgebaut und gestärkt werden (Stichwort: Säule 3a Motion, Ettlin). Wie ist diese Entwicklung zu beurteilen?

Autor: Dr. Roland Hofmann, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, School of Management and Law. Dozent für Banking und Finance, Studienleiter MAS Financial Consulting.

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Bereits seit über fünfzig Jahren kennt unsere Verfassung das Dreisäulenprinzip. Eine Daumenrechnung zeigt, dass bei einem Lohn von 90’000 Franken je etwa ein Drittel der Altersleistungen aus den drei Säulen stammt. Wer sich also im Alter nicht einschränken will, muss in der dritten Säule individuell vorsorgen. Bei höheren Löhnen steigt zudem der persönliche Sparbedarf an. Die dritte Säule ist unabdingbar für die Altersvorsorge. Die Bedeutungsverschiebung von den ersten beiden hin zur dritten Säule jedoch, die in den letzten Jahren zu beobachten war, hat nicht mit den demografischen und ökonomischen Veränderungen der Altersvorsorge zu tun, sondern sind ein Zeichen für unsere eingeschränkte Fähigkeit, das Vorsorgesystem im politischen Prozess an die sich verändernden Gegebenheiten anzupassen. Insofern ist die Individualisierung der Altersvorsorge ein Symptom und kein Lösungsweg. Die Verfassung sieht vor, dass die dritte Säule die erste und die zweite ergänzen und nicht zunehmend ersetzen soll. Trotzdem ist anzunehmen, dass sich die hier skizzierte Bedeutungsverschiebung hin zur Selbstvorsorge weiter akzentuieren wird.

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Wie sich Individualisierung und Selbstverantwortung auswirken können, zeigt ein Blick ins Ausland. Schweden hat Ende der 1990er Jahre sein Altersvorsorgesystem reformiert. Unter anderem fliesst ein Teil der Beiträge der ersten Säule in ein Kapitaldeckungssystem («Premium Pension» mit individuellem Konto), welches Mitsprachemöglichkeiten bei der Kapitalanlage bietet. Für die Umsetzung gibt es einige Hundert Anlagefonds von privaten Finanzdienstleistern, welche ein staatliches Zulassungsverfahren durchlaufen. Wenn jemand selbst keine Anlagestrategie auswählt, dann fliessen die Beiträge in einen staatlichen Standardfonds. Das volle Anlagerisiko liegt aber immer beim Anleger oder bei der Anlegerin.

Eine Stärke der schwedischen Lösung besteht darin, dass es sich um ein obligatorisches System im Rahmen der ersten Säule handelt und daher breite Bevölkerungsschichten erreicht, welche an den Chancen des Kapitalmarkts (Stichwort: dritter Beitragszahler) partizipieren. Damit ist dieses System nicht unähnlich der beruflichen Vorsorge in der Schweiz. Die Premium Pension erlaubt aber eine individualisierte Anlagestrategie. Weil jede einzelne Person die Anlagerisiken selbst trägt, kommt es auch nicht zu schwierigen Fragen bei der Verteilung der Rendite. Und wer keine Wahl trifft, investiert in den staatlichen Fonds und partizipiert ebenfalls am Kapitalmarkt.

Ein wichtiger Nachteil ist der enorme Beratungsbedarf. In Teilen der Bevölkerung besteht zu wenig Wissen darüber, wie man die Anlagemöglichkeiten nutzen kann. Eigenverantwortung zu übernehmen bei der Kapitalanlage, ist für viele schwierig. Die aktive Fondsauswahl ist seit dem Start der Reform immer stärker zurückgegangen. Der Default-Fonds ist heute derjenige Fonds mit dem deutlich grössten Marktanteil, weil sich viele nicht «aktiv» entscheiden. Vor allem Angestellte aus dem Finanzdienstleistungssektor, Personen mit substanziellen privaten Ersparnissen sowie Personen mit hohem Einkommen und höherer formaler Bildung treffen eine aktive Fondsauswahl. Nichtmuttersprachler und Personen, die ausserhalb der nordischen Region geboren wurden, wählen deutlich weniger aktiv einen Fonds. Weit verbreitet sind typische Anlagefehler von Personen, die ohne Beratung die Fondsauswahl selbst umsetzen.

Was ist das Fazit für die Schweiz? Individualisierung und Selbstverantwortung ist nur dann zu verantworten, wenn man auch die notwendige Beratung anbieten kann. Und zwar auch für die vielen Kundinnen und Kunden, die für Finanzdienstleister ökonomisch «nicht interessant» sind. Mit einer einfachen Selbstberatungs-App ist es nicht getan.