Der Attentäter des Lastwagen-Anschlags mit zwölf Toten auf einem Weihnachtsmarkt in Berlin ist womöglich entkommen. Der als Verdächtiger festgenommene 23-jährige Flüchtling aus Pakistan sei «eventuell auch nicht der Täter», sagte Generalbundesanwalt Peter Frank am Dienstag gut 18 Stunden nach der Tat.
Der Chef des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch, sagte, die Polizei sei weiter «hoch alarmiert«. Es sei noch unklar, ob der Angriff auf den Weihnachtsmarkt einen islamistischen Hintergrund habe. Kanzlerin Angela Merkel nannte es «besonders widerwärtig», sollte ein Flüchtling die Tat begangen haben.
Ein Schwerlaster fuhr am Montag um 20.02 Uhr in eine Budengasse des Weihnachtsmarktes an der Gedächtniskirche, die als ein Wahrzeichen Berlins bekannt ist. Zwölf Menschen wurden getötet, darunter der ursprüngliche Fahrer des aus Polen stammenden und wohl gestohlenen Lkw. Er sei als Beifahrer in der Fahrerkabine erschossen worden, sagte Frank. Verletzt wurden laut Bundesanwaltschaft 45 Personen, davon 30 schwer. Von den Getöteten waren bis zum Nachmittag nach Angaben der Behörden sechs Menschen identifiziert worden. Alle seien deutsche Staatsbürger.
Polizei: Gefährlicher Straftäter womöglich auf freiem Fuss
Der Fahrer bei dem Anschlag flüchtete nach der Tat. Kurz vor 21.00 Uhr wurde ein Verdächtiger gefasst, bei dem es sich laut Sicherheitskreisen um einen 23-Jährigen aus Pakistan handelt. De Maiziere zufolge war er am 31. Dezember 2015 eingereist und registriert worden. Im Februar sei er in Berlin aufgetaucht, wo er in einer Flüchtlingsunterkunft lebte. A
m Dienstagmittag verbreitete die Polizei aber Zweifel, dass der Mann der Gesuchte sei. «Möglicherweise haben wir noch einen gefährlichen Straftäter im Raum», sagte Berlins Polizeipräsident Klaus Kandt. «Es könnte sein, dass die Ermittlungen noch sehr offen sind.» Die Waffe, mit der der polnische Fahrer erschossen wurde, blieb nach Angaben der Behörden verschwunden.
Ein Zeuge verfolgte nach Angaben der Polizei einen Mann, der aus dem Führerhaus des Lkw gesprungen sei. Die Person sei aber nicht lückenlos bis zur Festnahme des Verdächtigen unter Beobachtung gewesen, sagte Kandt. Generalbundesanwalt Frank kündigte an, die Auswertung von Spuren werde noch im Laufe des Tages zeigen, ob der Festgenommene der Täter sei. Bisher sei unklar, ob es einen oder mehrere Täter oder Unterstützer gebe.
Keinen Zweifel mehr an terroristischen Anschlag
«Wir haben in der Zwischenzeit keine Zweifel mehr, dass es sich bei dem schrecklichen Ereignis gestern Abend um einen Anschlag gehandelt hat», sagte Bundesinnenminister Thomas de Maiziere am Mittag. Der kurz nach der Tat festgenommene Mann stamme wohl aus Pakistan. «Er streitet die Tat ab.» Die Berliner Polizei rief per Twitter zur Wachsamkeit auf und warnte: «Gehen Sie verdächtigen Beobachtungen zu Ihrer eigenen Sicherheit bitte nicht selbst nach - dafür sind wir da.»
Ein Bekenntnis der Extremistenmiliz Islamischer Staat gab es de Maiziere zufolge zunächst nicht. Laut BKA-Chef Münch war unklar, ob es einen islamistischen Hintergrund gibt. In zeitlicher Nähe zu einem solchen Anschlag sei mit einem erheblichen weiteren Attentatsrisiko zu rechnen, warnte er. Berlins Polizeichef Kandt sagte, die Lageeinschätzung sei unverändert: «Die Gefahr ist heute nicht grösser, als sie gestern war.»
Merkel: «Tat eines Flüchtlings wäre besonders widerwärtig»
Den Anschlag nahmen verschiedene Politiker zum Anlass, die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung infrage zu stellen. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sagte: «Wir sind es den Opfern, den Betroffenen und der gesamten Bevölkerung schuldig, dass wir unsere Zuwanderungs- und Sicherheitspolitik überdenken und neu ausrichten.» De Maiziere entgegnete: «Heute ist nicht der Tag, über Konsequenzen zu sprechen.» Die Chefin der rechtspopulistischen AfD, Frauke Petry, forderte, «dass unsere so unverantwortlich offen gehaltenen Grenzen endlich wieder kontrolliert werden». Schon im vorigen Jahr wurden Grenzkontrollen wieder eingeführt.
Merkel sagte zu, die Tat werde «aufgeklärt werden in jedem Detail, und sie wird bestraft werden, so hart es unsere Gesetze verlangen». Es sei ein sehr schwerer Tag. Sie sei «entsetzt, erschüttert und tief traurig«. Es sei von einem «terroristischen Anschlag» auszugehen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verurteilte den Anschlag. Papst Franziskus zeigte sich erschüttert. Bundespräsident Joachim Gauck sagte: «Das war ein Angriff auf unsere Mitte, auf unsere Art zu leben.»
Weihnachtsmärkte bleiben offen
Nach Beratungen der Innenminister wurde mitgeteilt, dass die Weihnachtsmärkte offen bleiben sollen. Nur in Berlin seien die Betreiber aufgerufen, die Weihnachtsmärkte aus Rücksichtnahme auf die Opfer und Angehörigen am Dienstag nicht zu öffnen. Die Berliner Polizei gab schon am späten Montagabend zunächst Entwarnung, dass keine weitere Gefahr bestehe.
Der Anschlag weckt Erinnerungen an die Todesfahrt mit einem Lkw am 14. Juli auf der Strandpromenade im französischen Nizza. Dabei wurden mehr als 80 Menschen getötet und Hunderte verletzt. Die Sicherheitsbehören warnen seit langem, Deutschland stehe wie andere Staaten im Fadenkreuz islamischer Extremisten.
(reuters/ccr)