Traditionell wird Champagner in speziellen Momenten gereicht. Ich finde, Champagner sollte auch ausserhalb der «traditionellen Momente» getrunken werden. Denn Champagner macht Momente speziell.
Ich hatte kürzlich das grosse Vergnügen, zwei Tage zusammen mit dem Haus Laurent-Perrier, das seit rund zweihundert Jahren Champagner erzeugt, auf dessen Spuren in der Champagne zu wandeln (siehe Degustationsnotizen ab Seite 107). Wer eine Reise in diese betörende Ecke Frankreichs plant, nehme sich Zeit. Zwei, drei Tage, besser noch eine Woche.
Das Thema Champagner ist umrankt von Mythen und Klischees, ein Labyrinth von Wahrheiten und Unwahrheiten. Selbstverständlich behaupten die Franzosen, dass Champagner in Frankreich erfunden worden sei. Es ist eine charmante Geschichte, dass der Mönch Dom Pérignon der Erfinder des sprudelnden Weines sei. Charmant, aber unwahr. In Wirklichkeit haben englische Biertrinker den Champagner entdeckt.
Die Geschichte des Champagners beginnt Anfang des 17. Jahrhunderts. Fassweise wurde damals Wein aus der Champagne nach England gebracht. Meist geschah dies im Winter, deshalb kann man davon ausgehen, dass die Kälte so manche Gärung unterbrochen hat. Waren die Fässer auf der Insel angekommen, füllten die Engländer den Wein in Flaschen um und verschlossen diese mit richtigen Korken, was damals in Frankreich noch unbekannt war. Die Praxis, Flaschen superdicht zu verkorken, war in England längst vom Verschliessen der Bierflaschen her bekannt.
Zu den Zeiten von Mönch Dom Pérignon wurden in Frankreich Weinflaschen mit hanfumwickelten Holzpfropfen verschlossen. Wenn es dann Frühling und in den Pubs wärmer wurde, erwachte die Hefe aus ihrem Winterschlaf und setzte die für Champagner unentbehrliche zweite Gärung in Gang. Die Kohlensäure, die dadurch entstand, entwich beim Entkorken mit einem kräftigen Knall – und die Engländer waren darüber very amused. Bereits 1662 reichte der Engländer Christopher Merret ein Schriftstück bei der Royal Society ein, in dem beschrieben wurde, wie man Wein zu einer zweiten Gärung und somit zum Schäumen bringt. Dom Pérignon arbeitete erst ab 1668 als Kellermeister der Abtei Hautvillers.
Von Bläschen und Blasen. Champagner kann aus weissen Trauben (Chardonnay), roten Trauben (Pinot noir, Pinot Meunier) oder aus einer Mischung von beiden gekeltert werden. Natürlich müssen diese Trauben aus der französischen Region Champagne stammen und den Gesetzen der Appellation d’Origine Contrôlée (AOC) entsprechen. Laurent-Perrier verwendet für ihre Weine hauptsächlich Chardonnay- und Pinot-noir-Trauben. Pinot Meunier werden sehr sparsam eingesetzt.
Die «Bulles» sind das Markenzeichen vom Champagner, dem Wein edler Geister. Die Grösse und das Verhalten der Blasen im Glas sind ein guter Indikator für die Qualität. Beim Champagner entstehen die Bläschen während der zweiten Gärung in der Flasche. Bei vielen anderen Sprudelweinen (Frizzante, Spumante) werden dem Stillwein die Bläschen mittels Kohlensäure zugesetzt. Bei diesen Sprudelweinen verliert sich die Kohlensäure nach dem Öffnen der Flasche sehr schnell, und der Wein wirkt schal. Ausserdem gibt es noch Cava, Prosecco, Crémant oder Sekt. Doch mehr dazu ein anderes Mal. Schmecken tut alles. Und es ist sicherlich gut, dass es kostengünstigere Varianten gibt, einen Korken knallen zu lassen. Wobei man den Korken eigentlich nicht knallen lassen sollte. Ausser man hat einen Grand Prix der Formel 1 oder eine ähnlich prestigeträchtige Sportveranstaltung gewonnen.
Es ist interessant, einmal ein Glas Champagner und ein Glas billigen Sprudel nebeneinanderzustellen und die Bläschen zu beobachten. Die Blasen vom Champagner sind sehr klein, jene des billigen Weines erinnern an Sodablasen (weil sie ebenfalls das Ergebnis der Reaktion von Kohlensäure mit Kohlendioxid sind). Beim Champagner bilden sich verschlungene Blasenrouten vom Glasboden dem Glas entlang hinauf. Beim billigen Wein klammern sich die Bläschen ans Glas.
Warum trinkt man eigentlich Champagner aus der Flûte? Wer kein exaltierter Nostalgiker mit einem Faible für die guten alten Tage ist, trinkt Champagner aus der Flûte. Und zwar weil eine grosse Oberfläche des Weinglases, wie es früher üblich war, die Bläschen schneller platzen lässt. Durch die kleinere Oberfläche in einer Flûte werden Bläschen und auch Aromen länger geschützt.
Sündenfall Piscine. Wie kalt sollte man Champagner geniessen? Acht Grad Celsius für jüngere Champagner und zehn Grad für reife Champagner – das ist üblich. Er darf niemals eingefroren werden. Ein Eimer mit einem Gemisch aus Wasser und Eis kühlt den Champagner innert 15 bis 20 Minuten auf die perfekte Temperatur. Es soll Leute geben, die meinen, Eiswürfel in den Champagner zu geben, sei trendy. Das nennt sich Piscine. Eine kleine Geschichte dazu. Ich war kürzlich in New York in einem sogenannt angesagten Club. Der schöne Barmann, der eigentlich Model oder Schauspieler ist, empfahl mir einen Piscine. Ohne die geringste Ahnung zu haben, sagte ich «Oh sure!» und freute mich darauf, etwas Neues zu probieren. Dann der grosse Schock: Champagner über Eis in einem extragrossen Glas. Dieses Getränk ist gerade furchtbar Mode von Paris bis New York. Eis in so etwas Delikates wie Champagner zu werfen, ist eine Sünde.
Wie lange kann Champagner gelagert werden? Die Mehrheit der Champagner ist nicht «Vintage» und sollte tendenziell kurz nach dem Kauf kredenzt werden. Jahrgangschampagner können viele Jahre ohne Qualitätsverlust im dunklen Keller gelagert werden. Es ist gut zu wissen, dass das Jahr auf der Flasche jenes ist, in welchem die Trauben geerntet wurden, und nicht das Jahr der Abfüllung. Die richtige Lagerung ist sicherlich auch entscheidend für die Lebensdauer eines Champagners. Am besten steht er in einem kühlen und dunklen Keller.
Das Haus Laurent-Perrier zeigt sehr schön, dass sich für jeden Gaumen, jede Stimmung und jeden Anlass der passende Champagner finden lässt.Ganz grundsätzlich sollte man immer wieder Neues ausprobieren. Und Momente speziell machen.