Das bevorstehende Jahr als höchster Schweizer ist für den Zürcher SVP-Nationalrat Jürg Stahl der Höhepunkt seiner politischen Karriere. Drei Tage vor der Wahl zum Nationalratspräsidenten am 28. November werden zudem die Weichen für seine Zukunft gestellt. Dann entscheidet sich, ob Stahl als Präsident von Swiss Olympic auch der höchste Sportler im Land wird.
Seine Wahl zum Nationalratspräsidenten ist - nach zwei Jahren als Vizepräsident - so gut wie sicher. Ob er sich aber am 25. November beim Sportparlament ebenfalls durchzusetzen vermag, ist offen. Der 48-Jährige rechnet sich gute Chancen aus, wie er im Gespräch mit der sda sagt. «Das wäre eine gute Möglichkeit, die Politik und den Sport noch besser zu vernetzen.»
Lösbare Herausforderung
Die beiden Ämter zeitlich unter einen Hut zu bringen, erachtet der ehemalige Leichtathlet als lösbare Herausforderung, «sonst würde ich nicht antreten». Zudem würden sich die beiden Tätigkeiten ja nur elf Monate lang überschneiden, wie er betont.
Die Wahl des Swiss-Olympic-Präsidenten wird für den Zürcher Nationalrat ohnehin wegweisend. «Diese Entscheidung gibt die Richtung für meine Zukunft vor», sagt Stahl. Bevor er den Fokus auf etwas Neues lege, wolle er nun aber das Ratspräsidium gut meistern. «Ich habe 17 Präsidenten miterlebt und viel gelernt.»
Dienstälteste Zürcher Nationalrat
Der Winterthurer wurde 1999 ins eidgenössische Parlament gewählt. Er ist der dienstälteste Zürcher Nationalrat. Dennoch ist Stahl in der Öffentlichkeit weniger bekannt als viele seiner Parteikollegen. Früher habe ihn das manchmal gestört.
Heute sagt er: «Ich bin, wie ich bin - resistent und ehrlich mir selbst gegenüber.» Er habe sich nie verbiegen müssen. «Ich neige eher zur Sachlichkeit als zu Klamauk.» Als «eingemittet» positioniert Stahl sich selber, «gesellschaftlich eher liberal, wirtschaftlich eher härter».
Adolf Ogi als Wegweiser
SP-Nationalrätin Chantal Galladé bezeichnet ihren Amtskollegen und langjährigen Bekannten als «keinen typischen SVP-ler». «Er ist nicht der, der laut Forderungen stellt», sagt sie. Seine Arbeit sei «absolut seriös und verlässlich».
Darauf haben sich wohl auch seine Fraktionskollegen verlassen, als sie ihn fürs Ratspräsidium nominierten. «Es braucht in diesem Amt jemanden, von dem man weiss, dass er gut abgestützt ist», sagt Stahl. Dies sei nicht bei allen der Fall.
Dank dieser Nomination ist der Winterthurer überhaupt noch im eidgenössischen Parlament. «Ich bin nicht sicher, ob ich bei den Gesamterneuerungswahlen 2015 noch einmal angetreten wäre, wenn ich ein Jahr zuvor nicht fürs Nationalratspräsidium nominiert worden wäre», räumt Stahl ein.
Nun freut er sich darauf: «Diese Disziplin beherrsche ich gut.» Führen entspreche ihm mehr als den politischen Puls vorzugeben. Stahls Wegweiser und Motivator ist alt Bundesrat Adolf Ogi (SVP), wie er sagt. Sein erstes Jahr in Bern war Ogis letztes im Bundesrat. «Er hat gezeigt, dass Politik und Sport zusammengehen.»
Strippenzieher in der Gesundheitspolitik
Der 48-Jährige lebt mit seiner Frau und der einjährigen Tochter in Brütten, einer Nachbargemeinde von Winterthur. Seine politische Karriere startete er 1994 im Winterthurer Parlament. Eine Rückkehr in die Winterthurer Politik - etwa als Mitglied der Stadtregierung - ist für Stahl aber keine Option.
Neben seinem sportlichen Engagement war er in den vergangenen Jahren eine wichtige Figur in der eidgenössischen Gesundheitspolitik. Seit seiner Wahl in den Nationalrat ist der ehemalige Drogist in der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) vertreten - von 2007 bis 2009 präsidierte er diese auch.
«Stahl war einer der Leader im Gesundheitsbereich», sagt der amtierende SGK-Präsident und FDP-Fraktionschef Ignazio Cassis. Und auch heute noch melde er sich oft «wie ein Weiser», wenn eine Diskussion für Konfusion sorge. «Mit seinem profunden Fachwissen bringt er wieder Klarheit in ein Thema», sagt Cassis.
Beim grössten Westschweizer Krankenversicherer
Stahls Wissen beruht auf seinem beruflichen Hintergrund. Nachdem er 2004 seine eigene Drogerie in Winterthur aufgegeben hatte, wechselte er als Direktionsmitglied zur Groupe Mutuel. Beim grössten Westschweizer Krankenversicherer war er zuständig für den Aufbau eines Standorts in Zürich.
Auch heute noch ist er dort angestellt. «Im Kerngeschäft war ich aber nicht tätig», sagt Stahl. Er habe sich bei der politischen Arbeit nie leiten lassen von beruflichen Interessen, betont er zu diesem immer wieder von Kritikern vorgebrachten Konflikt. «Ausserdem habe ich das Privileg, dass ich operativ tätig bin und nicht im Verwaltungsrat.»
(sda/ccr)