Hinter der Kamera steht Modezar Karl Lagerfeld persönlich, vor der Kamera Topmodel Helena Christiansen, eine laszive Nachtschönheit, inmitten ihrer Bewunderer. Der Fokus der Szene aber liegt auf einer Flasche Dom Pérignon. Exquisit, luxuriös, nobel: Für die Werbekampagne bei der Lancierung des Dom Pérignon, Vintage 1998, ist dem Luxuskonzern LVMH das Beste gerade gut genug. Und nur besonders aufmerksamen Betrachtern des handschriftlichen Etiketts wird auf Anhieb der kleine, aber feine Unterschied bewusst: Das französische Millésime für Jahrgang ist dem englischen Vintage gewichen.
Dass die ungemein sprachbewussten Franzosen ihren Ausdruck Millésime aufgeben, ist ein Zeitphänomen, denn Vintage heisst das Zauberwort der Stunde. Vintage steht für Edles, Aussergewöhnliches. Hochkarätig sind Vintage-Objekte, weil ihre Anzahl stark limitiert ist und sie einer bestimmten Epoche angehören. Meistens tragen sie die Handschrift eines Autors oder eines Traditionshauses. Zu diesen Objekten gehören neben dem Champagner auch Möbel, Kleider, Fotografien, Autos, Uhren oder Schmuck. Wer stilvoll leben will, dem ist Vintage ein Begriff.
Trend-Indiz bei den Juwelen sind auch hier einmal mehr die Ikonen made in Hollywood: An den diesjährigen Golden Globes trugen Charlize Theron und auch Keira Knightley Vintage-Schmuck von Cartier. Den Auftakt zum weltweiten Modehype in Sachen Vintage läutete Julia Roberts ein, als sie 2001 den Oscar für ihre Rolle als Erin Brockovich in einem Valentino-Kleid aus den achtziger Jahren entgegennahm. Bei der diesjährigen Verleihung zeigten sich Renée Zellweger und Nicole Kidmann in Kreationen vergangener Zeiten. Bereits werden an den Auktionen Designer-Roben versteigert, allerdings sind die Preise im Gegensatz zu den übrigen Bereichen noch moderat. Für ein Yves-Saint-Laurent-Kleid aus den siebziger Jahren erzielten die Auktionare in London 47 700 Pfund.
Der Hype nimmt ungeahnte Formen an, so erreichten Vintage-Objekte Rekordpreise bei Auktionen. In New York wurde diesen Februar für 2,9 Millionen Dollar das teuerste Foto aller Zeiten ersteigert, fast gleichzeitig bezahlte ein Käufer bei Christie’s in St. Moritz einen Rekordpreis von fast fünf Millionen Franken für einen Ring von Bulgari mit einem über achtkarätigen Rubin. Das Auktionshaus Phillips de Pury vermeldete Ende des vergangenen Jahres einen Höchstbetrag von 3,842 Millionen Dollar bei der Versteigerung eines Tisches des Designers Carlo Molino aus dem Jahre 1948. Und erst kürzlich wechselte ein Aston Martin DB5 Coupé aus den sechziger Jahren für zwei Millionen Dollar den Besitzer.
Woher aber kommt die Bezeichnung Vintage? Ursprünglich wurden damit
herausragende Jahrgänge von Portwein, Sherry oder Madeira bezeichnet. Mit der Zeit sprang der Begriff auf andere Gebiete über. Doch im Gegensatz zur Etikette Antik, die für über 100-jährige Gegenstände gebraucht wird, gibt es bei Vintage keine zeitliche Einschränkung. Besonders gesucht sind bei den Möbeln Originale der Designpioniere des 20. Jahrhunderts. In der Fotografie sind es Prints, die von den Fotografen selbst unmittelbar nach der Aufnahme abgezogen wurden. Bei den Autos werden derzeit meist Modelle aus den Fünfzigern und Sechzigern nachgefragt, bei den Uhren mechanische Armbanduhren von Luxusherstellern wie Patek Philippe aus der Nachkriegszeit. Wertvoll im Schmuckbereich sind aussergewöhnliche Einzelstücke, Art déco ist gefragt und natürlich signierte Stücke von Cartier, Chaumet oder Bulgari.
«Der Vintage-Kult», so Urs Stahel, Direktor des Fotomuseums Winterthur, «dient der Distinktion.» Er ist der Weg, sich vom Kommunen abzuheben, sich vom Mittelmass zu unterscheiden. Mit einem Original besitzt man etwas Einzigartiges. Wobei der Begriff Original in diesem Zusammenhang keineswegs bedeutet, dass es nur ein einziges Stück gibt. Bei Vintage handelt es sich fast immer um limitierte Auflagen. Das weiss auch Karin Frick, Head of Research beim Gottlieb Duttweiler Institut (GDI): «Nur was rar ist, wird als Luxus empfunden.»
Versteht sich, dass das spezifische Wissen um den Wert von Vintage-Objekten nur einem kleinen, illustren und vor allem vermögenden Kreis vorbehalten ist. Vintage ist nur für Insider. Warum kostet gerade dieses kleinformatige Foto mehrere Millionen? Warum bezahlt man für einen schlichten Holztisch mit Metallfüssen 300 000 Dollar? Beim Kauf der begehrten Stücke vertrauen die Liebhaber auf renommierte Auktionshäuser wie Sotheby’s, Christie’s, Phillips de Pury oder Bonhams. Und natürlich auf spezialisierte Händler und Sammler ihres Vertrauens. Wer will schon viel Geld für eine wertlose Kopie bezahlen?
Die Spezialisten in den einzelnen Gebieten garantieren durch jahrelanges Renommée im Metier die Richtigkeit des Originals. Eine, der die Kunden beim Schmuckkauf vertrauen, ist die Bernerin Régine Giroud. Die ausgebildete Diamantgutachterin hat am Gemmologischen Institut von Amerika und am Schweizerischen Gemmologischen Institut in Basel studiert. Als einzige Juwelierin ist sie Mitglied in beiden Deutschschweizer Verbänden für Antiquare und Kunsthändler, VSAR und VSAK, und im Komitee der Zürcher Kunst- und Antiquitätenmesse. 22 Jahre Branchenerfahrung mit eigenem Geschäft bringt sie mit. Sie ist in diesen Bereich hineingewachsen, weil ihre Mutter ein renommiertes Antiquitätengeschäft in Bern führte. Durch die Familienbande hat sie Zugang zu Kreisen, die sie sonst mühsam hätte erschliessen müssen. Ob signierte Stücke, Art déco oder Belle Epoque, Giroud bestätigt, dass ihre Kundschaft, oftmals finanziell eigenständige Frauen, das Spezielle, das Einzigartige sucht: «Dieser Schmuck hat durch seine Geschichte Ausstrahlung und ist in seiner Qualität und im Design aussergewöhnlich.»
Spezialist für Vintage-Möbel ist Peter Tellini. In den siebziger Jahren begann er mit dem Sammeln von Möbeln und wurde zum passionierten Pariser Flohmarktbesucher. Dort erstand er auch seinen ersten Prouvé-Stuhl für 450 Franken, wie er sich erinnert. Seine Sammelleidenschaft machte Tellini zum Prouvé-Experten, bei der Recherche sprach er gar noch mit persönlichen Mitarbeitern des französischen Konstrukteurs. Heute besitzt Tellini eine Galerie und handelt mit den Möbeln. Sein Spezialgebiet sind Jean Prouvé, Le Corbusier, Serge Mouille und Charlotte Perriand. Für Tellini sind diese Möbel angewandte Kunst. «Man wohnt mit Objekten, die eine Philosophie transportieren», sagt er. Seine Käufer sind Kunstliebhaber und Kunstkenner, die diese Objekte auch als Kunst wahrnehmen.
Auch das Geschäft mit Armbanduhren einer bestimmten Epoche blüht. Gehandelt wird praktisch ausschliesslich mit ausgesuchten Modellen der Schweizer Luxusuhrenmarken Patek Philippe, Rolex, Vacheron Constantin, Breguet, Cartier oder Audemars Piguet. Zu kaufen sind solche Uhren bei Auktionshäusern wie Christie’s und Sotheby’s oder dem Genfer Auktionshaus Antiquorum. Und natürlich im Fachhandel. «Unsere Kunden», sagt René Beyer, Inhaber der Zürcher Chronometrie Beyer an der Bahnhofstrasse und selbst ausgewiesener Sammler und Experte für Vintage-Uhren, die er weiterverkauft, «sind Liebhaber des Authentischen.» Als Vintage-Uhren gelten Modelle, die weniger als 100 Jahre alt sind. Ein eigentlicher Markt für ausgesuchte Uhrenmodelle hat sich Mitte der siebziger Jahre entwickelt. Seither, so glauben Uhrenpuristen, hat es auf der Seite Design keine wesentlichen Neuentwicklungen mehr gegeben. Was sich im Laufe der Jahre verändert hat, ist die Art der Materialien, sei es im Laufwerk, im Gehäuse oder beim Glas. Was die Sammler anzieht an ihren Raritären, ist die Patina, die einer Uhr die ihr eigene Aura verleiht. «Eine alte Uhr fühlt sich anders an als eine neue», sagt Experte René Beyer, «schon der Klang des Aufziehens ist Musik in den Ohren der Sammler.»
Ähnlich wie bei den Uhren sind es vor allem technikbegeisterte Männer, die Vintage-Autos sammeln. Keine Oldtimer oder, wie es in Fachkreisen heisst, Classic Cars von der Jahrhundertwende, wohlgemerkt, sondern Autos aus der Ära nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Markt für diese Automobile explodierte in den achtziger Jahren, wobei Marken wie Ferrari oder Aston Martin bis heute dominieren und sehr gesucht sind. «Ein Aston Martin aus den Fünfzigern oder Sechzigern», sagt Simon Kidston, früherer Auktionator bei Bonhams in Genf und heute Inhaber einer Finanzberatungssfirma für Sammler von Classic Cars, «kann schnell einmal drei Millionen Dollar kosten.» Gesucht sind technisch originale Autos, die entweder an Auktionen von Christie’s oder Bonhams ersteigert oder aber bei Fachhändlern wie Lukas Hüni in Zürich gekauft werden können.
Wo sich Geld machen lässt, sind die Nachahmer nicht weit. Denn alles, was im Windschatten des Vintage-Kults segelt, erfährt eine Aufwertung. Darum hat Retrodesign Hochkonjunktur, und Reeditionen nach alten Vorlagen erleben ein Revival. «Lange Zeit», sagt Karin Frick vom GDI, «galt neu als besser. Jetzt gilt: Tradition ist das Nonplusultra.» Was sich bewährt hat, ist wertvoll, und die gute alte Zeit wird idealisiert. Die Japaner, die gemäss der GDI-Frau sehr trendbewusst seien, haben die Nostalgie-Sehnsucht auf die Spitze getrieben. Im Einkaufszentrum Ichome Shotengai in Tokio ist alles auf Retro getrimmt. So findet man Souvenirs aus der Vergangenheit oder diniert in einem Speisewagen mit Sixties-Design.
Vintage gibt es auch an Orten, wo man ihn nicht vermutet. Sogar die sonst so fortschrittsgläubigen Computerfreaks besinnen sich auf die Vergangenheit. Mit einem Vintage Computer Festival zelebrieren sie, was im kalifornischen Silicon Valley begonnen hat. Und das, Ende April in München, bereits zum siebten Mal. «Also lasst uns zurückkehren in die guten alten Tage, als Hacker noch keine Sicherheitsberater, Bytes noch keine Megabytes und kleine grüne Männchen noch kleine gruene Maennchen waren», trauern sie auf ihrer Website den Gründerzeiten nach.
Was nur mit dem Etikett Vintage versehen ist, wird früher oder später sowieso neuen Trends weichen müssen. Die grossen Traditionsmarken jedoch werden ihren Wert behalten oder steigern. Vorausgesetzt, sie halten an Qualitätsstandards und Innovationsfreude fest. Dom Pérignon ist ein gutes Beispiel dafür: ein traditionsreiches Label, dessen herausragende Qualität sich von Jahr zu Jahr erneuert. Im Grunde müssen die Kellermeister bloss lange genug auf den Vintage warten. Und die Liebhaber des edlen, perligen Tropfens werden auch in Zukunft die herausragenden Jahrgänge mit Hingabe geniessen. Heissen sie nun Millésime oder Vintage.