Das Schweizer Stimmvolk befindet heute Sonntag über vier eidgenössische Vorlagen. Vor allem zur Durchsetzungsinitiative wurden heftige Kontroversen geführt. Es könnte knapp werden – auch bei anderen Vorlagen. In einigen Kantonen wird zudem abgestimmt und gewählt.
Die Durchsetzungsinitiative löste eine Grundsatzdebatte über Rechtsstaat, Gewaltenteilung und Demokratie aus, an der sich auch Akteure ausserhalb des Politbetriebs beteiligten. Der leidenschaftlich geführte Abstimmungskampf wird viele Stimmberechtigte an die Urne locken.
Ausschaffung ohne Prüfung durch ein Gericht
Mit dem Volksbegehren will die SVP ihre Vorstellungen zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative durchsetzen. Ausländer sollen bei zahlreichen Delikten automatisch des Landes verwiesen werden, ohne dass ein Gericht den Einzelfall prüft.
Wird die Initiative abgelehnt, tritt das vom Parlament angenommene Gesetz zur Ausschaffungsinitiative in Kraft. Auch dieses sieht obligatorische Ausweisungen vor. Es enthält jedoch eine Härtefallklausel, die Richtern erlauben würde, in Ausnahmefällen von einem Landesverweis abzusehen.
Die Durchsetzungsinitiative stiess zunächst auf breite Zustimmung, doch holten die Gegner auf und hatten laut Umfragen zuletzt die Nase vorn. Wie die Abstimmung ausgeht, bleibt offen.
Zweite Röhre am Gotthard
Zum Bau eines zweiten Strassentunnel durch den Gotthard wird eher ein Ja erwartet, doch ist auch bei dieser Vorlage alles möglich. Bundesrat und Parlament wollen die Sanierung des vorhandenen Tunnels ermöglichen. Die Gegner befürchten eine Zunahme des Verkehrs.
Seit Annahme des Alpenschutzartikels 1994 verbietet die Verfassung, die Kapazität der Transitstrassen im Alpengebiet zu erhöhen. Deshalb steht im Gesetz für den Bau der zweiten Röhre, dass pro Fahrtrichtung nur eine der zwei Spuren betrieben werden darf. Die Gegner glauben, dieses Regime werde nicht von Dauer sein.
Heiratsstrafe oder Heiratsbonus
Knapp werden könnte es gemäss den Umfragen auch bei der CVP-Initiative gegen die Heiratsstrafe. Nach dem Willen der Initianten soll eine Heirat in keinem Fall dazu führen, dass ein Paar mehr Steuern zahlen muss. Die Gegner wenden ein, schon heute seien mehr Ehepaare steuerlich bevorteilt als benachteiligt.
Für Diskussionen sorgte ferner, dass bei einem Ja die Ehe in der Bundesverfassung definiert würde als «auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau». Dies läuft aus Sicht der Gegner den Bestrebungen zuwider, die Ehe für Homosexuelle zu öffnen.
Geringe Chancen für Spekulationsstopp
Ein klares Nein zeichnet sich einzig bei der Initiative «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln» ab, hinter der die Jungsozialisten (Juso) stehen. Gemäss Umfragen ist das Begehren chancenlos.
Bei einem Ja würden spekulative Finanzgeschäfte verboten, die sich auf Agrarrohstoffe oder Nahrungsmittel beziehen. Aus Sicht der Befürworter tragen solche Geschäfte zum Hunger auf der Welt bei. Die Gegner stellen das in Abrede und warnen vor Schaden für die Wirtschaft.
Wahlen in sechs Kantonen
In sechs Kantonen stehen darüber hinaus Wahlen an. Im Kanton Bern müssen zwei neue Mitglieder in die Kantonsregierung gewählt werden. Von Interesse ist dabei vor allem, ob die rot-grüne Mehrheit weiterhin Bestand haben wird oder ob es zu einer bürgerlichen Wende kommt. Gut möglich ist, dass der Entscheid darüber erst am 3. April beim zweiten Wahlgang fallen wird.
Für Spannung gesorgt ist auch bei den Wahlen in der Zentralschweiz. So steht im Kanton Uri der letzte verbleibende Sitz der SP in einer Zentralschweizer Kantonsregierung zur Debatte. Im Kanton Nidwalden kämpfen vier Parteien um die Nachfolge des in den Ständerat gewählten Hans Wicki (FDP). Ein zweiter Wahlgang am 10. April ist wahrscheinlich.
Thurgauer Zauberformel
Kaum grosse Veränderungen versprechen die Thurgauer Wahlen. An der Zauberformel dürfte nicht gerüttelt werden, weshalb Walter Schönholzer von der FDP beste Chancen hat, seinen zurückgetretenen Parteikollegen Kaspar Schläpfer zu ersetzen. Er wird einzig von Ueli Fisch von den Grünliberalen herausgefordert.
Im Kanton St. Gallen dagegen ist die Ausgangslage bei den Regierungs- und Kantonsratswahlen offen. Die SVP möchte einen zweiten Sitz in der Regierung und im Kantonsrat die sechs Sitze zurückholen, die sie 2012 verloren hatte. In der siebenköpfigen Regierung treten je ein Vertreter der CVP und der FDP nicht mehr an. Als Ersatz stellen sich vier Kandidaten von CVP, FDP und SVP sowie als Aussenseiter ein Vertreter der Gruppierung Parteifrei.
Dem Sonntag gelassen entgegensehen kann im Kanton Obwalden Christoph Amstad von der CVP. Er ist in stiller Wahl zum Nachfolger seines Parteikollegen Hans Wallimann erklärt worden, nachdem sich niemand zu einer Gegenkandidatur bewegen liess.
Neben den eidgenössischen Abstimmungen können die Stimmberechtigten in 13 Kantonen über insgesamt 25 Sachvorlagen entscheiden. Die Palette der Themen ist breit gefächert und reicht von einer Aufhebung des Tanzverbots an Feiertagen im Aargau über Sachkredite bis hin zu Bildungsvorlagen.
(sda/me)