Es ist immer wieder erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit die Politik, insbesondere die linke, für sich die Themenführerschaft bei der Gleichberechtigung in Anspruch nimmt. Da boxen die Parteiführung und die Fraktion der SP ein reines Frauen-Ticket für die Bundesratswahlen durch und verschweigen geflissentlich, dass es bei dabei noch eine zweite Agenda gibt; die der Westschweizer SP-Alphatiere wie dem Waadtländer Nationalrat Roger Nordmann und Gewerkschaftschef Pierre-Yves Maillard, ebenfalls Waadt, deren Wahlchancen bei einem allfälligen Rücktritt des Freiburgers Alain Berset beträchtlich steigen, sollte nun eine Deutschschweizer Frau gewählt werden.
Und um sich dem Vorwurf nicht auszusetzen, damit für weitere Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, faktisch die Wahl von Westschweizer Sozialdemokratinnen zu verbarrikadieren, öffnet man das Rennen auch noch für Westschweizer Kandidatinnen. Im vollen Bewusstsein, dass die Romandie beziehungsweise das Tessin mit den drei Lateinern Alain Berset, Guy Parmelin und Ignazio Cassis bereits jetzt eher über Gebühr im Bundesrat vertreten ist. Ob die Bundesversammlung am 7. Dezember eine weitere französischsprachige Bundesrätin wählen wird die 70 Prozent Deutschschweizer und Deutschschweizerinnen damit im Bundesrat in die Minderheit versetzen wird? Zumal mit der Oberwalliserin Viola Amherd eine weitere Bundesrätin aus einem zweisprachigen Kanton im Bundesrat sitzt. Eher unwahrscheinlich.
Bei der Diversität ist die Wirtschaft schon weiter
Und so tourten denn in den vergangenen Wochen drei SP-Bundesratsanwärterinnen – von denen es am Samstag zwei, die Basler Ständerätin Eva Herzog und die Jurassierin Elisabeth Baume-Schneider aufs offizielle Ticket der SP-Fraktion schafften – durchs Land, die sich in vielem einig sind, wie die Reporterin des «Tages-Anzeigers» feststellte: Kinderkrippen, Quoten, Klimaschutz. Und das gilt dann als Ausdruck von Diversität.
Da ist man in der Wirtschaft schon einen deutlichen Schritt weiter. Hier wird die sogenannte Frauenfrage längst nicht mehr unter dem Titel der Gerechtigkeit diskutiert. Zu Recht. Schliesslich kann der an der SP-Quotenpolitik gescheiterte Zürcher Bundesratsinteressent Daniel Jositsch nichts dafür, dass unsere Väter und Grossväter bis 1971 brauchten, um den Schweizerinnen das Stimmrecht zu gewähren.
In der Wirtschaft wird Diversität seit Jahren als Schlüssel zum Erfolg begriffen, aus der inzwischen unzählig fachwissenschaftlich bewiesenen Erkenntnis heraus, dass bunt zusammengesetzte Teams besser fürs Geschäft sind als rein männliche, rein weibliche oder solche, die nur aus heimischen Gewächsen bestehen. Damit gewinnt man zwar keinen Preis beim Schönheitswettbewerb bei der Frage, wer auf der richtigen und wer auf der falschen Seite steht. Dafür erspart man sich und dem Publikum taktische Manöver, wie sie die SP-Führung gerade vorgeführt hat.
Es geht nicht um Gerechtigkeit, sondern um Chancen
Bei der Diversität geht es nicht um Gerechtigkeit, sondern um Chancen. Und zwar nicht nur für die, die sich bewerben, sondern vor allem auch für die, die es schon geschafft haben. Hans-Ueli Vogt, SVP-Bundesratskandidat aus Zürich, hat das erkannt und seine Kandidatur genau unter diesen Titel gestellt. Seine Kandidatur sei eine Chance für den Bundesrat, sagt er.
Auch wenn man es in der SP nicht gerne hört: Diesmal spielt die Musik in Sachen Diversität nicht bei ihr, sondern bei der SVP. Ein schwuler Bundesratskandidat, der sich sowohl im Uni-Hörsaal wie auch beim SVP-«Buurezmorge» wohlfühlt, der gesellschaftspolitisch liberal und europapolitisch konservativ denkt, ein brillanter Kopf, der auch mal Gefühle zeigt und vor Enttäuschung Tränen vergisst: Das wäre eine wirklich diverse Wahl. Doch dafür muss der Aussenseiterkandidat aus Zürich am überaus konventionellen Berner Albert Rösti vorbeikommen. Und das wäre dann doch eine riesengrosse Überraschung.
Gut, dass solche bei Bundesratswahlen, vor allem bei solchen, bei denen zwei Stellen zu besetzen sind, immer wieder vorkommen.