Nach der Wahl in Deutschland werden mit aller Voraussicht die Union aus CDU und CSU und die SPD die nächste Regierung bilden. Doch kann eine Grosse Koalition unter der Führung von CDU-Chef Friedrich Merz Deutschland aus der Krise führen? Und profitiert die Schweiz von den neuen Machtverhältnissen in Berlin?

So viel ist klar: Merz hat die nötige Erfahrung für den Umschwung. Der Anwalt sass in verschiedenen Verwaltungsräten, unter anderem bei Stadler Rail in Bussnang TG. «Merz vermittelt als einziger wirtschaftliche Kompetenz», sagte Ökonom Klaus Wellershoff im Interview mit Blick. Er erwarte, dass sich die Wirtschaft unter dem Wahlsieger schneller erhole.

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Unterschiedliche Rezepte

Doch in der künftigen Regierung wird auch die SPD die Richtung mitbestimmen können. Das ist ausgerechnet die Partei, die an der Spitze der unbeliebten Ampel-Regierung stand. In vielen wichtigen Fragen klaffen die Rezepte von Union und SPD weit auseinander.

So zum Beispiel beim Thema Steuern: Beide Parteien wollen Deutschland für Unternehmen wieder attraktiv machen. Doch während die Union Steuersenkungen für alle Firmen und Personen will, möchte die SPD höhere Einkommen noch stärker belasten, was gerade Unternehmer besonders treffen würde.

Beide Seiten brauchen Koalition

Trotz der Unterschiede erwartet Jan-Egbert Sturm, Direktor der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich, dass Union und SPD kompromissbereit sein werden. «Beide Seiten wissen, dass es keine Alternative zu einer Grossen Koalition gibt.»

Wie die Kompromisse in einzelnen Fragen aussehen werden, sei noch schwer abzuschätzen. «Aber viel wichtiger ist, dass die Zusammenarbeit zustande kommt und Union und SPD wissen, dass Veränderungen der bisherigen Politik gefragt sind.»

Mehr Geld für die Infrastruktur

«Am ehesten dürfte sich eine kommende Koalition am Ende auf mehr Geld für die Infrastruktur verständigen», erklärte Jörg Krämer (59), Chefökonom der Commerzbank, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. «Das wäre ohne Zweifel gut für die Unternehmen, die unter einer schlechten Infrastruktur leiden.»

Alles in allem seien die Unterschiede aber zu gross. «Das dämpft die Hoffnung, dass es zu einem Neustart kommt», so Krämer. Die Commerzbank rechnet in diesem Jahr weiterhin nur mit einem Mini-Wachstum von 0,2 Prozent. Immerhin, denn in den letzten zwei Jahren schrumpfte die deutsche Wirtschaft sogar.

Was ist mit dem Atomausstieg?

Ein grosser Bremsklotz für die deutsche Industrie und die Konsumenten ist der hohe Strompreis. Union und SPD sind sich laut ihren Wirtschaftsprogrammen einig, dass die Stromsteuer gesenkt werden soll. Das würde die Haushalte entlasten und somit mehr Konsum ermöglichen.

Weniger wahrscheinlich ist dagegen die Rückkehr der Atomkraft. «Die Atomkraft in Deutschland ist stillgelegt und das ist gut so», heisst es im Wahlprogramm der SPD. Und die CDU stand unter Kanzlerin Angela Merkel (70, 2005 bis 2021) am Anfang des Atomausstiegs, auch wenn die Partei heute gerne eine Wiederinbetriebnahme der AKWs prüfen würde.

Autoindustrie und Schweizer Zulieferer

Für die wichtige deutsche Autoindustrie bleiben die Aussichten auch mit einer Groko schwierig. Das Verbrennerverbot der EU kann die neue Regierung nicht allein abschaffen und es ist unklar, ob die SPD bei einem solchen Vorhaben überhaupt mitmachen würde.

Und bei den E-Autos werden die deutschen Hersteller von der Konkurrenz aus China bedrängt, die billige und gute Stromer produziert. Wegen der Krise der europäischen Autoindustrie kam es auch in der Schweiz zu Massenentlassungen, so etwa bei Mubea in Arbon TG. Zum Glück seien die Schweizer Zulieferer «unheimlich flexible Unternehmen», so Wellershoff. Sie seien in der Lage, andere Märkte zu erschliessen.

Schweiz kann hoffen

Dass es in Deutschland wieder aufwärtsgeht, ist ohnehin auch in unserem Interesse. Schliesslich ist das Nachbarland unser zweitwichtigster Handelspartner. «Deutschland war in der Vergangenheit immer wieder ein wichtiger Wachstumsmotor für die Schweiz», sagt Sturm.

Dazu kommt: «Die Stimmungslage von Konsumenten und Unternehmen in der Schweiz und Deutschland verläuft parallel», so Wellershoff. «Ist die Weltuntergangsstimmung in Deutschland weg, würde sich das ebenfalls positiv auf die Schweiz auswirken.»

Dass Merz als ehemaliger Stadler-Verwaltungsrat die Schweiz kennt und schätzt, ist ebenfalls positiv. Wenn uns das wichtigste Land der EU wohlgesinnt ist, hilft uns das auch in Brüssel.