Blamage hoch zwei: Die am Sonntag vom Bund publizierten Zahlen zu den Parteistärken bei den eidgenössischen Wahlen waren falsch. Das hat das Bundesamt für Statistik (BFS) am Dienstag bei Qualitätskontrollen festgestellt. Am Mittwoch musste Amtschef Georges-Simon Ulrich (55) öffentlich zu Kreuze kriechen – mit dem Dreisatz aus Sünde, Sühne, Vergebung.
Die Sünde
Sonntag, kurz vor Mitternacht. Die Schweiz hat gewählt, der Bund veröffentlicht die endgültigen Wahlergebnisse. Die Sieger jubeln, die Verlierer vergiessen Tränen. Die Zahlen zeigen: Die SVP ist grösste Gewinnerin, die Mitte vor der FDP, die Grünen stürzen ab.
Im BFS wird am Sonntag «richtig hart gearbeitet», wie Ulrich sagt. Mitarbeitende kontrollieren die Zahlen. Fehler entdecken sie nicht. Auch während die Schweiz am Montag bereits spekuliert, ob die Mitte zu einem zweiten Bundesratssitz kommt, findet man beim BFS keinerlei Unregelmässigkeiten. Das Zähl-Debakel fällt dort erst am Dienstagnachmittag auf.
Vorher hatte man für detaillierte Nachkontrollen keine Zeit – wegen «zu vieler Anfragen». Sofort gibt es ein standardisiertes Protokoll. Nach der Bestätigung des Fehlers wird Bundesrat Alain Berset (51) informiert. Dieser leitet eine Administrativuntersuchung ein.
Zwei Tage vor der Wahl betont Ulrich in einem SRF-Interview, wie wichtig Statistik für die Demokratie sei. «Es geht darum, dass die Leute mitbestimmen können.» Man müsse den Zahlen vertrauen können.
Die Sühne
Ganz anders am Mittwoch, als die Sünde, «die grösste Panne», eingestanden werden muss. «So etwas kann passieren», erklärt sich Ulrich zwar. Es sei aber weder gut noch entschuldbar. Das BFS «bedauert den Fehler ausserordentlich und nimmt den Vorfall sehr ernst.» Die nun korrigierte Statistik der Parteistärken sei mehrfach nachberechnet – und kontrolliert worden.
Die gute Nachricht: Die Sitzverteilung ist nicht betroffen, alle Gewählten dürfen sich weiterhin freuen. Die schlechte: Das BFS musste das Resultat der FDP um 0,13 Prozentpunkte auf 14,3 Prozent nach unten korrigieren. Gleichzeitig hat es den Wähleranteil der Mitte um 0,52 Prozentpunkte zu hoch angegeben. Mit noch 14,1 Prozent fällt sie somit wieder hinter die FDP zurück.
Grund für die Panne bei der Berechnung der nationalen Parteistärken seien Föderalismus und menschliche Fehler. Eine falsche Programmierung im Datenimportprogramm für die drei Kantone Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden und Glarus habe zur Verfälschung geführt. Deren Stimmen seien «drei- bis fünffach» gezählt worden.
Doch auch der Kantönligeist sorgt für Turbulenzen. Die drei Kantone lieferten die Daten mit einem anderen System an. Zum Ärger des BFS. Dass die Systeme standardisiert werden, «wäre ein grosser Wunsch von uns», sagte Sektionschefin Madeleine Schneider.
In den betroffenen Kantonen weist man jegliche Schuld von sich. «Falls im Nachgang eine Änderung der Datenübermittlung diskutiert werden soll, stehen wir dieser offen gegenüber», heisst es immerhin beim Kanton Glarus.
Die Vergebung
Spott und Hohn aus der Politik lassen nicht lange auf sich warten. FDP-Vize Andrea Caroni (43, AR) sagt: «Die wichtigsten Zahlen der Legislatur zu verhauen, ist eine kolossale Fehlleistung des BfS. Ich freue mich aber sehr, ist die FDP weiterhin auf Platz 3.»
Mitte-Parteipräsident Gerhard Pfister (61, ZG) nimmts sportlich: Das Resultat liege immer noch über jenem der CVP und BDP vor der Fusion. Und über die Zusammensetzung des Bundesrats müsse man trotzdem diskutieren.
Bei der SVP wird das BFS länger auf Vergebung warten müssen. Der Fehler schmälert ihren Wahlsieg. Sie kommt neu auf einen Wähleranteil von 27,9 Prozent. Minus 0,62 Prozentpunkte. «Jedes Jahr fliesst mehr Geld in die Verwaltung und dann ist diese unfähig, die Zahlen korrekt zusammenzutragen», ärgert sich Wahlkampfleiter Marcel Dettling (42). «Es braucht personelle Konsequenzen.»
Nur: Davon will man beim Amt vorerst nichts wissen. «Es wäre aus heutiger Sicht verfrüht, über solche Dinge zu sprechen», sagt BFS-Chef Ulrich.
Die To-Dos für Bundesbern
Die Handelszeitung nennt sechs Hauptprobleme, die das neue Parlament lösen muss.
- Energie: Die Kundschaft soll Anbieter frei wählen dürfen
- Sozialwerke: Arbeitnehmende sollten für Arbeit im Rentenalter belohnt werden
- Europapolitik: Killerallianz von SVP und Gewerkschaften muss umdribbelt werden
- Migration: Der Bundesrat soll dem Druck zur Begrenzung der Zuwanderung standhalten
- Aussenpolitik: Der Bundesrat muss aus der Sackgasse der strikten Neutralität herausfinden
- Klimagas-Reduktion: Es braucht mehr Geld und verbindliche Massnahmen
Dieser Artikel erschien zuerst beim Blick unter dem Titel «So kam es zur peinlichen BFS-Blamage».