In der Nachhaltigkeits-Bubble erzählt man sich seit Wochenanfang wieder einen traurigen Witz: Wenn der Kampf gegen die Klimakrise eine Banklizenz hätte, wäre er längst gerettet.
Stattdessen steht es darum dramatischer als um die Credit Suisse in ihren finalen Stunden. Am Montag ist der sechste Weltklimabericht erschienen – und er ist erschütternd.
Die Erde erwärmt sich schneller als gedacht und die Emissionen steigen, statt zu sinken. Die Wahrscheinlichkeit, das 1,5-Grad-Ziel überhaupt noch zu erreichen, steht aktuell bei 50 Prozent. Bis 2035 müssten die Emissionen laut dem Weltklimarat IPCC halbiert werden. Oder anders gesagt: Alle 7,28 Wochen müssen sie um 1 Prozent sinken. Ohne einen Einbruch der Weltwirtschaft wie während der Finanzkrise und der Pandemie haben wir das noch nie geschafft.
Jedes Zehntelgrad mehr hat verheerende Folgen, etwa für die globale Nahrungssicherheit. Schon jetzt liegt der Temperaturanstieg bei 1,1 Grad über dem vorindustriellen Niveau. Nach Angaben der UN steuert die Welt selbst mit den bisher gemachten Zusagen zur Einsparung von Treibhausgasen auf einen Temperaturanstieg von bis zu 2,6 Grad zu.
UN-Generalsekretär António Guterres warnte bei der Präsentation des IPCC-Reports davor, dass die «Klima-Zeitbombe tickt», und forderte die reichen Nationen auf, die Emissionen zu senken.
Der Aufholbedarf ist riesig. Aber auch die Entwicklungsmöglichkeiten. Der Weltklimabericht zeigt nämlich auch, dass das Wissen und die technologischen Lösungen vorhanden sind, um die Welt auf den richtigen Kurs zu bringen.
«Die Emissionen müssen alle 7,28 Wochen um 1 Prozent sinken.»
Wie gross das Potenzial in der Schweiz ist, zeigt der gleichentags veröffentlichte «Circularity Gap Report Schweiz» der Wirtschaftsinitiative Circular Economy Switzerland und Deloitte Schweiz. Die erste umfassende Studie zur Kreislaufwirtschaft in der Schweiz wirft ein Schlaglicht auf den CO2-intensiven Ressourcenverbrauch unseres Konsums.
Weltweit sind die Gewinnung und Verarbeitung von Materialien für 70 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich und für mehr als 90 Prozent des Biodiversitätsverlustes und des durch Verschmutzung oder Knappheit verursachten Wasserstresses. Die Schweiz verbraucht jährlich rund 163 Millionen Tonnen neue Materialien – das sind 19 Tonnen pro Kopf. Etwa 8 Tonnen gelten als nachhaltig.
Dazu kommt: Die Schweiz importiert die meisten Materialien, was massive «Reise-Emissionen» verursacht, und nur 6,9 Prozent davon werden rezykliert. Hier liegen die grössten CO2-Einsparpotenziale. Durch die Umsetzung von Massnahmen in fünf Bereichen könnte sich der Anteil der Kreislaufwirtschaft laut den Studienautoren in der Schweiz auf 12 Prozent verdoppeln, der Materialverbrauch könnte um einen Drittel reduziert werden und der CO2-Fussabdruck könnte fast halbiert werden.
Auch der Schweizer Finanzplatz kann helfen. Es ist grundsätzlich eine gute Nachricht fürs Klima, dass der Schweizer Staat hilft, die Bankenkrise einzufangen. Die Welt kann sich eine Finanzkrise zusätzlich zur Klimakrise schlicht nicht leisten.
Bislang haben sich die Banken gegenüber der Klimakrise aber deutlich zu ambivalent verhalten.
Zwar haben die Grossbanken schön klingende Klimaziele und die UBS schneidet bei den meisten Nachhaltigkeits-Kennzahlen sogar etwas besser als die CS ab, beide Grossbanken finanzieren aber zum Beispiel fossile Energieprojekte in grossem Stil. Von UBS und CS stammt etwa mit 1,27 Milliarden Dollar zwischen Januar 2019 bis einschliesslich Juli 2022 der Löwenanteil der Schweizer Gelder für Kohle, Erdöl und Gas – den Haupttreibern der Erderwärmung – auf dem afrikanischen Kontinent.
«Das CS-Debakel darf beim Klimaschutz keine gefährliche Lücke hinterlassen.»
Was gleichzeitig unter dem Radar lief und mit der Mega-Fusion verloren zu gehen droht: Die Credit Suisse strukturierte und arrangierte als einzige Bank den weltweit grössten Debt-for-Nature-Swap, einen 364-Millionen-Dollar-Deal, den sie 2021 zusammen mit The Nature Conservancy, einer Wohltätigkeitsorganisation, für Belize orchestrierte. Letztes Jahr besiegelte sie einen weiteren 150-Millionen-Dollar-Deal für Barbados.
Die komplexen Finanzinstrumente, die als Debt-for-Nature-Swaps bekannt sind, helfen Regierungen, ihre Schulden umzustrukturieren, um Geld zu beschaffen, das zur Finanzierung von Naturschutzbemühungen verwendet werden kann. Wie es damit weitergeht, ist unklar.
Neue Umschuldungs-Deals zugunsten der Umwelt, welche die CS bereits in Arbeit hatte, werden wohl vorläufig ausgesetzt. Die UBS hat sich bislang nicht zur Zukunft der Debt-for-Nature-Swaps der Credit Suisse geäussert. Sie hat aber angedeutet, dass sie plant, den Investment-Banking-Bereich der Credit Suisse zu verkleinern.
Auch was mit anderen Umweltmassnahmen der gescheiterten Bank passiert, ist unklar. Die CS experimentierte auch mit anderen Instrumenten, um Entwicklungsländern bei der Finanzierung des Umweltschutzes zu helfen. Sie war laut Bloomberg der alleinige Structurer und Joint Bookrunner des 150-Millionen-Dollar-Rhino-Bonds der Weltbank, eines einzigartigen Instruments zur Finanzierung des Schutzes von Spitzmaulnashörnern in Südafrika. Ausserdem hatte sich die CS verpflichtet, bis 2030 insgesamt 300 Milliarden Franken für nachhaltige Finanzaktivitäten auszugeben.
Die neue UBS-CS-Superbank muss auch klimapolitisch Verantwortung übernehmen. Die Schweiz hat sich zum 1,5-Grad-Ziel und zu Netto-Null 2050 verpflichtet. Die nächsten Monate werden die Verträge für die Mega-Fusion festgezurrt. Wenn der Staat mit 209 Milliarden aus öffentlicher Hand in die Bresche springt, müssen Klimaziele dabei eine Rolle spielen.
Die Nachhaltigkeitsmassnahmen dürfen mit der Integration nicht sinken, sondern müssten summarisch eher steigen. Bei jedem Teilverkauf müssen die klimapolitischen Ziele der Schweiz und die Selbstverpflichtung der CS berücksichtigt werden. Und keiner der beteiligten Akteure darf zulassen, dass weniger regulierte Player aus Ländern mit lascheren Klimazielen die lukrative Lücke der Debt-Swaps im globalen Süden füllen.