Die Meldung kam über Facebook: «Die Entscheidung ist gefallen. Lies hier, wie die Nachfolge bei der Markus Flühmann AG geregelt wird», lautete das Posting, das die Aargauer Logistikfirma am 30. Januar online stellte. Wenn die Firmenzukunft via Social Media (23 Leuten gefiel das) kommuniziert wird, könnte man von einem Schnellschuss ausgehen.

Das Gegenteil ist richtig: Ab 2010 steckte Simone Ruckli (28) in einem Prozess, den sie und ihr Vater, Firmengründer Markus Flühmann (56), «CEO-Lehre» nennen. Die Idee mit Langfristcharakter: Die Tochter sollte während dreier Jahre alle Bereiche der 50-köpfigen Merenschwander Firma, die unter anderem Millionen von Reisekatalogen lagert und verschickt, à fond kennen lernen und dann entscheiden, ob sie per 2018 die Nachfolge ihres Vaters antreten wolle.

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Ende 2012 war für die Tochter klar, dass sie in fünf Jahren übernehmen will. Die «CEO-Lehre», während deren sie durch alle Abteilungen geschleust wurde, alle Kunden kennen lernte, in der Geschäftsleitung und im internen Strategieteam Einsitz nahm, habe ihr den perfekten Einblick vermittelt. «Der Auftrag meines Vaters lautete», so Ruckli: «Schau dir alles kritisch an. Auch mich.»

Eine Nachfolgeplanung, die acht Jahre vor dem effektiven Termin einsetzt – das hat Seltenheitswert in der Schweizer KMU-Welt. Wenn der Eurokurs drückt, ein Arealausbau harzt oder Fachkräfte fehlen, dann verdrängt der Patron gerne die längst anstehende Nachfolgefrage und kümmert sich – verständlicherweise – prioritär ums Tagesgeschäft.

Er sollte aber auch das erfolgreiche Überleben seiner Firma früh genug ins Auge fassen: «Wer fünf Jahre vor dem geplanten Rücktritt des Patrons keinen Plan hat, der hat ein Problem», sagt Heinrich Christen, Partner bei Ernst & Young. Eine «CEO-Lehre» im Rahmen eines offenen Prozesses sei eine gute Sache. Zu oft werde die hochemotional befrachtete Nachfolgefrage bei KMUs verdrängt, nicht zeitgerecht angepackt oder in der Sippe wie eine heisse Kartoffel behandelt. Vielerorts würden immer noch die Interessen der Familie vor jene der Firma gesetzt, man getraue sich in der Verwandtschaft nicht, einzugestehen, dass sich der Nachwuchs für die Fortführung der Firma nicht eigne.

Eine der wichtigsten Maximen für Christen: «Niemals ein direkter Einstieg des Sohns oder der Tochter an der Firmenspitze. Man muss sich seine Skills in tieferer Position oder extern holen.» Bei Ernst & Young wird das Geschäftsfeld «Nachfolge» wichtiger; Christen leitet das seit 2012 in der Schweiz firmenintern offiziell etablierte interdisziplinäre Family-Business-Netzwerk.

Die andere Seite des Vaters. Auch bei Egon Zehnder gewinnt das Thema an Relevanz. «Unser Geschäftsfeld ‹CEO Succession› verzeichnet zunehmende Nachfrage», sagt Philippe Hertig, Partner beim weltweit tätigen Kadervermittlungsunternehmen. Aus reicher Erfahrung in diesem Beratungsgeschäft hat Hertig für BILANZ die sieben Todsünden bei der Nachfolgeplanung zusammengestellt (siehe Nebenartikel), die auch emotional befrachtet sind: «Loslassen muss sehr früh beginnen», sagt Hertig.

Firmengründer Markus Flühmann liess schon 2010 ein erstes Mal los. Als er mit seiner Tochter vereinbarte, sie intern mit einer «CEO-Lehre» zur Nachfolgerin heranzuziehen – und ihr dabei freie Wahl liess, ob sie denn dereinst wirklich übernehmen wolle. Für Simone Ruckli bedeutete die «Chef-Stifti» auch, dass sie ihren Vater besser kennen lernte. «Er ist in Verhandlungen softer, als ich gedacht hatte», sagt die junge Frau, die schon als Knirps zwischen den Reisekatalogen herumkrabbelte, die der Vater anfangs in ausrangierten Ställen lagerte.

Anders als der Senior, der das Segment der externen Katalog-Logistik für die Schweiz erfand und aufbaute, wird die Tochter künftig stärker darauf achten müssen, den Betrieb auszulasten, neue Aufträge zu akquirieren und die digitalen Herausforderungen klug zu managen. Wozu auch gehört, essenzielle Firmenmeldungen wie beispielsweise jene zur Unternehmensnachfolge per Facebook zu veröffentlichen.

Immenser Impact. Im Nachfolge-Standardwerk des Swiss Venture Club «Wie stellen KMU heute die Weichen für übermorgen?»* wird hochgerechnet, wie weitreichend die Auswirkungen der pendenten Nachfolgeproblematik in der Schweiz sind. Zwischen 2009 und 2013 wird mit einer Nachfolgequote von 25,9 Prozent kalkuliert, was bedeutet, dass im Fünfjahreszeitraum rund 77 000 Firmen vor der Unternehmensnachfolge stehen. Hochgerechnet nach der durchschnittlichen KMU-Grösse, betrifft dies 900 000 Mitarbeitende im ganzen Land.

Ob und wie die Chefs und Inhaber die KMU-Erfolgsgeschichte in der Schweiz weiterschreiben, hat Einfluss auf gegen eine Million Arbeitsplätze im Land. Dabei hat sich ein langjähriges Muster – dass die Nachfolge familienintern geregelt wird – überholt. «Vor 30 Jahren war noch klar, dass der älteste Sohn den Hof übernimmt – und so galt es auch in den KMUs», sagt Frank Halter von der Universität St. Gallen (siehe Interview als Nebenartikel).

Der Trend gehe in allen deutschsprachigen Ländern klar weg von der familieninternen Übernahme. Dies aus zwei Gründen: «Heute wird vermehrt die Frage nach der Leistungsfähigkeit des Nachfolgers gestellt. Was das Unternehmen braucht, ist wichtiger als das, was die Familie braucht.» Zweitens hätten gesellschaftliche Entwicklungen wie Emanzipation, Multi-Options-Gesellschaft sowie intakter Arbeitsmarkt neue Realitäten geschaffen. Was aber auch von der jeweiligen Konjunktur abhänge, sagt Halter: «In einem südeuropäischen Land mit 20 Prozent Arbeitslosigkeit wird nicht zweimal überlegt, wer Nachfolger wird.»

Das Thema Nachfolge ist in der Schweiz ein Tummelfeld für Unternehmensberater, Steuerexperten, Vorsorgefachleute und Banken, die mit Nachfolge-Desks auf das Thema aufspringen. «In der Nachfolgelandschaft gibt es viele Player. Viele Dienstleister konzentrieren sich darauf, wie man das Fell des Bären am besten verwertet», sagt Andreas Schubert, Co-Gründer und Partner von Business Broker. Viel zu selten werde aber die Frage gestellt, wie der Bär überhaupt zu erlegen sei.

Die Zürcher Firma mit ihrer Datenbank von über 14 000 potenziellen Käufern ist aktiv im Feld der externen Übernahme. Offenbar sind Schweizer KMUs begehrte Objekte: Seit Firmengründung 2007 seien mehr als 180 Firmen verkauft worden, pro Mandat habe man zwischen 30 und 150 Interessenten. Es dauere im Schnitt drei bis zwölf Monate, bis eine Firma verkauft sei: «Schwierige Branchen sind Detailhandel und Hotellerie/Gastronomie – hier sind wir vorsichtig, weil es zu viele Träumer gibt.»

Ein letzter Schluck. Manolito Birrer kann er damit nicht gemeint haben. Der 32-jährige Zentralschweizer Hospitality-Profi, der unter anderem in Ecuador für die Swissôtel-Gruppe arbeitete, weiss genau, wie schwierig die Ferienindustrie mit ihren dünnen Margen und Abhängigkeiten von externen Faktoren wie Währung, Wetter und Wirtschaftsverlauf ist. Im Mai 2012 übernahm Birrer das Engelberger Viersternehotel Waldegg. Mit viel Verve, aber wenig Illusionen: «Als Hotelier ist man für die Gäste da – aber am Ende des Tages geht es nur um die Zahlen.» Einen wesentlichen Anteil an der erfolgreichen Umsetzung der Nachfolgeregelung hatte die Schweizerische Gesellschaft für Hotelkredit, einerseits mit ihrem Beratungsgutachten und andererseits mit ihrer Mitwirkung bei der Finanzierung. Birrer kaufte mit Hilfe der Sparkasse Engelberg das 60-Zimmer-Hotel mit seinen aktuell 22 Mitarbeitenden. Immerhin hatte er im Dorf keine Ressentiments zu befürchten: «Man war wohl froh, dass das Haus nicht an einen Inder oder Chinesen ging.»

Nach harten Verhandlungen mit dem 93-jährigen Besitzer über Preis und Zukunft des Hotels kam Birrer zum Handkuss. Zwei Knackpunkte sieht der Junghotelier bei einer externen Nachfolgeregelung: «Vor der Übernahme sind es die Finanzierung und die faire Bewertung des Objekts, gleich danach die Optimierung der Betriebsabläufe.» Am 30. April 2012 erfolgte die Übernahme per Inventaraufnahme und Auswechslung der gesamten Küchenbrigade, am nächsten Tag stand die neue Menukarte.

Sieben Monate später wurde die erste Renovationsrunde umgesetzt; Birrer liess 18 der 60 Zimmer auf Superior-Standard bringen, was mit einer Million Franken zu Buche schlug. Und er fuhr die Innovation hoch – auch im digitalen Bereich. Jeder Gast im Superior-Bereich erhält für die Dauer seines Aufenthalts ein iPad. Über eine eigens entwickelte Hotel-App können Halbpensionsgäste bis 18 Uhr ihr Nachtessen auswählen und dem Hotelier direkt per Online-Bewertung die Eindrücke ihres Aufenthalts übermitteln.

Ganz lösen konnte sich der vormalige Besitzer nicht von seinem Objekt: «Er kam manchmal vorbei, um sich alles anzuschauen», erzählt Birrer. Zum letzten Mal am 1. August 2012: «Er bestellte den teuersten Rotwein, konstatierte, dass es gut komme mit dem Hotel, und merkte an, dass er nun zum letzten Mal in der ‹Waldegg› sei. Einen Monat später starb er.»

Ungewohnte Konstellationen. Wenn der Gründer auch nach Weiterreichung des Chef-Joysticks aktiv im Unternehmen bleibt, leben Vorgeschichte, Tradition und Wissen, das nirgends niedergeschrieben ist, weiter. Peter Heimlicher (67), Gründer der Freiburger Contrinex, verbleibt nach der CEO-Übernahme seiner Tochter als Technologiechef an Bord. Was beim Sensorhersteller, der mit über 500 Mitarbeitern auf einen Umsatz von 70 Millionen Franken kommt, zu einer ungewöhnlichen Corporate Governance führt: Tochter Annette (35) ist als CEO zwar auf dem Papier Chefin ihres Vaters, dieser hingegen wacht als VR-Präsident über die Strategie der Firma – und steht so wieder seiner Nachfolgerin vor.

«Wir werden die Corporate Governance in naher Zukunft stärker formalisieren, es muss klarer werden, wer in welcher Hinsicht und bis zu welcher Summe den finalen Entscheid hat», sagt Annette Heimlicher, die nach Jobs beim WEF und bei Procter & Gamble seit vier Jahren im väterlichen Unternehmen arbeitet. Vater Peter Heimlicher sieht seine Rolle als Präsident des Verwaltungsrates als «Notbremse, falls das Unternehmen existenziell gefährdet sein sollte», anerkennt allerdings, dass es eine «Entscheidungsmatrix braucht, die interne Zuständigkeiten regelt». Früher war das einfacher, «da lag die Matrix in meinem Kopf».

Neue Wege. Aufgrund einer verunglückten externen Lösung übernahm Tochter Annette Heimlicher im September 2012 schneller als gedacht den Contrinex-CEO-Posten. Was ihr manchmal Bauchweh macht: «Bei Nachfolgesituationen wird oft die Rolle des Patrons in hohem Masse gewürdigt; als Junior hat man es neben dem Daily Business mit der Emotionalität des Gründers zu tun, dem es schwerfällt, Verantwortung abzugeben. Die Öffentlichkeit nimmt manchmal weniger wahr, wie viel Mut, Vision und Tatkraft die Nachfolger in ihr Tageswerk legen», so Heimlicher.

Während der Senior als technologischer Tüftler die Contrinex gross machte, will die Tochter das Unternehmen mittels Skalierung zu höheren Umsätzen bringen und der optimalen Pflege der Verkaufskanäle mehr Beachtung schenken. Mit gutem Selbstvertrauen: «Ich bin die Frau, die es jetzt braucht, um die Firma weiterzubringen.»

So weit ist Simone Ruckli noch nicht. Sie wird die Markus Flühmann AG erst 2018 als CEO übernehmen. Sie hofft, dass die nächsten fünf Jahre «relativ kurzweilig» sein werden, stellt sich vor, dass sie weiter in die Firma hineinwachsen und ein Teilpensum des Stellvertreters ihres Vaters übernehmen wird. An ihrer Visitenkarte ändert sich vorläufig nichts, lächelt Ruckli: «Dort steht noch bis 2018 ‹Kundenberaterin› drauf.»

* Swiss Venture Club / CFG-HSG (Hgg.): Wie stellen KMU heute die Weichen für übermorgen?  Unternehmer und Experten erzählen Nachfolgefälle aus der Praxis. Haupt Verlag, 2011.