Schämen Sie sich mittlerweile auch, wenn Sie fliegen?
Tamur Goudarzi Pour: Nein, aber wir haben alle eine grosse Verantwortung bei dem Thema, das die Swiss und die Lufthansa-Gruppe sehr ernst nehmen. Die Swiss investiert 8 Milliarden Franken in treibstoffeffiziente Flugzeuge, das reduziert CO2- und Lärmemissionen. Aber auch ein effizienteres System bei der Flugsicherung mit optimierten Flugrouten würde diesbezüglich helfen. Darüber hinaus kann jeder einzelne mittels entsprechender Kompensationsmöglichkeiten seinen Beitrag dazu leisten.
Sie sind neuer Kommerzchef der Swiss und fürs Revenue Management in der Lufthansa-Gruppe verantwortlich. Wie spürt das Unternehmen den Greta-Effekt?
Wir sehen derzeit keinen expliziten Greta-Effekt – also dass Menschen weniger fliegen. Wir glauben auch, dass das weltweite Mobilitätsbedürfnis weiter steigen wird.
In vielen europäischen Ländern gibt es schon eine CO2-Abgabe für Flugtickets. Lässt sich das in der Schweiz noch verhindern?
Wir haben derzeit Wahlkampf in der Schweiz, was solche Themen logischerweise befeuert. Wir glauben aber nicht, dass eine Flugticketabgabe der richtige Weg ist. Wir setzen auf multilaterale Abkommen wie Corsia, die weltweit – beispielsweise auch im Wachstumsmarkt Asien – gelten. Denn das Thema Klimaschutz macht nicht an den Grenzen der Schweiz halt.
Wie laufen die Geschäfte bei der Swiss? Lufthansa meldete fürs erste Quartal rote Zahlen.
Das Ergebnis im ersten Quartal ist zwar auch bei uns deutlich zurückgegangen, liegt aber nach wie vor über dem Durchschnitt der vergangenen Jahre. Wir sind weiterhin zuversichtlich, dass wir unser Jahresziel erreichen werden.
«Da werden zum Teil Preise angeboten, die unter den Produktionskosten liegen.»
Nicht nur Airline-Kritiker fordern in der Klimadebatte, dass Flugtickets teurer sein müssten. Auch manche Airline-Chefs argumentieren so – allerdings wegen höherer Treibstoffkosten. Werden Flugtickets teurer?
Bei der Swiss sprechen wir von einem Premium-Carrier, wir sind kein Billiganbieter. Der Druck auf die Preise im Europageschäft bleibt bestehen, solange es ein Überangebot mit zu vielen Fluggesellschaften gibt. Gerade hier herrscht ein ruinöser Wettbewerb. Da werden zum Teil Preise angeboten, die unter den Produktionskosten liegen. Und die gelten oft noch kurz bis vor Abflug, es handelt sich also nicht um Sonderangebote. Wir bieten auch interessante Preise, machen diesen Preiskampf aber nicht mit.
Die Swiss sagt, ab dem Jahr 2017 habe sie den Preiszerfall gestoppt. Heisst das, seitdem konnten Sie im Schnitt höhere Preise durchsetzen?
Wir haben es geschafft, – abgesehen vom Europageschäft – im Premiumbereich sowie auf den Langstrecken die Preise zu stabilisieren. Das ist aber auch eine saisonale und konjunkturelle Frage.
Derweil schlägt die Swiss bei Sitzplatzreservierungen happig zu: zwischen 12 und 120 Franken pro Sitz zusätzlich.
Es ist ein modulares Preissystem. Bei manchen Tickets ist die Sitzplatzwahl inklusive, andere Kunden können zusätzliche Leistungen dazukaufen, ganz im Sinne der individuellen Bedürfnisse.
Die Lufthansa-Gruppe setzt auf ein neues Preissystem: Continuous Pricing. Statt 26 Buchungsklassen lassen sich nun viele verschiedene Ticketpreise anbieten. Was soll das?
Hier tut sich einiges. In anderen Branchen ist es bereits üblich, dass man noch dynamischere Preise anbietet. In der Aviatik war der Vertrieb bisher technologisch auf 26 Buchungsklassen beschränkt. Nun können wir Preise auch zwischen zwei Buchungsklassen anbieten. Das bedeutet beispielsweise, dass ein Kunde, der zuvor in eine höhere Klasse gerutscht wäre, weil die nächsttiefere ausverkauft war, 100 Franken mehr fürs Ticket zahlen musste. Neu kann er ein Ticket kaufen, das beispielsweise lediglich 20 bis 30 Franken mehr kostet. Es sind also Preise zwischen zwei Buchungsklassen möglich.
Wann startet das neue Preissystem?
Wir sind schon mit ausgewählten Reisebüropartnern live. Wir planen, dies im Lauf des Jahres sukzessive weiter auszurollen.
Ihre Partner üben allerdings viel Kritik: Der Lufthansa-Konzern habe mit Continuous Pricing zu viel Marktmacht.
Das neue Preissystem führen wir im Interesse des Kunden ein, der so ein besseres Produkt erhalten wird.
Wollen Sie überhaupt noch mit Reisebüros arbeiten?
Reisebüros werden immer wichtige Partner für uns sein, es wird daher auch immer einen Multikanalvertrieb geben. Wir sind auch in engem Austausch mit der Branche. Manche der Partner sind schon ans neue System angeschlossen, andere warten noch ab.
Und der Kunde, der gar nicht mehr ins Reisebüro geht und online bucht? Welche Konsequenzen spürt er? Bleibt zum Beispiel beim Meilensammeln alles beim Alten?
Der Kunde ist im Vorteil, weil er neu kleinere Preisschritte angeboten bekommt. Auf das Meilensammeln hat Continuous Pricing erst mal keinen Einfluss.
Die Swiss stärkt schon länger ihren eigenen Flugticketvertrieb, zum Beispiel über die eigene Website.
Das hat vor allem mit dem Wachstum beim Online-Ticketverkauf zu tun. Wir sind stolz auf unsere kundenfreundliche Website. Das eigene Angebot ist darüber hinaus für uns kostengünstig zu vertreiben.
Wie viel Prozent des Ticketverkaufs läuft mittlerweile direkt über Sie?
Die Direktkanäle, also Eigen- und Direktanbindungen von Partnern, machen mittlerweile über 50 Prozent aus. Es geht aber nicht um einen bestimmten Prozentwert, sondern darum, was der Kunde will und wie wir ihm das anbieten können.
Immerhin haben Sie so mehr Zugang zu Kundendaten. Zahlt ein kaufkräftiger Kunde in Zürich mehr als jemand aus einem anderen Teil des Landes?
Definitiv nicht. Es ist auch nicht relevant, ob er ein iPhone oder ein Gerät von Samsung hat. Wir machen nur segmentierte Preise, keine individualisierten Preise. Es geht immer um Kundengruppen...
... zum Beispiel?
Geschäftsreisende sind ein Segment, aber nicht ein einzelner Reisender. Wichtig auch: Alle Daten, die wir sammeln, verwenden wir so, wie es der Kunde uns erlaubt und wünscht, und selbstverständlich im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben.
Die Digitalisierung soll ein besseres Kundenerlebnis liefern. Doch Ausfälle, kurzfristige Flugplanänderungen oder verlorene Koffer können schnell für Frust sorgen. Wie sollen da Chatbots und Google Voice Assistant helfen – also Maschinen statt Menschen?
Neue, digitale Angebote ermöglichen wesentliche Produkteverbesserungen entlang der Reisekette – von der Buchung bis zur möglichen Beschwerde. Digitalisierung ist aber kein Selbstzweck, wir legen weiterhin grossen Wert auf den persönlichen Kontakt.
Name: Tamur Goudarzi Pour
Funktion: Chief Commercial Officer (CCO) Swiss, Senior Vice President Revenue Management & Distribution Hub Airlines
Alter: 49
Ausbildung: Master of Philosophy in International Relations, Universität Cambridge
Karriere: seit 2019: CCO Swiss, Senior Vice President Revenue Management & Distribution Hub Airlines 2017 bis 2018: Vice President Passenger Sales, The Americas, Lufthansa-Gruppe 2000 bis 2016: verschiedene Managementaufgaben innerhalb des Lufthansa-Konzerns für die Märkte Naher Osten, Osteuropa, München und Afrika
Können der Swiss-Chatbot und Google Voice Assistant denn Schweizerdeutsch?
Das wird in einem ersten Schritt leider noch nicht möglich sein. Aber wenn ein Flug verspätet ist, können digitale Assistenten schnell Antworten liefern. Früher brauchte es ganze Callcenter, um Leute umzubuchen, nun läuft das automatisiert – allerdings stets mit der Option für unsere Kundschaft mit einem Mitarbeitenden von uns zu reden. So ergänzt das eine das andere.
Die Swiss bekommt ab 2021 eine Premium Economy. Lange gab es dagegen Widerstand.
Wir haben erst den Markt und dessen Entwicklungen beobachtet, nun ist für uns die Zeit reif. Im Übrigen werden wir in den nächsten Jahren auch bei der Swiss eine neue Business Class anbieten.
Wechseln die Eco-Passagiere rauf oder die Businesskunden runter?
Die Erfahrung zeigt eindeutig, dass es überwiegend Fluggäste aus der Economy Class mit dem Wunsch nach mehr Komfort sind, die das buchen.
Zur Wahrheit gehört auch, dass viele Firmen ihre Reiserichtlinien anpassen und nicht mehr Business bezahlen.
Das ist unterschiedlich und auch konjunkturell bedingt. Aber bei längeren Reisen erkennen Firmen zunehmend, dass ein müder Mitarbeitender nicht effizient ist. Bei Kurzstrecken, sofern ohne Umsteigen auf eine Business-Langstrecke, geht in der Tat der Trend Richtung Economy Class. Allerdings bieten wir auch attraktive Angebote in der Business Class an.
Wird die Premium Economy die Business kannibalisieren?
Nein. Die Business Class ist nach wie vor etwas ganz anderes, nämlich mit einem Sitz, der sich in ein richtiges – das heisst flaches – Bett ausfahren lässt.
An der First Class, einem margenstarken und weniger preissensiblen Geschäft, rütteln Sie aber nicht?
Die First Class spielt bei der Swiss weiterhin eine sehr wichtige Rolle.
Die Swiss bekommt in den nächsten Jahren neue Flieger, unter anderem A320 neo und A321 neo. Der Einkauf für neue Sitze wird allerdings über die Lufthansa-Gruppe einheitlich getätigt. Wie kann sich die Swiss noch differenzieren?
Beim Einkauf lassen sich so Synergien nutzen und Kosten sparen. Aber bei der Sitzgestaltung wird es nach wie vor Differenzierungsmerkmale geben.
«Induktion, also kabellos: Das wäre etwas, was ich mir für eine neue Business Class wünschen würde.»
Beim Sitz wollen Passagiere oft zuerst ihr Tablet und Telefon aufladen: In der Branche gibt es schon die Debatte, wann man Passagiere zur Kasse bittet fürs Aufladen ihrer Geräte. Bald auch bei der Swiss?
Das werden wir nicht tun. Wir möchten dem Kunden zunehmend Konnektivität entlang der ganzen Reisekette ermöglichen. In diesem Zusammenhang schauen wir uns auch neue Formen des Aufladens an, beispielsweise mittels Induktion, also kabellos. Das wäre etwas, was ich mir für eine neue Business Class wünschen würde.
Thema Koffer: Bei Eurowings ist beim Basic-Tarif nicht mehr garantiert, dass das gesamte Handgepäck immer mit in die Kabine kann. Wie steht die Swiss dazu?
Bei uns sind die Handgepäckregeln klar kommuniziert. Wir setzen da auf die Selbstverantwortung unserer Kunden.
Die halten sich aber nie daran und wollen am liebsten alle ihre Koffer ins Gepäckfach quetschen …
... das verlangsamt natürlich das Boarding. Es gibt schon entsprechende Kontrollen, aber stets mit dem nötigen Augenmass.
In Genf bieten Sie einen Shuttle Service an; müssen Taxifahrer um ihren Job fürchten?
Das findet in einem überschaubaren Rahmen statt, die Taxifahrer müssen sich unseretwegen nicht um ihre Arbeitsstelle sorgen.
Was wurde aus dem 10er-Flugticket-Abo in Genf? Warum bewerben Sie das nicht mehr?
Erste Zahlen zeigen, dass der Flightpass sehr erfolgreich war, auch wenn die Auswertung noch nicht ganz abgeschlossen ist. Darüber hinaus war das Kundenfeedback durchwegs sehr positiv. Eine Fortsetzung des Angebots wird daher derzeit geprüft.
Swiss International Air Lines steuert als Lufthansa-Tochterfirma von Zürich, Genf und Lugano rund 100 Destinationen in 44 Ländern an. Die Swiss verfügt über eine Flotte von etwa neunzig Flugzeugen, mit denen pro Jahr 18 Millionen Passagiere unterwegs sind. Swiss hat 9000 Mitarbeitende. In der Geschäftsleitung sitzen CEO Thomas Klühr, CCO Tamur Goudarzi Pour und CFO Michael Niggemann.
Vergangenes Jahr hatte die Swiss ein Rekordergebnis erzielt. Nun läuft es weniger gut: Im ersten Quartal 2019 sank das operative Ergebnis um mehr als die Hälfte. Grund: Druck auf die Ticketpreise und höhere Kosten. Das operative Ergebnis betrug 48,3 Millionen Franken – das sind 54 Prozent weniger als im Vorjahr.
Wann sagen Sie, welche weiteren Langstrecken-Routen Sie ansteuern?
Das eruieren wir noch, die zwei weiteren Flugzeuge, die bald zur Swiss-Langstreckenflotte stossen, werden sicherlich nach Nordamerika oder Asien eingesetzt werden, dort ist profitables Wachstum möglich.
Und die Inlandstrecken in der Schweiz? Wie nach Sitten, Lugano und Genf? Das gibt klimabedingt viel Kritik, warum überlassen Sie das nicht den SBB?
Wir binden so die verschiedenen Landesteile der Schweiz an unseren Hub in Zürich an. Es geht dabei nicht um Reisende, die von A nach B unterwegs sind, sondern vielmehr um Umsteigepassagiere, die dann weiter ab Zürich an eine Langstreckendestination fliegen. Sie haben bisher keinen adäquaten Zubringer mit anderen Verkehrsanbietern.
Also halten Sie an den Inlandflügen fest?
Ja, allerdings sind wir schon seit längerem auch in Gesprächen mit diversen Anbietern des öffentlichen Verkehrs, insbesondere für Punkt-zu-Punkt-Reisende. Diese Gespräche intensivieren wir zurzeit.
Sie sind seit zwanzig Jahren bei Lufthansa, waren lange in den USA. Welche Erfahrung bringen Sie von dort mit in die Schweiz?
Ich war lange Zeit im Ausland, habe als Deutsch-Iraner nicht nur in Frankfurt, sondern auch mehrere Jahre international für Lufthansa gearbeitet. Ich glaube, der Blick von aussen ist generell gesund für neue Ideen. In den USA habe ich unter anderem die Startup-Kultur intensiv kennengelernt.
Was steht auf Ihrer Traktandenliste nun ganz oben?
Sicherlich das Thema Digitalisierung. Nehmen Sie als Beispiel die Biometrie. In Los Angeles kann man einen Airbus A380 mittlerweile in 20 Minuten boarden, und zwar mittels Gesichtserkennung, ohne dass der Kunde seine Bordkarte zeigen muss. Es wäre schön, wenn wir das auch bald in der Schweiz anbieten könnten. Dafür braucht es aber auch die Systempartner, die mitziehen.
Was sagen Sie Mitarbeitenden, die sich wundern, dass mit Ihnen in der Swiss-Geschäftsleitung nur noch Deutsche sitzen?
Wir haben bei Swiss und Lufthansa eine gute Repräsentanz von vielen verschiedenen Nationalitäten und Kulturen und hier in Zürich natürlich einen sehr grossen Schweizer-Anteil. Swissness ist keine Frage der Staatsangehörigkeit, sondern der Werte. Hinzu kommt: Mein Vorgänger, der Schweizer Markus Binkert, ist nun in München für das Marketing der gesamten Lufthansa-Gruppe zuständig.
Wie trainieren Sie sich die Swissness an?
Die Charakteristika der Swiss kenne ich bereits, da ich viele Jahre im Ausland auch Swiss-Vertreter war. Nichtsdestotrotz nehme ich alles auf und versuche, viel zu lernen. Darüber hinaus habe ich meinen Wohnsitz nach Zürich verlegt.
Wie halten Sie die Ruhe in Zürich aus? Vorher lebten Sie in New York City.
Das Airline-Geschäft ist nie ruhig, egal ob man in Manhattan oder Zürich lebt. Allerdings ist das Leben in Zürich etwas komfortabler, was zum Beispiel das Freizeitangebot oder die Verkehrsanbindungen angeht. Zudem kann man hier, anders als in Manhattan, das Wasser auch aus dem Hahn trinken.