Krähen haben ein Problem. Sie fressen fürs Leben gern Nüsse, bekommen aber die Schalen nicht auf.
Es ist bemerkenswert, wie manche das Problem lösen. Sie lassen die Nüsse auf die Strasse fallen und warten, bis Autos darüberrollen und sie knacken. Manchmal legen sie ihre Nüsse gezielt neben einen Zebrastreifen. Sie haben bemerkt, dass Autos hier mitunter anhalten, um Fussgänger durchzulassen. Damit bleibt den Krähen genug Zeit, um die Nüsse risikolos vom Asphalt zu picken.
Ist das Intelligenz? Vermutlich schon. In der Psychologie gilt Intelligenz als Summe der kognitiven Fähigkeiten, dazu gehört die Fähigkeit, Probleme zu lösen, Wissen anzuwenden und sich an neue Situationen anzupassen.
Insofern sind Krähen Intelligenzbestien. Sie sind auch geschickt im Werkzeugbau und biegen beispielsweise Drähte zurecht, um damit nach Nahrung zu angeln. Gut entwickelt ist auch ihre soziale Intelligenz. Sie hacken anderen Krähen kein Auge aus.
Wenn man Job Descriptions oder Stellenausschreibungen von Topmanagern liest, fällt etwas auf: Intelligenz wird nie verlangt. In all den Anforderungsprofilen ist viel die Rede von Führungsstärke, Belastbarkeit, Marktorientierung und Sozialkompetenz. Intelligenz ist nie eine Bedingung für die Karriere.
Es gibt einige Management-Theorien, die allzu viel Intelligenz im Business gar für schädlich halten. Es ist kein Erfolgskriterium, wenn Chefs äusserst scharfsinnige Analytiker sind. Ich teile diese Ansicht.
Der erfolgreichste Chef, den ich je hatte, war vieles, aber mit Sicherheit kein messerscharfer Nobelpreisträger. Auch eigene Ideen und eigene Kreativität waren ihm fremd. Von der Sache verstand er ohnehin nicht allzu viel. Aber erfolgreich war er wie kaum ein Zweiter.
Warum? Er hatte ein untrügliches Gespür für die Ideen und Vorschläge von anderen. Wenn drei aus der Geschäftsleitung drei unterschiedliche Konzepte zur Problemlösung präsentierten, entschied er sich stets für jenes, das – wie sich später zeigte – zum Erfolg führte. Er hatte ein unglaublich gutes Bauchgefühl. Er entschied nicht nach Kriterien der Intelligenz, sondern nach solchen des Instinkts.
Viele Manager entscheiden nach ihrem Instinkt. Instinkt gehört ins Tierreich. Damit das ein bisschen besser tönt, hat man für dieses gefühlsmässige Handeln und Entscheiden einen hübschen Tarnbegriff erfunden. Instinkt heisst in der Managementlehre «emotionale Intelligenz».
Eine der besten Methoden zur Unterscheidung von tieferen und höheren Lebewesen ist der Spiegeltest. Wer sich selbst im Spiegel sieht, steht kognitiv auf höherer Stufe. Meist bringt man dazu einen farbigen Fleck auf der Haut oder dem Fell an. Nur wer sich selber im Spiegel erkennt, wird dann den Fleck beseitigen.
Gorillas bestehen den Spiegeltest nicht. Auch Hunde und Katzen sehen sich im Spiegel nicht. Menschen können es ab dem zweiten Lebensjahr. Auch Schimpansen und Delfine erkennen sich selbst. Natürlich können das auch die klugen Krähen. Wenn man ihnen einen roten Punkt aufs Gefieder klebt, sehen sie das im Spiegel sofort und versuchen, den Fleck zu entfernen.
Auch hier könnten wir die Methode auf die Spezies unserer Topmanager anwenden. Wenn einer von ihnen vor dem Spiegel steht, sieht er dann jemals einen Fleck? Man darf daran zweifeln.
Kurt W. Zimmermann ist Verlagsunternehmer. Er ist Kolumnist und Buchautor zu den Themen Medien, Biologie und Outdoor-Sport.