Nicht überall auf der Welt ist Bullerbü. Insbesondere was die Rente angeht, sind die Schweden, wie überhaupt die Skandinavier, vielen einen Schritt voraus. Ich habe das kürzlich in Gesprächen in Stockholm, Helsinki und Oslo mehrfach festgestellt. Rentenreformen bieten in der Schweiz und anderen demographisch alternden «Silver Economies» politischen Zündstoff.

Nicht so in Skandinavien. In den 80er Jahren befand sich vor allem Schweden, aber auch seine Nachbarländer, in einer tiefen, wirtschaftlichen Krise. Sie führte zu weitreichenden, marktwirtschaft- lichen Reformen in den 90er Jahren. Diese legten die Basis für das gegenwärtige Wirtschaftsmodell Skandinaviens.

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Heute sind die skandinavischen Wirtschaften kaum noch mit jenen der 80er Jahre vergleichbar. Staatsschulden haben sich halbiert. Die Rentensysteme zählen als weltweites Vorbild. Der öffentliche Sektor ist geschrumpft, was aber durch einen vitalen Privatsektor mehr als kompensiert wurde. Bildung, Familienförderung und soziale Kohäsion geniessen hohe Stellenwerte. Dasselbe gilt für die Wettbewerbsfähigkeit.

Während wir ähnliches auch für die Schweiz reklamieren können, hat Schweden 1999 – und später Norwegen, Dänemark und Finnland – gezeigt, dass auch eine nachhaltige Rentenreform möglich ist, welche einen fairen Interessenausgleich zwischen Rentnern, Arbeitnehmern, Staat und Pensionskassen ohne finanzielle Defizite und ohne politische Grabenkämpfe erlaubt. Tönt zu gut, um wahr zu sein?

Schweden kennt kein fixes Rentenalter

Das schwedische Rentensystem verbindet ein Umlageverfahren mit obligatorischen, kapitalgedeckten Elementen, in welches alle Bürger 18,5 Prozent ihres Bruttolohnes einzahlen. Der grössere Teil daraus, 16 Prozent, fliesst in ein umlagefinanziertes Rentensystem, aus welchem die staatliche Einkommensrente gezahlt wird. Die restlichen 2,5 Prozent fliessen in ein kapitalgedecktes Rentensystem, dessen Anlagen jeder Bürger frei wählen kann.

Interessanterweise verzichten die Nordländer auf feste Altersgrenzen für den Rentenbeginn. In Schweden kann jedermann zwischen 61 und 67 Jahren selbst entscheiden, wann er Rente beziehen will. In Norwegen gilt sogar ein Alterskorridor von 62 bis 75 Jahren. Ein politischer Streit um ein einheitliches Rentenalter existiert in Skandinavien erst gar nicht. Tatsächlich liegt das durchschnittliche Alter, in dem die meisten Schweden den Ruhestand wählen, bei 66 Jahren. In Norwegen liegt es leicht darüber.

«Niemand streitet hier über die Rente» berichtet mir ein ehemaliger Wirtschaftsprofessor. «Die Menschen haben das System gut akzeptiert, weil es jedes Jahr für alle einen einheitlichen Ausgleich gibt, der nachvollziehbar ist und alle relevanten wirtschaftlichen- und demographischen Veränderungen widerspiegelt». Wie ist das möglich?

Zwei einfache Regeln ermöglichen diese, seit gut zwanzig Jahren erfolgreiche, Lösung.

Erstens: Wer früher aufhört, erhält weniger. Wer länger arbeitet, erhält mehr. Beispielsweise erhält jemand, der mit 61 Jahren den Ruhestand wählt, 28 Prozent weniger Einkommensrente als jemand, der erst mit 65 Jahren aufhört. Wer noch länger arbeitet, erhält selbstverständlich mehr.

Zweitens: Eine eingebaute Schuldenbremse im nationalen Umlage-Rententopf sichert nachhaltig sein Vermögen und verhindert das Entstehen von Defiziten. Zu diesem Zweck wird jedes Jahr die prozentuale Vermögensveränderung des nationalen AHV-Topfes, welche alle wirtschaftlichen und demographischen Realitäten reflektiert, einheitlich auf die Renten umgelegt. Konkret heisst das: Nach einem guten Jahr bekommen alle mehr. Droht ein Loch in der Kasse, gibt’s für alle weniger. Im schlechtesten der letzten zwanzig Jahre bewirkte das eine einmalige Rentenkürzung von 2,8 Prozent für alle. Doch dieser Einschnitt wurde in den folgenden Jahren durch Rentensteigerungen mehr als wettgemacht.

«Die meisten Schweden empfinden dieses System als gerecht, weil es einfach, nachvollziehbar und frei von politischen Interessen ist», berichtet mir ein weiterer Gesprächspartner.

Das System würde für die Schweiz passen

Was würde ein solches Modell für die Schweiz bedeuten? Basierend auf den Daten der AHV hätte es in den letzten fünf Jahren jährliche Rentenschwankungen von unter einem Prozent pro Jahr gegeben. 2012, 2013 und 2014 wären die Renten jedes Jahr knapp ein halbes Prozent gestiegen, 2015 wären sie um 0,8 Prozent gefallen und 2016 wären sie etwa 0,6 Prozent gestiegen. Sind solche Schwankungen für Schweizer Rentner verkraftbar?

Wer beispielsweise monatlich 2100 Franken AHV-Rente erhält, hätte in der Schweiz konkret monatliche Mehr- oder Mindereinnahmen zwischen 10 Franken und 16 Franken erhalten. In Skandinavien stösst dies auf Unterstützung. Denn der gesellschaftspolitische Gewinn besteht darin, dass dieses einfache System weder Gewinner noch Verlierer, noch eine unüberschaubare Regelflut produziert, sondern eine nachhaltige Rentenlösung für alle Generationen darstellt.

Und in noch einem Aspekt werden möglicherweise noch andere Länder dem skandinavischen Vorbild folgen: Im Allgemeinen sind die Aktienquoten skandinavischer Pensionskassen deutlich höher als in der Eurozone und der Schweiz. Allen voran hält die Pensionskasse des norwegischen Staates, welche auch in nachhaltiger Hinsicht ein globaler Pionier ist, über 60 Prozent ihrer Anlagen in Aktien, wodurch sie seit Jahren überdurchschnittlichen Erfolg erzielt.