Wenn es um den Einfluss auf die Finanzmärkte geht, ist die Schweiz eine Riesennation. Nicht nur, dass die grossen Banken des Landes zu den grössten Vermögensverwaltern der Welt zählen. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) ist eine der aggressivsten Notenbanken auf dem Globus. Das offenbart die jüngste Statistik.
Danach haben die Währungshüter ihren Bestand an US-Aktien kräftig aufgestockt. Der Wert des US-Portfolios schnellte zum Ende des ersten Halbjahrs nach Berechnungen des Finanzdienstes Bloomberg auf 84,3 Milliarden Dollar in die Höhe. Ende März waren es erst 80,4 Milliarden Dollar.
341 Dollar Apple-Aktien pro Person
Damit mischt jede Schweizerin und jeder Schweizer mit durchschnittlich gut 10'200 Dollar über die Notenbank an der Wall Street mit. Jeder Einwohner hält Apple-Aktien im Wert von 341 Dollar, Google-Stocks für 251 Dollar, Microsoft-Papiere im Wert von 227 Dollar und Amazon für 174 Dollar. Denn die vier Tech-Konzerne gehören laut Bloomberg zu den grössten Positionen im US-Aktien-Portfolio der SNB.
Grund für den Kaufrausch sind die Devisenreserven, die die Schweizer Währungshüter mit ihren Devisenmarkt-Interventionen aufgehäuft haben. Um die heimische Währung zu schwächen, haben sie Franken gedruckt und dafür Dollar beziehungsweise Euro gekauft.
Keine Interessenskonflikte
Mittlerweile hat der Staatsschatz ein Volumen von 714 Milliarden Franken, umgerechnet 735 Milliarden Dollar, erreicht. Das hat unter den Eidgenossen eine Debatte ausgelöst, wie dieses Geld am besten anzulegen ist.
Und da es mit Zinspapieren nichts zu verdienen gibt, steckten die Franken-Hüter immer grössere Summen in Aktien. Um Interessenkonflikte mit heimischen Konzernen zu vermeiden, wurde das Geld in Dividendenwerte ausserhalb der Schweiz investiert.
Starkes US-Engagement
Ein besonders grosser Anteil floss in US-Titel, wie die jüngsten Zahlen zeigen. Allein in den vergangenen beiden Jahren hat sich der Wert der amerikanischen Aktien mehr als verdoppelt.
Das liegt nicht nur an den massiven Zukäufen der SNB, sondern auch den Kursgewinnen der Wall Street. Der Börsenindex S&P 500 hat seit Sommer 2015 rund 20 Prozent gewonnen. Das Aktienportfolio der SNB zeigt, dass die Schweizer ein aktives Aktienmanagement bevorzugen.
Wenig Lust auf Finanztitel
Sie investieren nicht stumpf das Geld nach der Grösse der Konzerne, sondern gewichten bewusst einzelne Titel über. So sticht das Übergewicht an US-Pharmawerten ins Auge oder auch die Vorliebe für klassische Konsumgütertitel wie Procter & Gamble. Finanztitel werden hingegen untergewichtet.
Doch diese Vorgehensweise zieht auch viel Kritik auf sich. Denn unter den insgesamt 2558 Aktien befinden sich auch Titel von Rüstungsfirmen wie Raytheon oder Northrop Grumman. Viele Aktivisten fordern von den Währungshütern nun eine ethischere Aktienauswahl. Und auch Schweizer Parlamentarier haben ihre Bauchschmerzen mit dem Wirken der Notenbanker.
Sie wollen das Aktienportfolio der SNB in einen Staatsfonds umschichten und so eine gewisse Kontrolle über die Investments bekommen. Dass die Welt überhaupt von den delikaten Positionen erfahren hat, liegt daran, dass die Schweizer wie andere Investoren auch in regelmässigen Abständen ihre US-Anlagen der amerikanischen Finanzaufsicht SEC berichten müssen.
Ein Player mit Gewicht
«Die Schweizer sind jetzt der achtgrösste Halter von US-Aktien weltweit», sagt John Mauldin, Gründer des Analysehauses Mauldin Economics. Er hält die Aktienkäufe der Schweizer für äusserst riskant.
«Was passiert bei einem Aktiencrash? Wer trägt die Verluste? Werden die Notenbanker dann einfach noch mehr Geld drucken, um das Minus auszugleichen?», fragt der Finanzexperte. Tatsächlich ist die SNB durch ihre Aktienengagements zu einem börsenrelevanten Player geworden, dessen Transaktionen die Märkte bewegen können.
Wie aus dem Krisenmodus
Kritiker werfen den Notenbankern vor, mit ihren Geldspritzen die Kurse künstlich nach oben getrieben zu haben. Das gelte noch mehr für die Anleihemärkte. Allein die Europäische Zentralbank (EZB) hat für gut 1,5 Billionen Euro europäische Staatsanleihen gekauft.
Durch die Interventionen ist nach Ansicht vieler Experten inzwischen ein Niveau erreicht, dass es den Währungshütern nahezu unmöglich macht, sich aus der Krisenpolitik wieder zurückzuziehen, ohne einen Crash zu riskieren. «Die Erdanziehungskraft kann durch die Käufe nicht ausgeschaltet werden», sagt Mauldin. «Sie wird am Ende die Kurse wieder zu Boden holen.»
Dieser Artikel erschien zuerst auf «Die Welt» unter dem Titel «So aggressiv agieren die Schweizer an der Wall Street».