Der amerikanische Ökonom David Levy scheut sich nicht, unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Das liegt in der Familie und scheint erblich bedingt zu sein. Bereits der Grossvater warnte vor der Weltwirtschaftskrise 1929, und David Levy selbst – Chairman des Jerome Levy Forecasting Center – sagte die Rezession im Jahr 2007 voraus. Seit einiger Zeit beschreibt er die Probleme in den Schwellenländern inklusive China mit klaren Worten.

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Herr Levy, woher rührt Ihr Schwellenländer-Pessimismus?
David Levy*: Als Folge des gigantischen Investitionsbooms bestehen in den Emerging Markets enorme Überkapazitäten. Diese müssen nun bereinigt werden. Das ist der Grund, weshalb der Weltwirtschaft eine Rezession droht, vermutlich in Kombination mit einer Finanz- und Wirtschaftskrise. Die sich zuspitzenden Probleme werden auch die USA betreffen. Wir rechnen mit fallenden Unternehmensgewinnen und einer baldigen Korrektur der jüngsten Zinserhöhung. Die 2020er-Jahre werden als das Jahrzehnt der Nullzinsen in die Geschichte eingehen.

Wie gravierend sind die Probleme Chinas – der zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt?
China hat tiefgreifendere Probleme mit der Verschuldung und den Überkapazitäten als andere Schwellenländer. Hier scheinen eine Rezession und eine Finanzkrise programmiert zu sein. Unglücklicherweise wird die Lage immer verzwickter, und leider gibt es keine einfache Lösung. China bleibt abhängig von riesigen Investitionen, die erschreckend hohe Überkapazitäten erzeugt haben, sowie von hohen Handelsbilanzüberschüssen, was bei einer sich abschwächenden Weltwirtschaft problematisch ist. Der Umgang mit den Problemen erfordert ein hohes Mass an volkswirtschaftlicher und politischer Raffinesse, die in Peking oder bei sonst einer Regierung nur schwer zu finden sind.

Wieso können sich die entwickelten Staaten der Probleme der Schwellenländer nicht entziehen?
Die aufstrebenden Nationen waren in den vergangenen Jahren eine wichtige Stütze für die Unternehmensgewinne in den entwickelten Ländern. Denn sie stärkten die Exporte von Kapital- und Konsumgütern, sorgten für steigende Tourismusausgaben sowie Investitionen im Rohstoffsektor und trugen zu einer höheren Kreditnachfrage bei. 2016 lassen diese positiven Effekte nach, wobei die Korrektur in den Schwellenländern erst am Anfang steht und noch einen weiten Weg nach unten hat. Das wird im weiteren Jahresverlauf die USA und andere entwickelte Staaten mit nach unten ziehen.

Die zuletzt weiter gefallene Arbeitslosenrate in den USA signalisiert aber doch keine neue Schwäche?
Das Beschäftigungswachstum ist häufig robust vor dem Beginn einer Rezession. Eine Entwicklung, wie wir sie von Oktober bis Dezember gesehen haben, oder sogar noch höhere Zuwüchse, wurden vor einem wirtschaftlichen Abschwung bei mindestens der Hälfte der vergangenen zwölf Rezessionen in den USA beobachtet. Dieses Mal zieht sich die US-Wirtschaft nicht selbst nach unten, sondern sich zuspitzende globale Probleme.

Die Chancen stehen also 50: 50, dass es zu einer Rezession kommt?
Lassen Sie sich nicht in falscher Sicherheit wiegen durch starke Arbeitsmarktberichte oder das Wirtschaftswachstum in den USA. Auch sollte die Erholung der Euro-Zone in den vergangenen Jahren nicht überschätzt werden, oder die Beteuerungen Chinas, alles zur Stützung der eigenen Wirtschaft und Börse zu tun. Wer sich nicht bewusst ist, welche gewinnsteigernden Effekte von der volkswirtschaftlichen Blase in den Schwellenländern ausgegangen sind, der wird von dem, was geschehen wird, ebenso negativ überrascht sein, wie es die meisten Leute 2008 und 2009 waren.

Es kommt zu einer Wiederholung der Finanzkrise?
Wir sehen uns nicht mit einer typischen Rezession konfrontiert, sondern mit einem lang anhaltenden wirtschaftlichen Einbruch, der auf Überkapazitäten, überbewerteten Assets und einem Übermass an Schulden basiert. Der Korrekturprozess wird langwierig sein und vermutlich mehr als einen Konjunkturzyklus in Anspruch nehmen. Das Sturmtief wird dieses Mal in den Schwellenländern liegen. Das Resultat wird eine schwere Rezession im Verbund mit einer Finanzkrise sein, wobei die Auswirkungen in den USA und vermutlich in einigen entwickelten Staaten weniger schlimm ausfallen dürften.

Die Regierungen können nichts tun?
So weit wie möglich müssen die Regierungen zwei Aufgaben übernehmen: Erstens müssen sie als Kreditgeber der letzten Instanz einen Zusammenbruch des Bankensystems verhindern. Zweitens müssen mit einer expansiven Fiskalpolitik die Negativfolgen auf die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt gemildert werden. Diese beiden Massnahmen wurden in den USA 2008 getroffen, und sie haben gewirkt.

Sie empfehlen, die von den USA betriebene Politik zu kopieren?
Die meisten Schwellenländer sind stark auf einen Zugang zu den internationalen Finanzmärkten angewiesen und damit auf Wechselkursstabilität. Das ist für die Umsetzung der skizzierten Geld- und Fiskalpolitik hinderlich. Ohne die Hilfe von Hartwährungsländern dürfte es zu vielen Zahlungsausfällen in den Schwellenländern kommen, was die Negativfolgen noch verschlimmert.

Eine ernüchternde Bestandesaufnahme. Hat wenigstens Europa bessere Karten bei der Krisenbekämpfung?
In so einem Umfeld dürfte es auch der Euro-Zone lange schwerfallen, sich selbst zu stützen – zumindest so lange, wie es keine gemeinschaftlichen Euro-Bonds gibt. Bis es so weit kommt, werden die internationalen Finanzmärkte die Schulden eines jeden Euro-Landes einzeln beurteilen, was zu einer Kapitalflucht aus den anfälligsten Ländern führt.

Wie hart wird die Schweiz von diesen düsteren Aussichten in Mitleidenschaft gezogen werden?
Die Schweiz ist sehr von den internationalen Märkten abhängig, und das in einem Umfeld, in dem das weltweite Handelsvolumen deutlich fallen wird. Der im Verhältnis zur Landesgrösse sehr gewichtige Finanzsektor macht die Schweiz für Schocks besonders empfindlich. Das trifft auch Weltkonzerne mit soliden Kredit-Ratings und starken Bilanzen. Sie dürften Probleme mit dem Cashflow bekommen, den Wechselkursen und dem Deflationsdruck.

Wie sollten sich Anleger verhalten?
Es gibt nur wenige sichere Häfen. Gold dürfte in einem deflationären Umfeld auf Dollar-Basis weiter fallen. Wir raten zu einer Übergewichtung von US-Staatsanleihen, insbesondere am langen Ende. Bares zu halten, ist auch nicht verkehrt.

Kein Lichtblick in Sicht?
Ganz langfristig betrachtet, sind wir sehr optimistisch für die Vereinigten Staaten und für Japan.

*David Levy (60) ist Chairman des Jerome Levy Forecasting Center. Er machte einen MBA-Abschluss an der Columbia University School of Business und war Mitglied der von Präsident Bill Clinton im Jahr 1997 initiierten Commission to Study Capital Budgeting.