Daniel Humm geht auf den ersten Blick problemlos als Amerikaner durch: Name, Auftreten, Sprache – alles passt wie selbstverständlich nach New York. Nichts verrät die kleine Welt von Strengelbach, die er 14-jährig verliess, um die Schule gegen eine Kochlehre im Kurhotel im Park in Schinznach-Bad einzutauschen. «Meine Eltern fanden das gar nicht toll», amüsiert er sich rückblickend. Kein Wunder. Sie konnten nicht ahnen, dass ihr Sohn zehn Jahre später den ersten «Michelin»-Stern erkochen und 2011 die Höchstnote vom «Guide Michelin» erhalten würde.
Heute nennen Gourmets seinen Namen in einem Atemzug mit Kochkoryphäen wie René Redzepi, Massimo Bottura oder Michel Bras. Die renommierte San-Pellegrino-Auswahl der 50 weltbesten Restaurants setzte sein «Eleven Madison Park» auf Platz fünf. Wer dort essen möchte, muss Wochen im Voraus buchen, die Warteliste kann bis zu 200 Namen führen – täglich. Daniel Humm ist der erste echte Schweizer Celebrity-Chef, Star unter Manhattans Superköchen, international gefragt, hofiert und kopiert.
Anton Mosimann war der Erste
Eigentlich gebührt Anton Mosimann die Ehre: Er war der erste Schweizer Küchenchef im Ausland mit Starpotenzial, der erste, der «Michelin»-Sterne für ein nicht französisches Hotel-Restaurant erhielt, der erste, dessen Name zu einer Marke wurde, ganz gleich ob er auf einer Menukarte oder einer Packung Puddingpulver stand. Der heute 68-Jährige ist bekannt, respektiert und nach rund 40 Jahren noch immer gut im Geschäft.
Doch ein Mosimann-Hype blieb aus. Vielleicht war der Kochberuf zu seiner Glanzzeit so glamourös wie Schuster oder Schreiner? Vielleicht hat die Welt auf einen durchgeknallten Youngster wie Jamie Oliver gewartet?
Kathedrale der Kochkunst
Wie auch immer: Daniel Humm war offensichtlich zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Und er hat auch alles andere richtig gemacht, sonst stünde er nicht, wo er steht, in einer Stadt, in der die Latte für Menschen mit Ambitionen deutlich höher liegt als anderswo. Wer seine Wirkungsstätte am Madison Square Park betritt, spürt sofort, dass dies ein besonderer Ort ist. Eine Kathedrale, grossartig in jeder Hinsicht.
Das «EMP» – wie Insider und Habitués das Restaurant Eleven Madison Park nennen – befindet sich in der Lobby eines Gebäudes, das 1928 als weltweit höchstes geplant wurde. Die Stuckaturen der Decke schweben gute zehn Meter über dem rostbraunen Terrazzo-Boden, durch gigantische Fenster ist einer der wohl schönsten Parks der Stadt zu sehen. Der Raum ist imposant, die Einrichtung von fast schlichter Eleganz – mehr New York ist visuell fast nicht möglich. Kulinarisch hat Daniel Humm hier seine ganz persönliche Handschrift etabliert.
«If it’s not awesome, we don’t do it»
«Als ich 2006 aus San Francisco ins ‹Eleven Madison Park› kam, war dies eine Brasserie mit 220 Sitzplätzen, in der täglich über 500 Mahlzeiten serviert wurden», erzählt er. Das war nicht, was ihm vorschwebte. Nicht das, wofür er mit 24 Jahren seinen ersten «Michelin»-Stern im Gasthaus zum Gupf in Rehetobel AR erkocht hatte. Nicht das, wofür er nach Amerika gegangen war, ohne ein Wort Englisch und mit nicht viel mehr als einem Koffer voller Kochklamotten und Küchenutensilien. Und schon gar nicht das, wofür er in New York angetreten war.
«Jeder, der nach New York kommt, möchte etwas Besonderes erreichen, zu den Besten gehören», sagt er. Er selbst folgt dabei einer denkbar einfachen Maxime: Entweder etwas ist perfekt, oder es ist nicht gut, «if it’s not awesome, we don’t do it».
Schweizer Qualitäten
Heute werden im «EMP» maximal 150 Gäste am Tag bekocht. Ihr gastronomisches Erlebnis beginnt bereits zwei Tage vorher, wenn sie von einem freundlichen «EMP»-Mitarbeiter telefonisch kontaktiert werden. Man bestätigt die Reservierung, erklärt, dass es ein Tasting Menu geben werde, dass die Gäste dafür dreieinhalb Stunden Zeit einplanen sollten und dass man sich sehr auf den Besuch freue. Welches Drei-Sterne-Restaurant macht das schon?
Bescheidenheit, Freundlichkeit und Respekt sind Eigenschaften, die Humm seinen Schweizer Wurzeln verdankt. «Ich bin seit zwölf Jahren in den USA, und am Anfang habe ich mich vollständig auf das Leben in diesem Land konzentriert», sagt er, «erst neuerdings entdecke ich die Qualitäten, die mir in der Schweiz vermittelt wurden.»
Auch seinen schon fast legendären Perfektionismus schiebt er seiner Erziehung in die Schuhe: «Ordnung muss sein», sagt er, «das hat mir meine Mutter beigebracht.» Jeder Weg, jeder Handgriff, die ganze Choreografie in Restaurant und Küche folgt einem akribisch ausgearbeiteten Muster, niemals kommen sich zwei Köche oder zwei Service-Mitarbeiter in die Quere.
Dreierteam entwickelt neue Gerichte
Damit alles wie am Schnürchen läuft, stehen 160 Menschen auf der «EMP»-Gehaltsliste, darunter 70 Köche, inklusive eines Dreierteams, das nichts anderes macht, als neue Gerichte zu entwickeln. In deren Labor über der Küche entstanden Köstlichkeiten wie «Tomato»: eine tomatenförmige Scheibe, die aus einer hauchdünnen Basis aus Tomaten-Bavarois mit Knoblauch-Roggen-Bröseln und einer Lage tiefrotem und intensiv duftendem Tomatenpurée besteht.
Darüber werden geröstete Tomatenkerne, Basilikumknospen und eingelegte Schalotten gestreut, drumherum etwas Tomatenwasser verteilt, hellgelb wie feinstes Olivenöl. Oder «Caviar»: In einem runden Döschen stapeln sich Schinken-Gelée, gestockte Mais-Crème und Mais-Gelée mit Kaviar. Dazu gibt es eine warme Hollandaise und Mini-Muffins. Das Ganze erinnert an Eggs Benedict, und dass die Büchse mit einem Art-déco-Muster verziert ist, darf als Hommage Humms an die Stadt und die Räumlichkeiten, in denen er arbeitet, verstanden werden.
Präzision und Beständigkeit als Schweizer Eigenschaften
Wie wichtig es ist, sich auf einen Ort einzulassen, zeigen auch andere Schweizer Spitzenköche, die im Ausland arbeiten. Für Florian Trento, der seit über 20 Jahren das kulinarische Geschehen im Luxushotel The Peninsula in Hongkong leitet, zählen Neugier und Aufgeschlossenheit zu den wichtigsten Charakterzügen, um langfristig auf Spitzenniveau zu kochen.
Er kennt jede Garküche im Umkreis des «Peninsula», hat sich intensiv mit kantonesischer Küche beschäftigt und kann selbst dem Hongkonger Chaos positive Seiten abgewinnen. Aber ohne Präzision und Beständigkeit geht es nicht: «Um immer sehr gut zu sein und jeden Tag Topqualität zu bieten, braucht es das», sagt er, und: «Ich denke schon, dass das Schweizer Eigenschaften sind.»
«Man sollte durchhalten, auch wenn es schwierig ist»
Pietro Leemann hatte es diesbezüglich leicht: Der Tessiner kocht in Mailand, doch sein Weg dorthin war nicht der kürzeste. Auf der Suche nach sich selbst und damit auch nach seiner Küche bereiste er Indien, China und Japan – für Jahre: «Ich hatte ein Faible für den Orient und wollte mich von der damals gängigen und überall gleichen Nouvelle Cuisine lösen, um mich der vegetarischen Küche anzunähern», erzählt er.
Heute ist sein Restaurant Joia eines der wenigen vegetarischen Restaurants mit «Michelin»-Stern, fast alle in der Küche verwendeten Produkte stammen von Bauern aus der Umgebung oder von seiner eigenen Farm nördlich von Mailand. Nach einer langen Durststrecke kommen jetzt Gäste auch von weit her, um hier zu essen. «Ich finde es wichtig, das zu tun, was man in sich spürt und für richtig hält. Man sollte durchhalten, auch wenn es schwierig ist», sagt er.
Weniger ist mehr
Diese Hartnäckigkeit kennt Humm nur zu gut. Schon als Teenager setzte er sich gegen alle Widerstände durch, er wusste einfach ganz genau, was er wollte. Letztes Jahr hat er sich wieder durchgesetzt, diesmal gegen die oft überheblichen Ansprüche der Sternegastronomie – mit neuen, vermeintlich einfachen Gerichten. «Ganz gleich ob in der Kunst oder in der Architektur: Mich hat immer das Schlichte fasziniert», sagt er. «So sollte auch meine Küche sein. Aber wenn man jung ist, fehlt einem das Selbstbewusstsein dazu. Man hat so viele Ideen, und man möchte zeigen, was man kann, am liebsten alles auf einmal.»
Erst jetzt folgt er seiner Philosophie des «less is more», erst jetzt traut er sich, eine halbe, langsam gegarte Baby-Aubergine auf einem Bohnen-Auberginen-Mus mit Minze zu servieren – und nichts anderes dazu.
Geschmack hat seinen Preis
Eigentlich kann Humm heute machen, was er will. Im «EMP» hat er die À-la-carte-Auswahl abgeschafft und bietet ein einziges Tasting Menu. Seine Fans folgen ihm bedenkenlos, sie essen, was er ihnen vorsetzt. Er hat viele Fans, doch nicht alle können sich das «Eleven Madison Park» leisten. Das Tasting Menu kostet 225 Dollar, umfasst aber 15 Gänge. Eine Flasche Riesling aus der Finger-Lakes-Region nördlich von New York City ist für zivile 50 Dollar zu haben.
Deshalb, und wohl auch weil die Luft nach oben so dünn geworden ist, dass er sich fast nur noch in die Breite entwickeln kann, hat Humm vor drei Jahren das Restaurant NoMad im gleichnamigen Hotel am Broadway eröffnet, sozusagen als cooles Outlet des «EMP». Und weil auch dort bereits ein «Michelin»-Stern glänzt, ist für das kommende Frühjahr die Eröffnung von «Made Nice» geplant, einem Bistro an der 28. Strasse, in dem die Gerichte zwischen 10 und 15 Dollar kosten und dem Restaurant-Namen entsprechen werden. 2017 startet ein «NoMad»-Ableger in Los Angeles, und ein Jahr später soll Humms noch namenloses Restaurant in einem von Stararchitekt Norman Foster entworfenen Gebäude an der Park Avenue fertig werden.