Am Freitag, 24. Mai, war die Geduld von Joseph und dessen Sohn Jacob Safra am Ende: Die Besitzer liessen CEO Joachim Strähle wissen, dass seine Dienste ab sofort nicht mehr benötigt würden. Noch am gleichen Tag räumte Strähle sein Büro und verliess die Bank. Mit Edmond Michaan, dem Neffen von Patron Joseph Safra, übernimmt die Familie nun auch operativ das Zepter.
Damit endet Strähles lange Karriere an der Spitze der Bank in Misstönen. Strähle selber soll vom Entscheid überrascht worden sein, berichten Vertraute. Das zeigt, dass er bis zuletzt seine eigene Position stärker einschätzte, als sie war. Genau darin liegt der Keim des Konflikts, der sich laut Insidern aus der Sarasin-Geschäftsleitung in den letzten Wochen kontinuierlich zugespitzt hat.
Strähle, der 2006 von der Credit Suisse an die Spitze der Basler Privatbank gewechselt hatte, konnte lange wie ein Alleinherrscher wirken. Vom ehemaligen Besitzer Rabobank an der langen Leine gelassen, setzte er auf einen forschen Wachstumskurs und besetzte Führungspositionen mit Vertrauten aus Credit-Suisse-Zeiten. Er, der angestellte Manager, agierte, als ob ihm die Bank gehörte – und liebäugelte 2011 öffentlich mit einem Management Buyout. Immer wieder waren bei Entscheidungen auch persönliche Motive ausschlaggebend. Als die Rabobank 2011 Sarasin zum Verkauf stellte und Julius Bär Interesse zeigte, konnte Strähle den ungeliebten Konkurrenten aussen vor halten, indem er mit dem Abgang von Schlüsselpersonen drohte. Mit Bär-Chef Boris Collardi, der beim Zusammenschluss wohl CEO geworden wäre, hat er seit gemeinsamen Credit-Suisse-Tagen das Heu nicht auf derselben Bühne.
Sarasin landete im Herbst 2011 schliesslich bei der brasilianischen Safra-Gruppe. Damit begann, was nun im Abgang von Strähle kulminierte – eine Neuverteilung von Macht und Rollen. Grundproblem dabei: Die Rolle, die Safra für Strähle vorsah, und dessen eigene Vorstellungen seiner Funktion waren im Grunde unvereinbar. Der mit wenig Selbstzweifel ausgestattete Banker hat sich stets als Taktgeber verstanden. Doch Safra erwartete vom CEO die Umsetzung ihrer Vorstellungen – der Macher war damit zum Befehlsempfänger degradiert.
Vertrag bis 2016
Als Galionsfigur war Strähle zunächst dienlich. Im November 2011 bot Safra Strähle einen Vertrag bis 2016 an, mit langer Kündigungsfrist und Konkurrenzverbot. Laut einem Involvierten, der mit den damaligen Verhandlungen vertraut ist, sei das Ziel nicht gewesen, die Rolle von Strähle als CEO zu zementieren, sondern für Ruhe in der heiklen Übergangszeit zu sorgen.
Die demonstrative Stärkung des CEO hinderte Safra aber nicht daran, explizit eigene Vorstellungen zu entwickeln. Eine erste Desavouierung durch die neuen Besitzer musste Strähle im Sommer 2012 erfahren. Zeitgleich mit der Besetzung des Verwaltungsrats durch eine Mehrheit von Safra-Abgesandten gab die Bank einen neuen operativen Kurs bekannt. Mit einem Bündel von Kostensparmassnahmen sowie der Zurückhaltung bei Neuanstellungen sollte die Profitabilität, die sich unter Strähle stark verschlechtert hatte, gesteigert werden. Das Massnahmenpaket war eine Bankrotterklärung des von Strähle stets verkündeten Expansionskurses. Die ehrgeizigen Ziele, die er verkündet hatte – etwa der Anstieg der Kundenvermögen von 100 auf 150 Milliarden bis 2015 –, würden «überprüft», hiess es in der offiziellen Mitteilung der Bank.
Schleichende Entmachtung
Noch machte Strähle gute Miene zum bösen Spiel, wohl auch weil Safra gute Argumente hatte: So wirtschaftete die angestammte Tochter von Safra, die Bank Safra Schweiz, zu jener Zeit unter CEO Marcelo Szerman mit einem Kosten-Ertrags-Verhältnis von nur 46 Prozent – deutlich besser als Strähles Bank Sarasin mit ihren 80 Prozent.
In der Folge engte sich der Spielraum des CEO immer mehr ein. Chef war Strähle nur auf dem Papier, de facto waren die Safras am Drücker. Immer wieder mussten operative Entscheide eine Zusatzschlaufe bei den Safra-Herren im Verwaltungsrat machen. Plötzlich musste alles und jedes ratifiziert werden, das Management wurde mit kritischen Fragen gelöchert, was zunehmend für Frustrationen sorgte. Mit dem zum stellvertretenden CEO erhobenen Marcelo Szerman hatte Strähle zudem einen der engsten Vertrauten von Joseph und Jacob Safra im Nacken. Als Chef des Corporate Centers agierte er anstelle von Strähle de facto als operative Drehscheibe der Bank.
Um die zunehmend verfahrene Situation zu entkrampfen und die Entscheidungswege zu verkürzen, wurde im Spätherbst 2012 diskutiert, die beiden Banken Safra Schweiz und Sarasin enger zu verknüpfen. Strähle, vom steten Rückzugskampf zermürbt, wehrte sich nicht. Möglicherweise auch darum nicht, weil er seine Position zunächst verstärkt glaubte.
Denn im Januar gab die Bank bekannt, mit der Verschmelzung der beiden Banken ändere sich an der Führung nichts: Strähle bleibe CEO der gemeinsamen J. Safra Sarasin. Nun fühlte sich der Chef offenbar bemüssigt, verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Insidern fiel auf, dass seine Bereitschaft, sich zu fügen, im Vergleich zum letzten Herbst abgenommen hatte. Es sei nicht ein grosser Knatsch gewesen, der zuletzt zum Eklat geführt habe, sondern die Summe vieler kleiner Reibereien. Dabei sei es Strähle auch bei Kleinigkeiten ums Prinzipielle statt um Lösungsfindung gegangen, so die Einschätzung eines Mitstreiters aus der Führungsetage: «Als Scharnier zwischen Besitzerfamilie und Bank funktionierte Strähle nicht mehr.» Der Rausschmiss war die Folge.
Parallel zur Absetzung von Strähle hat Safra die Position des Familienvertreters Eric Sarasin weiter gestärkt. Als neuer stellvertretender CEO ist er zukünftig neben CEO Michaan die Schlüsselfigur der Bank. Der Abkömmling der Bankgründer war unter Strähle nur in der zweiten Reihe tätig und musste die Leitung seines Bereichs Private Banking lange mit Fidelis Götz teilen, einem Vertrauten von Strähle aus der CS.
Image einer Familienbank
Schon bei der Neugruppierung des Managements von Anfang Jahr war Eric Sarasin von den Safras gezielt stärker ins Spiel gebracht worden, indem der Verwaltungsrat ihm mit der Verantwortung für das Private Banking Europa den Kernbereich der Bank in die Hand legte. Der weitere Aufstieg von Eric Sarasin zur Nummer zwei der Bank ist vor diesem Hintergrund konsequent. Für die Safras ist der Familienhintergrund ein wichtiges Anliegen, auch gegen aussen: Mit der Betonung des Familiencharakters sollen die Kunden stärker an die Bank gebunden werden. Mit Yves Sarasin, Grossenkel des Firmengründers und seit kurzem Leiter des Marktgebiets Zentral- und Osteuropa, ist ein weiteres Familienmitglied mit wachsendem Aufgabenbereich in der Bank tätig.
Überschattet wird der Führungswechsel von einer Strafanzeige aus Deutschland gegen Führungskräfte der Bank wegen des Vertriebs umstittener Anlageprodukte, von der die «Süddeutsche Zeitung» berichtet hat. Die Vorwürfe richten sich dabei laut Klägeranwalt auch gegen Eric Sarasin. Die Anzeige wurde bei der Staatsanwaltschaft Zürich eingereicht. Es ist nicht das erste Ungemach aus Deutschland: Die Bank Sarasin war vor einem halben Jahr in einem anderen Fall, der vor allem die HypoVereinsbank betrifft, von Ermittlern durchsucht worden. Die Bank Sarasin hatte damals erklärt, es gebe «derzeit keine Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten». Der Ausgang der Fälle ist ungewiss. Die Bank selber nimmt dazu «im Moment keine Stellung». Laut Kennern des Dossiers hat der Abgang von Strähle aber keinen Zusammenhang mit den Anschuldigungen an die Bank.
Der Abgang von Strähle, dessen Vertrag bis am 31. Januar 2016 läuft, dürfte die Bank nach Schätzungen von Bankkennern mehrere Millionen Franken an Abgangszahlungen kosten. Als Bestandteil des Vertrags von Strähle wurde neben Salär und Bonus ein jährlicher Retentions-Bonus eingebaut. Wie der jetzt abgegolten werden soll, ist nicht bekannt. Die Bank selber liess eine Anfrage der BILANZ dazu unbeantwortet. In seiner Zeit bei Sarasin hat Strähle stets verstanden, auch die eigenen Taschen zu füllen. In Spitzenjahren verdiente er über sieben Millionen Franken, das letzte ausgewiesene Salär für 2011 betrug 3,8 Millionen. Letzter Vertreter der alten CS-Seilschaft in der Chefetage ist heute Asset-Management-Chef Burkhard Varnholt.
Verunsicherung
Primäre Aufgabe des neuen Führungsduos Michaan/Sarasin ist es, Ruhe in die Bank zu bringen. Die Verunsicherung in der Belegschaft ist gross, wichtige Kernmitarbeiter haben zur Konkurrenz gewechselt (siehe Artikel «Notenstein»), weitere Mitarbeiter sollen Abgangsgelüste hegen. Generell macht die Bank derzeit einen etwas chaotischen Eindruck, was auch an der mangelhaften Kommunikation liegt. Die Website wird nicht regelmässig aufdatiert, beide Pressesprecher haben kurzfristig gekündigt, Anfragen führen ins Leere.
Dabei wäre eine Verbesserung des Auftritts nach aussen dringend nötig, denn die Kunden sind verunsichert. Zahlen zu den Kundengeldern gibt Sarasin nur noch für die Gruppe bekannt, 2012 waren es 130 Milliarden Franken. Die Zahlen sind mit früher nicht vergleichbar, denn für Sarasin selber werden die Zahlen nicht publiziert. Intern wird von einem Rückgang ausgegangen. Zuletzt standen die Zeichen eher auf Stagnation: Im zweiten Semester 2011 waren die Kundenvermögen netto um über zwei Milliarden Franken gesunken, 2012 war ein leichter Zugang einer halben Milliarde Franken zu verzeichnen gewesen.