Das Hotel Guarda Val in Sporz oberhalb Lenzerheide ist ein Bijou: 50 Zimmer verteilen sich auf elf Maiensäss-Hütten und -Ställe, die über 300 Jahre alt sind. Die Küche lockt mit 15 «Gault Millau»-Punkten. Von den Sonnenterassen hat man einen beeindruckenden Blick hinunter ins Albulatal. Besonders bei Mountainbikern ist das Luxushotel beliebt: 250 Kilometer Routen kann man von hier ansteuern, die Sonnenaufgangsfahrten gelten als einer der Höhepunkte in der bergigen Region 1600 Meter über dem Meer.

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Ideal also für den Mann, der in der zweiten Juliwoche im «Guarda Val» eincheckte: 3500 Kilometer verbrachte Carsten Schloter jedes Jahr auf dem Velo, mit Sport begann er am Wochenende am liebsten um sechs Uhr morgens: «Das schenkt einem im Jahr 40 bis 50 Sonnenaufgänge. In der Natur. Das ist jedes Mal ein ausserordentliches Erlebnis», schwärmte er letztes Jahr im BILANZ-Interview. Dieses Mal jedoch, in jener Juliwoche, wirkte Schloter alles andere als entspannt: In sich gekehrt, nachdenklich, fast deprimiert schien er Beobachtern, die ihn Abend für Abend auf der Terrasse sitzen sahen, eine Flasche Wein als einzige Begleiterin. Das passte so gar nicht zum asketischen Spitzensportler.

Zwei Wochen später war der Swisscom-Chef tot. Sein Selbstmord ist der wohl erschütterndste Todesfall der jüngeren Schweizer Wirtschaftsgeschichte. Der 49-Jährige war in der Blüte seiner Schaffenskraft, er war erfolgreich (das italienische Problemkind Fastweb hatte er eigenhändig aufs richtige Gleis gesetzt), er war in Wirtschaft und Politik hoch angesehen, wurde auch von Gegnern ob seiner Visionen und seiner scharfen Rhetorik respektiert. Gut aussehend und sportlich, verkörperte er Virilität, war einflussreich und wohlhabend, blieb dabei aber immer bescheiden. Die Karriere des Carsten Schloter schien ungebremst.

Lange Leine. Bis zum 15. Juni 2011. An jenem Tag gab Swisscom-Präsident Anton Scherrer altershalber sein Amt auf. Mehr als fünf Jahre hatten er und Schloter gut miteinander harmoniert an der Spitze des grössten Schweizer Telekomkonzerns: Scherrer liess seinen CEO an der langen Leine laufen, mischte sich nicht ein ins Geschäft, verzieh ihm die eine oder andere Kapriole. Die ganze Firmenstruktur war auf Schloter zugeschnitten: Der Deutsch-Franzose war Konzernchef der Swisscom, verantwortete den gesamten Umsatz in der Schweiz und als VR-Präsident auch die italienische Tochter Fastweb. Um Scherrer auf seiner Seite zu haben, besprach Schloter wichtige Entscheide mit ihm, ehe sie in den VR gingen. «Der CEO hat den Präsidenten geführt», sagt einer, der damals in der Konzernleitung sass.

Das sollte sich ändern, als Hansueli Loosli das Amt übernahm. Der langjährige Coop-Chef hat ein völlig anderes Führungsverständnis. Den Detailhandelskonzern hat er lange Jahre operativ geleitet, auch als VR-Präsident führt er eng. 40 Stunden pro Woche widmet er der Swisscom, neben seinen beiden anderen Mandaten als Coop-Präsident und als Chef der Grosshandelsgruppe Transgourmet. Schloters Leine wurde plötzlich sehr kurz: Loosli wollte regelmässige Rapporte, immer schriftlich. Und er kontrollierte kleinste Details: So liess er sich Zugriff aufs Buchhaltungssystem geben; mit Schloter diskutierte er ausgiebig, welche Einnahmen und Ausgaben warum auf welche Konti gebucht wurden. «Der Erfolg liegt im Detail»: Nach diesem Motto agierte Loosli beim Detailhändler. «Schloter klagte, die Absicht von Loosli sei es, Swisscom zu einer Coop zu machen und sie genau so zu führen», erzählt ein Freund.

So empfand Schloter auch das Projekt Triathlon. Ziel der Übung, die mit den Strategieberatern von McKinsey aufgegleist wurde, war eine Stellenreduktion im mittleren Kader von 15 bis 20 Prozent. Schlanker, kostengünstiger und schneller sollte die Organisation werden – etwa indem man Architekten und Entwickler poolte und so die individuelle Verantwortung für durchgehende Prozesse aufhob. Das Projekt verfehlte sein Ziel (erreicht wurden am Schluss nur fünf bis sieben Prozent Reduktion), und intern wurde Kritik laut an der Vorgehensweise: «Die war unverträglich mit der Organisation – ein Telekomunternehmen ist kein Detailhändler», heisst es aus dem Kader. Ein fast identisches Projekt hatte Loosli auch schon bei Coop durchführen lassen. Der Partner auch hier: McKinsey. Schloter wurde das Projekt vom VR aufoktroyiert: «Man hat genau gemerkt, dass er nicht dahinter stand», so ein Kadermann. «In Schloters Wahrnehmung mischte sich Loosli ein, aber er übernahm keine Verantwortung», sagt ein Swisscom-Manager. «Das war Carsten zutiefst zuwider.»

Dabei mischte sich Schloter selber gerne in die Details ein, galt als Control Freak. Als Chef hatte er einen hohen Leistungs- und Qualitätsanspruch gegenüber sich selbst und gegenüber anderen. Seine Eingriffe sah er nicht als Bevormundung, sondern als Motivation. Mit dem Vorwurf des Mikromanagements konnte er leben; er glaubte sich in operativen Fragen vielfach überlegen – und war es häufig. Der branchenfremde Loosli gab und gibt sich Mühe, den Telekomkonzern à fond zu begreifen. Dennoch akzeptierte Schloter seine Eingriffe nicht: «Ich habe in internationalen Firmen viel mehr Managementwissen angesammelt als dieser Schweizer Detailhändler», klagte er einem Freund. Vor dem Wechsel zu Swisscom hatte Schloter für Mercedes-Benz in Paris gearbeitet, für Metro und Debitel.

Machtverschiebungen. Grösste Mühe hatte Schloter auch mit dem Umbau der Konzernleitung letztes Jahr. Er musste das Schweizer Geschäft an Urs Schaeppi abgeben, seinen Freund und Sportkameraden – eine weitere tektonische Machtverschiebung im Konzern. Zwar wurde schon unter Scherrer entschieden, Schaeppi langfristig zum Nachfolger aufzubauen. Doch auf einmal hatte Schloter einen Gegenpol, der offiziell zwar nur die Nummer zwei war, faktisch aber 80 Prozent des Umsatzes und 86 Prozent des Gewinnes verantwortete.

In Looslis Augen war der Schritt eine Entlastung für Schloter. Der CEO konnte sich mehr um Strategie und Übernahmeziele kümmern und weniger um das Tagesgeschäft. «Ich habe nicht eine Sekunde das Gefühl gehabt, dass Schloter nicht zufrieden wäre», sagte Loosli im Januar gegenüber der BILANZ (siehe Ausgabe 1/2013: «Druck von ganz oben»). In Schloters Augen war es eine Desavouierung. Er soll dem Präsidenten damals sogar seinen Rücktritt angeboten haben. Der wollte davon nichts wissen. Als «einen der besten CEOs dieser Branche» lobte er seinen Konzernchef mehrmals öffentlich.

Mit Loosli und Schloter prallten zwei Alphatiere aufeinander, die beide nicht verstanden, wie der andere funktioniert. Eine schwierige Situation für jeden CEO, der vorher grosse Freiheitsgrade ge-wohnt war. Eine fast unmögliche Situation für einen CEO, der von sich selber sagte, dass er in der Kindheit Mühe gehabt habe, Autoritäten zu akzeptieren, und nicht fähig gewesen sei, sich führen zu lassen. Schloter sah sich gerne als Rebell, als Querdenker: Am ersten Kadermeeting als Konzernchef 2007 am IMD in Lausanne trat er nicht in Anzug und Krawatte auf, sondern in Lederkluft. Als Mobilfunkchef hatte er mit dem damaligen CEO Jens Alder gut harmoniert – die beiden tickten ähnlich. Mit Loosli, für Schloter ein Erbsenzähler, ging es nicht.

Hinzu kam, dass die Kommunikation gestört war: «Mit Loosli kann ich nicht offen reden, er kann keine Kritik hören und wird sofort laut», vertraute Schloter gleich mehreren Freunden an. Die regelmässigen Treffen mit dem Hauptmann der Infanterie bezeichnete er als «Befehlsausgabe», Feedback gebe es keines. «Das Verhältnis war zerrüttet», sagt einer, der beide begleitete. «Die Zusammenarbeit mit Carsten Schloter war sachbezogen und von gegenseitigem Respekt geprägt», lässt Loosli dagegen ausrichten: «Meinungsverschiedenheiten haben wir auf der Sachebene zwischen Verwaltungsrat und CEO bereinigt.»

Ein Manager muss Gegenwind aushalten können, zumal ein CEO. Aber Schloter war schon immer ein innerlich Getriebener. Andere Menschen ruhen in sich selbst, er gehörte nicht dazu. «Carsten hatte nie eine lockere Aura, konnte nie völlig entspannt sein. Das war ihm als Person nicht gegeben», sagt einer, der ihn lange Zeit in der Konzernleitung begleitet hat. Den immensen Druck von oben vertrug er nicht zusätzlich zu den gewaltigen inneren Spannungen.

Machtdemonstration. Im Juli 2012 liess Loosli Assessments durchführen. Offiziell ausgeschrieben war die Stelle des CEO der Swisscom IT, also ein Konzernleitungsrang. Doch informell wurde den Teilnehmern im Vorfeld mitgeteilt, es gehe auch «um eine Potenzial-Abklärung für andere CEO-Positionen, auch für den Chefposten» (ein Beteiligter). Urs Schaeppi, damals noch Grosskundenchef, ausserdem Privatkundenleiter Christian Petit und Hans-Peter Legler, CEO der Swisscom-Tochter Cablex, unterzogen sich als interne Kandidaten den Prüfungen, ebenso wie Andreas König von der IT-Firma NetApp sowie mindestens ein weiterer externer Kandidat. Durchgeführt wurden die Assessments von der Firma Papilio in Zürich. Den Zuschlag für den Posten bekam schliesslich König.

Die rechtzeitige Nachfolgeplanung für den CEO-Posten gehört zu den wichtigsten Pflichten eines VR-Präsidenten. Doch Schloter geriet sie in den falschen Hals. Er sah das Vorgehen als Machtdemonstration seines Präsidenten, als Drohung einer bevorstehenden Absetzung. Von einem «Zermürbungskrieg» sprach er einem Vertrauten gegenüber: Loosli wolle ihn zur Kündigung treiben, damit er ihn nicht entlassen müsse. Dies, obwohl Loosli auch öffentlich zu seinem CEO stand.

Bereits die Ernennung eines neuen Strategiechefs im Frühling war von Misstönen begleitet. Loosli, der als Detailhändler jeden Rappen zweimal umdreht, wollte die Strategietruppe schlanker, agiler und kostenbewusster aufgestellt sehen. Er fand in Deutschland den Partner einer namhaften Strategieberatung, der gleichzeitig auf Telekom wie auf Kostensenkung spezialisiert ist. Schloter jedoch hatte ganz andere Vorstellungen, wollte einen Mann aus einer Zukunftsindustrie. Er fand ihn bei Google in der Person von Jürgen Galler. Schliesslich entschied sich der Verwaltungsrat für Schloters Gegenkandidaten. Diese erste Runde ging noch an den Konzernchef.

Loosli revanchierte sich, als es darum ging, einen Ersatz für den 2014 abtretenden Vizepräsidenten Richard Roy zu suchen. Scherrer hätte Schloter eingeweiht, die Konzernleitungsmitglieder hätten das Anforderungsprofil sehen können, sogar eigene Kandidaten einspeisen können. Loosli gab den Auftrag an einen Headhunter, ohne seinen CEO zu informieren. Auch das sorgte bei Schloter für Irritationen.

Rollentausch. Strategie war nicht Looslis Thema. Egal ob Swisscom TV, die iO-App oder die Infinity-Preispläne, mit denen der Konzern die Schweizer Mobilfunklandschaft umpflügte: Alle wichtigen Innovationen der letzten Jahre kamen auf Schloters Initiative zustande. Vom VR wurden sie lediglich abgesegnet. «Visionäre Themen kann man von einem Detailhändler nicht erwarten», sagt einer, der den CEO und den Präsidenten sehr eng begleitet hat. Die Konstellation führte letztlich zur absurden Situation, dass sich der VR-Präsident, der eigentlich für das Strategische zuständig sein sollte, teilweise um das Operative kümmerte. Dem CEO, der eigentlich fürs Operative zuständig sein sollte, blieb fast nur noch das Strategische.

Loosli ist derzeit unterwegs für Coop in Osteuropa und will sich zu seiner Rolle in den Geschehnissen nicht äussern. «Auch aus Rücksicht auf die Trauerfamilie beteiligen wir uns nicht an möglichen Spekulationen über die Hintergründe», lässt er lediglich ausrichten. Auch intern musste er viel Kritik einstecken für seine hölzernen Auftritte in der Videobotschaft an die Mitarbeiter und an der Abdankung in der Kathedrale St-Nicolas in Freiburg. Dort erklärte er die Produkte, die unter dem Verstorbenen eingeführt wurden. «Loosli sprach nicht wie an einer Trauerfeier, sondern wie an einer Generalversammlung», ist noch eines der gnädigeren Statements aus dem Konzern.

Loosli soll am Boden zerstört sein wegen der Geschehnisse. Ihm aber die Schuld für den Tod seines CEO zu geben, wäre ungerechtfertigt. Schloter hätte es machen können wie Michael Buscher. Der litt als erfolgreicher Chef des Technologiekonzerns OC Oerlikon ebenfalls an einem Präsidenten, der stark ins Operative eingriff. Buscher ertrug das knapp zwei Jahre, im März kündigte er, ohne Krach zu schlagen (siehe BILANZ 6/2013: «Der Sonnenkönig von Pfäffikon»). Heute ist er Chef beim Münchner Milliardenkonzern Knorr-Bremse und soll sich dort sehr wohl fühlen.

Schloter hätte es auch machen können wie René Obermann, Chef der Deutschen Telekom, auch er 49, auch er seit 2006 CEO, auch er von Frau und Kindern getrennt, auch er Sportskanone. Er wollte den Stress im Grosskonzern nicht mehr und kündigte auf Ende dieses Jahres seinen Wechsel zu einem deutlich kleineren niederländischen Kabelnetzbetreiber an.

«Schloter war A-Liga, er hätte nach einer Kündigung sofort viele gute Jobangebote erhalten», sagt ein Headhunter. Vielleicht unterschätzte der Swisscom-Chef seinen Marktwert, vielleicht hing er einfach auch zu sehr an der Firma, in der er 13 erfolgreiche Jahre verbracht hatte. Gefragt, warum er die Swisscom nicht einfach verlasse, antwortete er: «Because I love my people», Betonung auf «my». Vom Elf-Milliarden-Konzern sprach er gerne als seinem «Zuhause».

So suchte er anfangs nur halbherzig nach Jobalternativen. 2012, im Jahr nach Looslis Amtsantritt, liebäugelte Schloter mit dem französischen Mobilfunkanbieter SFR sowie mit der Deutschland-Tochter von Vodafone. Beide Konzerne besetzten ihre Chefposten neu. Bei Vodafone hatte Schloter sogar einen Fürsprecher: Der Vorgänger auf dem Chefsessel, Jürgen von Kuczkowski, war bis September 2007 im Verwaltungsrat von Swisscom Mobile, die Schloter damals leitete. Dennoch kam Schloter bei beiden Besetzungen nicht zum Zuge.

In seiner Familie fand er derweil wenig Trost. Seine drei Kinder waren für ihn stets das Wichtigste auf der Welt. Als Mobilfunkchef weigerte er sich, einer wichtigen Kadertagung beizuwohnen, weil der Event haarscharf auf den Geburtstermin des jüngsten Kindes fiel. «Mein Sohn würde später nie verstehen, wenn ich bei seiner Geburt nicht dabei gewesen wäre», sagte er seinem damaligen CEO Jens Alder. Die Prioritäten änderten sich, als Schloter vor vier Jahren Isabelle F. (37) kennen lernte, die bei der Swisscom die Mitarbeiterzeitschrift «Piazza» verantwortete. Die beiden wurden ein Paar. Sie verliess in der Folge – der Corporate Governance wegen – die Swisscom, Schloter machte den viel grösseren Schritt und verliess die Familie. Mit seiner Frau Kerstin arrangierte er sich, was die Kinderbetreuung anging. Doch dass er die beiden Söhne (heute 8 und 14 Jahre alt) und die Tochter (heute 11) nur noch alle zwei Wochen sehen durfte, bezeichnete Schloter, der sonst nur Erfolge kannte, als grösste Niederlage seines Lebens. Schuldgefühle plagten ihn seither. Die Situation war bis zuletzt unbefriedigend, aber stabil. Bis zu seinem Tod sprach Schloter stets positiv über seine Frau und seine Kinder.

Die neue Beziehung lief nicht nach Wunsch: Es soll unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich Kinderwunsch gegeben haben. Seit Mai nahmen Schloter und Isabelle F. voneinander eine Auszeit. Er lebte weiterhin im gemeinsamen Haus in Villars-sur-Glâne vor den Toren Freiburgs, sie ging für ein Sabbatical nach Indien und kehrte rund zweieinhalb Wochen vor seinem Tod zurück.

Ankerpunkte fehlten. Keine stabile Partnerschaft, die Kinder nur noch alle 14 Tage, eine unsichere berufliche Zukunft, niemand, bei dem er sein Herz ausschütten konnte – dem 49-jährigen fehlten die Ankerpunkte im Leben. Ein eigenes Büro hatte Schloter seit Jahren nicht mehr, er arbeitete mobil und in Sitzungszimmern. Auf seine ständige Erreichbarkeit per Handy, SMS und Mail war er stolz.

In seiner Freizeit tröstete sich Schloter mit Sport. Fahrradfahren, Joggen, Skifahren und Snowboarden waren seit je seine Passion. So konsequent wie im Job war er auch im Sport: Schloter nahm teil am Fahrradrennen Tortour und, zusammen mit Schaeppi und Finanzchef Mario Rossi, an der Skitour Patrouille des Glaciers – den härtesten Wettbewerben, welche die Schweiz in diesen Disziplinen zu bieten hat. «Das Einzige, was zählt, ist, dass man wirklich an die eigenen Grenzen geht. Wo man damit endet, ist eigentlich vollkommen egal», sagte er letzten Sommer im BILANZ-Interview. «Du rennst vor dir selbst weg», warf ihm einer seiner Freunde aus dem Club zum Rennweg daraufhin an den Kopf.

So austrainiert Schloter auch war: Die Belastung als Swisscom-Chef, die persönliche Unzufriedenheit und die ständigen Scharmützel nagten schliesslich an seiner Gesundheit. Seit Frühling dieses Jahres litt er zunehmend an Schlafstörungen, wie er mindestens einem Konzernleitungskollegen anvertraute. Auch im Kader fiel auf, dass der CEO, der früher vor Energie sprühte, bisweilen zusammengesunken in einer Ecke sass. Ein Freund bemerkte im Sommer, dass der sonst so eloquente Schloter auffallend lange Denkpausen beim Reden einlegte.

In einem Interview mit der Zeitung «Sonntag» sprach Schloter im Mai offen vom Druck, der auf ihm lastete: «Ich stelle bei mir fest, dass ich immer grössere Schwierigkeiten habe, zur Ruhe zu kommen, das Tempo herunterzunehmen», sagt er. «Es kommt irgendwann ein Punkt, wo Sie das Gefühl bekommen, nur noch von einer Verpflichtung zur nächsten zu rennen. Das schnürt Ihnen die Kehle zu.» Am Swiss Economic Forum in Interlaken einen Monat später referierte er über die Schwierigkeiten, die Work-Life Balance zu halten – das Thema hatte er sich selber ausgesucht. Engen Mitarbeitern fiel auf, dass Schloter die letzten Monate in der Führung softer wurde – weniger konsequent, weniger fordernd. «Er brauchte seine Energie zunehmend nach oben, statt sie seinen Mitarbeitern weitergeben zu können», sagt einer aus der Swisscom-Chefetage.

Die Spannungen mit Loosli drangen bis zu Bundesrätin Doris Leuthard vor, als UVEK-Vorsteherin oberste Chefin der beiden Streithähne. Sie sprach Schloter auf die Probleme an. Der aber wollte seinen Präsidenten nicht anschwärzen. Ein enger Freund riet Schloter damals, Looslis Job für sich selbst zu fordern. «Die Hierarchie ist klar», entgegnete Schloter. Für eine Palastrevolte fehlte ihm der Mut.

Er suchte nach anderen Auswegen. Im Frühling 2013 traf er einen Headhunter in Deutschland. Ihm legte er das angespannte Verhältnis zu seinem Präsidenten dar. Bis Jahresende wolle er sich entscheiden, ob er die Swisscom verlassen werde, sagte er dem Kadervermittler. Am 18. Juni, vier Wochen vor seinem Tod, traf sich Schloter mit dem befreundeten Chef eines Schweizer Elektronik-KMU im spanischen Restaurant Casa Novo in Bern. Während des dreistündigen Diners schüttete er sein Herz aus. Der Leidensdruck war inzwischen unerträglich, die weitere Zusammenarbeit mit seinem Präsidenten bereits undenkbar. Schloter suchte nun doch die Machtprobe: «I want to have a shoot-out», er wolle ein Duell wie im Western, so seine Worte während des Essens.

Schloters Chancen wären nicht einmal schlecht gestanden. Bundesrätin Doris Leuthard hatte ihm die Tür bereits geöffnet. Auch die Zahlen sprachen für ihn. Die öffentliche Meinung hätte der charismatische und rhetorisch brillante Swisscom-Chef sowieso hinter sich gehabt. Es gibt CEOs, die ein Duell gegen ihren Präsidenten aus deutlich schlechteren Ausgangssituationen gewonnen haben, etwa Armin Meier gegen Andreas Schmid beim Reisekonzern Kuoni.

Zukunftsplanung. Warum Schloter den Shoot-out nicht forcierte, bleibt offen. Dafür trieb der Swisscom-Chef in den Wochen vor seinem Tod seine berufliche Zukunftsplanung voran. Im Juni kontaktierte er mindestens zwei weitere Headhunter. Einen kannte er seit Jahren, mit dem zweiten, einem Schwergewicht der Szene, hatte er geschäftlich noch nicht zu tun gehabt. Mit beiden diskutierte er seine Jobperspektiven: Ein KMU in der Grössenordnung von 800 bis 1000 Mitarbeitern etwa könnte er sich vorstellen, vielleicht auch kleiner, wenn möglich in der Schweiz. Mit einem andern Vertrauten sprach er in derselben Zeit über ein Jobangebot als Senior Partner einer Strategieberatung im Silicon Valley. Doch es kam für ihn nicht in Frage, weil er seine Kinder dann kaum mehr gesehen hätte.

Hoffnungen machte er sich hingegen auf ein Projekt, das ihn persönlich faszinierte. Ein Joint Venture zwischen der Schweizer Velofirma BMC/Stromer, Swisscom, Google und dem amerikanischen Elektroautohersteller Tesla. Smart Mobility ist das Thema, die Kombination von IT und E-Bikes. Die Lancierung ist für 2014 geplant, 120 bis 150 Mitarbeiter soll das KMU in der Anfangsphase beschäftigen. «Carsten brachte viel Wissen und Herzblut in das Projekt ein», sagt Thomas Binggeli, Chef von BMC, enger Freund und Velopartner von Schloter. Dieser sah sich dort als potenziellen Chef. Er hätte sein Hobby zum Beruf machen, seine Visionen und seine IT-Kompetenz einbringen können, etwas Nachhaltiges getan.

Anfang Juli hatte sich Schloter entschieden, die Swisscom sofort zu verlassen: «Wenn ich aus dem Urlaub zurückkomme, werde ich kündigen», erzählte er vor seiner Abreise nach Lenzerheide einem Vertrauten. Innerlich hatte er da schon gekündigt. «Es macht keine Freude mehr», so Schloter. Wenige Tage vor seinem Tod informierte er einen anderen Vertrauten. Da war er bereits weitergereist nach Zermatt. In seiner Ferienwohnung verbrachte er die letzte Woche seines Lebens mit den drei Kindern. «Er wirkte sachlich, gar nicht bedrückt», erinnert sich ein Gesprächspartner.

Am Montag nachdem Schloter aus Zermatt zurückgekommen war und die Kinder zurückgebracht hatte, war Isabelle F. nicht zu Hause. Schloter ging nicht ins Büro, reichte nicht die Kündigung ein. Am nächsten Morgen um 7 Uhr fand ihn die Putzfrau in seinem Haus tot auf. Die Westschweizer Tageszeitung «Le Matin» schrieb, er habe sich erhängt. Zukunftsangst, Einsamkeit, Erschöpfung, Schuldgefühle – den Auslöser für seine finale Entscheidung hat Schloter mit ins Grab genommen. Auch im kurzen Abschiedsbrief an Freundin und Frau gibt Schloter entgegen anderslautenden Berichten keine Gründe an. Er schreibt lediglich, er wolle niemandem zur Last fallen. «Keiner kennt die abschliessende Wahrheit über Carstens Tod», heisst es aus seinem engsten Umfeld.