Die Ankündigung überrascht. Einen Monat nach der schlagzeilenträchtigen Absage seiner Reise nach Saudi-Arabien reist ABB-Chef Ulrich Spiesshofer nun doch in das Land. Er besucht dort eine Konferenz des staatlichen Ölkonzerns Aramco. Der Besuch macht ihn angreifbar für Kritik. Saudi-Arabien wird derzeit international geächtet wegen der mutmasslichen Ermordung des Regimekritikers Jamal Kashoggi. Nun stellt sich die Frage, wieso Spiesshofer dieses Reputationsrisiko auf sich nimmt. Die Antwort dazu in drei Teilen:
Was macht Spiesshofer in Saudi-Arabien?
Laut ABB wird der Konzernchef für die Konferenz «In-Kingdom Total Value Add» (IKTVA) des staatlichen Ölkonzerns Aramco in das Königreich reisen. Die IKTVA richtet sich an die Zulieferer von Aramco – und zu den wichtigen Lieferanten gehört auch der Schweizer Industriekonzern. Die Organisatoren erwarten über 3000 Teilnehmer aus mehr als 40 Ländern.
Ein Auftritt des ABB-Chefs ist offenbar nicht geplant. Nebst Spiesshofer nehmen unter anderen auch der Chef von Konkurrent Siemens sowie die CEOs der US-Ölzulieferer Halliburton und Schumpeter teil. Spiesshofer wird am Tagungsort auch eine konzerneigene Fabrik besuchen. Die Konferenz findet in Dammam statt, wo ABB einer seiner vier saudischen Anlagen betreibt.
Wie wichtig ist Saudi-Arabien für ABB?
Saudi-Arabien ist ein sehr wichtiger Markt für ABB. Der Konzern hat vier Fabriken im Land und beschäftigt mehr als 1600 Mitarbeiter – Zahlen zum Umsatz gab ABB bis jetzt auf Anfrage nicht bekannt. Unter anderem gewann ABB Aufträge für den Bau des Nord-Süd-Eisenbahnprojekts (NSR) - eine 24’000 Kilometer lange Eisenbahnlinie von der Hauptstadt Riyadh an die Grenze zu Jordanien.
Attraktiv ist das Land des grössten Ölförderers weltweit aber vor allem wegen der Zukunftsaussichten: Saudi-Arabien will mit riesigen Investitionen seine Wirtschaft weniger abhängig vom Öl machen. Schlagzeilen machte beispielsweise die geplante futuristische Grossstadt Neom am Roten Meer: Alleine dieses Projekt soll eine halbe Billion Dollar kosten.
Weitere 20 Milliarden Dollar wollen die Saudis in den Aufbau eines neuen Chemiekomplexes mit 30'000 Arbeitsplätzen stecken. Internationalen Grosskonzernen wie ABB winken lukrative Aufträge. Im Oktober zeigt sich Spiesshofer gegenüber dem US-Sender CNBC noch euphorisch über die Geschäftsaussichten in dem Land. Das Geld für den Aufbau der neuen Wirtschafszweige will das Regime in erster Linie mit der Privatisierung von Staatskonzernen beschaffen – namentlich des Börsengangs des Ölkonzerns Aramco. ABB ist auch via die Formel E mit Saudi-Arabien verbunden: Der Schweizer Konzern ist Hauptsponsor des E-Auto-Rennzirkus, dessen Saisonauftakt neuerdings in Saudi-Arabien stattfindet.
Die Bedeutung des Ökonzerns Aramco
Aramco ist der grösste Ölförderer der Welt – jedes zehnte Fass stammt vom Staatskonzern. Zwischen ABB und Aramco bestehen viele Geschäftsbeziehungen – unter anderem beliefert ABB verschiedene Zulieferer und Ableger des gigantischen Konzerns.
Saudi-Arabien will Aramco an die Börse bringen und dadurch zehn Milliarden Dollar einnehmen. Es wäre der grösste IPO aller Zeiten – und soll in Saudi-Arabien eine Welle von Privatisierungen ins Rollen bringen. Zuletzt wurden aber Zweifel wach, ob Saudi-Arabien das Vorhaben tatsächlich umsetzt. Dies hat den saudischen Thronfolger im Oktober veranlasst, den für 2021 angestrebten Börsengang zu bekräftigen. Das Königreich plant, rund fünf Prozent der Aktien zu verkaufen – der Wert von Aramco wird auf 2000 Milliarden Dollar geschätzt. Aramco wird voraussichtlich zum Mehrheitsbesitzer eines Schweizer Konzerns: Den vor dem Börsengang soll Aramco den ebenfalls staatlichen Chemiekonzern Sabic kaufen – der wiederum einen Viertel an der Basler Clariant besitzt.
(mbü)