Der Steuerstreit, die Forderung von SVP-Nationalrätin Natalie Rickli, über Deutschen Einwanderern die Ventilklausel zu verhängen oder die nicht enden wollende Debatte um den Fluglärm im süddeutschen Raum: Das freundschaftliche Verhältnis zwischen der Schweiz und Deutschland hat sich in den vergangenen Monaten merklich abgekühlt.

Diesen Zustand bedauert der ehemalige Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland Wolfgang Clement ausserordentlich. Clement, der bis zu seinem Austritt im Jahr 2008 SPD-Mitglied war, schaltet sich daher in die von beiden Seiten emotional geführte Debatte mit ein und zeigt Verständnis für die Haltung der Schweiz. «In Deutschland streiten wir etwas lauter», sagt Clement. Da könne er gut verstehen, wenn ein konsens- und kompromissorientiertes Land wie die Schweiz auf diese Voten empfindlich reagiere.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Clement wirft der SPD Polemik vor

Ausserdem hat der einstige SPD-Spitzenpolitiker kein Verständnis für Versuche, das Thema in innerdeutsche, politische Wahlauseinandersetzungen zu ziehen und somit Wahlkampf auf dem Rücken der Schweiz zu betreiben. Das sei «vordergründige Polemik», welche nur dem zwischenstaatlichen Verhältnis schaden könne. «Verantwortliche Politik, erst recht verantwortliche internationale Politik, sieht anders aus», sagt Clement.

Der ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen jedenfalls begrüsst das Steuerabkommen mit der Schweiz - «und die SPD sollte das auch tun». Schliesslich könnte Deutschland dank der geschlossenen Verträge für die ins Nachbarland transferierten und unversteuerten Vermögen deutlich höhere Steuererträge einsammeln. Zudem erachtet Clement die jetzt gefundene Regelung besser, als die von der rot-grünen Bundesregierung gewährte Steueramnestie aus den Jahren 2004/2005. Hinzu käme eine umfassende Erbschaftsregelung und als Wichtigstes eine Abgeltungssteuer auf künftige, in der Schweiz zustandegekommenen Kapitalerträge.

Clement kritisiert Ankauf von Daten-CDs

In diesem Zusammenhang sieht Clement im Ankauf von Daten-CDs durch deutsche Steuerbehörden künftig sicher kein für die Beziehungen zwischen zwei zivilisierten Staaten akzeptables Mittel. «Aus schweizerischer Sicht stellt der Handel mit solchen Daten-CDs eine Straftat dar.» Allerdings räumt der Wirtschaftsexperte ein, dass auch er auf solche Datensätze bei der Fahndung nach deutschen Steuersündern zurückgegriffen hätte, «denn es kann nicht sein, dass Bürger die Annehmlichkeiten eines anderen Landes in Anspruch nehmen, ihre Steuerpflichten im Herkunftsland ihrer Erträgnisse aber vernachlässigen».

Clement lässt denn auch eine vermeintlich zu hohe Steuerbelastung als Rechtfertigung für Steuerflucht aus Deutschland nicht gelten. Die Bundesrepublik erhebe eine Abgeltungssteuer von 26 Prozent und eine Einkommenssteuer mit einem Höchstsatz von 45 Prozent plus einem Solidaritätszuschlag für den Aufbau Ostdeutschlands. «Mit diesen Werten liegen wir im guten europäischen Mittelfeld», betont Clement. Nichtsdestotrotz hätte sich Clement neben dem Erwerb der Daten «aber ebenso sicher um Verhandlungslösungen mit der Schweiz bemüht».

Nordrhein-Westfalen soll mit Bundesanwaltschaft zusammenarbeiten

Kein Wunder also, dass Clement seine Nachfolger in Nordrhein-Westfalen dazu auffordert, mit der Schweizer Bundesanwaltschaft zu kooperieren. «Selbstverständlich würde ich die drei Steuerfahnder nicht ausliefern. Das widerspräche dem deutschen Rechtsverständnis, aber zu einer solchen Eskalation hätte es gar nicht kommen dürfen.»

Zur Erinnerung: Vor einigen Wochen stellte die Bundesanwaltschaft gegen drei deutsche Steuerfahnder aus Nordrhein-Westfalen einen Haftbefehl aus. Der Vorwurf: Wirtschaftsspionage. Dieser Schritt wirbelte in Deutschland viel Staub auf. «Rechtlich kann und will ich das Vorgehen nicht bewerten. Einen Erfolg konnte man sich davon kaum versprechen, nur zusätzlichen Streit. Aus deutscher Sicht war das politisch jedenfalls unklug», sagt Clement.

Clement: Schweiz muss sich im Fluglärmstreit bewegen

Die Differenz in Steuerfragen sieht Clement indes im Kern beim «Staatsverständnis» der beiden Länder und ihrer Steuersysteme. «In der Schweiz verhalten sich die Steuerbehörden in meiner Wahrnehmung als Dienstleister der Bürger und ihrer Unternehmen.» In Deutschland hingegen sei das Verhältnis noch eher «obrigkeitsstaatlich» geprägt.

Derweil erwartet Clement auch von der Schweiz Kooperationsbereitschaft - insbesondere im Falle der Wiederaufnahme der Verhandlungen im Fluglärmstreit. «Die Schweiz muss sich an den Gedanken gewöhnen, dass die Lockerung von Nacht- und Wochenendanflügen auf dem Flughafen Zürich-Kloten über süddeutschen Raum kaum Zustimmung finden wird.»  Würde die Regierung in Baden-Württemberg dazu Hand bieten, brächte sie laut Clement in einem Wahljahr die eigene Bevölkerung gegen sich auf. Dennoch ruft Clement zum Dialog auf, denn dies könne immer weiter führen. «Als ein Freund der Schweiz», hätte kein vernünftiger Politiker ein Interesse daran, dass die seit vielen Jahren guten Beziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland dauerhaft Schaden nähmen.

Clement kann SVP-Rickli nicht ernst nehmen

Die Provokation von SVP-Nationalrätin Natalie Rickli, über Deutschen Einwanderern eine Ventilklausel zu verhängen, kann der ehemalige Wirtschaftsminister am Ende des Gesprächs mit «Handelszeitung Online» nicht ernst nehmen. «Weshalb lassen sich Deutsche in der Schweiz nieder? Weil die Schweiz ein wunderschönes Land mit glänzenden ökonomischen Bedingungen ist und über hervorragende Universitäten und Hochschulen verfügt.»

Und: «In Tat und Wahrheit nehmen die hochqualifiizerten Arbeitskräfte aus Deutschland den Schweizern in der Regel nicht die Jobs weg. Vielmehr tragen sie dazu bei, dass die Schweizer Wirtschaft auf so hohem Niveau laufen kann.» In Deutschland sei die Wirtschaft darum «an der Zuwanderung von qualifizierten Ausländern hochgradig interessiert.»