Hiobsbotschaften, wohin man hört: ABB baut weltweit 12 000 Stellen ab. Ascom streicht 1100 Jobs, Siemens Schweiz 135. Die SIG in Schaffhausen hat keinen Bedarf mehr für 500 ihrer Mitarbeiter. Das Ende der schweizerischen Maschinenindustrie, so scheint es seit einigen Monaten, ist nahe.
Doch halt, das Unterholz wächst nach. Adval Tech, Feintool, Kardex, Komax, Mikron, Saia-Burgess, Phoenix Mecano, Schaffner, Schweiter, Starrag-Heckert, Zehnder und viele andere haben innert kurzem zwei-, drei-, fünfhundert Millionen Franken mehr umgesetzt. Und Unternehmen wie Disetronic, Kudelski, Phonak, Geberit hätten früher zur Maschinenindustrie gehört, kombinieren aber heute Kunststoffe, Programme und Dienstleistungen zu völlig Neuem. Sie sind als Firmen Milliarden wert wie ehemals nur die Grossen – und alle scheinen etwas zu machen, was die Giganten nicht schafften.
Diese sind in drei Fallen getappt. Da fiel Saurer in die Qualitätsfalle – aus den Werkhallen am Bodensee rollten perfekte Lastwagen mit jahrzehntelanger Diensttauglichkeit. Aber in Italien, Deutschland und Schweden rollten hundertmal mehr Lastwagen vom Band, billiger, einfacher, auf ein paar Jahre Einsatz bei ohnehin rasch umdisponierenden Firmen getrimmt. Auch die grosse Maschinenfabrik der Sulzer hatte einen fast handwerklichen Stil von Auftragsproduktion bewahrt, wenn man sie mit den grossen Produzenten verglich. Das alles tut dem Betrachter richtig Leid.
Empörender war die zweite Falle, nämlich handgestricktes Management erfolgsverwöhnter Herren bei Alusuisse, Ascom und ABB. Mit Getöse wurde Alusuisse zuerst zu einem voll integrierten Mischkonzern von der Bauxitgrube bis zum Generalunternehmer aufgebaut, dann wieder zum blossen Verarbeiter von Aluminium ausgedünnt, hernach mit der integrierten Alcan rückfusioniert. Die Ascom schaffte es verhängnisvolle lange Jahre nicht, die Königreiche von Autophon und Hasler wirklich zu fusionieren und ihrem Ende als Hof- und Systemlieferant der alten PTT ins Auge zu sehen. ABB wurde vom Misch- (unter Percy Barnevik) zum Wissenskonzern (unter Göran Lindahl) und wird nun (unter Jörgen Centerman) auf Industrial IT getrimmt. Doch die ständigen Neuorganisationen liessen und lassen ABB kaum Zeit und Energie fürs eigentliche Geschäft.
ABB strauchelte auch noch in eine dritte Falle, zusammen mit Sulzer: das Empire-Building. Die Unternehmen waren allen alles, aber innere Synergien der vielen Hundert Teile gab es kaum, nur schwere Wasserköpfe. Irgendwann merkten sie dies, schälten laufend Teile ab wie von einer Zwiebel – jedoch: viele Tränen, keine Wirkung. BBC verkaufte mit den Flüssigkristallen vermutlich erst noch das Falsche. Später wurden Haushaltgeräte, Lokomotiven, Kraftwerke gestrippt. Damit waren die Schweizer Konglomerate nicht alleine: In den USA ging die Westinghouse unter, ein Urgestein amerikanischer Wirtschaftsgeschichte, vor fünf Jahren die deutsche AEG, und der alten englischen General Electric hilft auch der schöne Name Marconi gegenwärtig nur wenig. Nur Siemens und GE unter Jack Welch überlebten bisher ohne grössere Zerreissprobe.
Die Grenzen des Wachstums solcher Supermaschinen von Firmen sind absehbar. Schuld daran ist die schöpferische Zerstörungskraft der neuen Netze. Erklärt wird die Götterdämmerung der Giganten durch eine bald siebzig Jahre alte, nobelpreisgekrönte Theorie. Firmen, grosse Firmen hätten sich gebildet, weil dies offenbar für alle Beteiligten billiger gewesen sei, als für jede Handreichung mit Dritten auf den Markt zu gehen, schrieb Ronald Coase 1937. Ein Produzent will nicht jeden Morgen mit Entwicklern oder Taglöhnern neu verhandeln, und diese wollen Sicherheit – also treten alle in ein Zeitlohnverhältnis ein. Der Kapitalgeber seinerseits will nicht jede Einzelfertigung bevorschussen, wie noch im frühen Kapitalismus Handelsgesellschaften jeweils ad hoc für eine Schiffsreise aufgestellt worden sind. Das alles würde hohe Transaktions- und Informationskosten verursachen. Eine Grossfirma löst dies unter sich einfacher, dauernder.
Doch heute gelten andere, revolutionäre Regeln – Informatiknetze, Transparenz, Logistik und Programme sind daran, diese Transaktionskosten spektakulär zu verbilligen. Hat ein Ingenieur eine gute Idee, kann er sich die Zulieferer für Komponenten, die Marketingfirma, einige Kapitalgeber und die Verteilorganisation über elektronische Marktplätze besorgen. Seine Firma ist bloss ein vorübergehendes Projekt, das Produkt ist sofort «skalierbar», kann also in Massen hergestellt werden. Alle beteiligten Zulieferer sind fokussierte Klein- oder Mittelfirmen, und nur zusammengenommen bilden sie das, was früher Giganten unter ihrem Dach vereinten. Die braucht es heute dazu nicht mehr. Die «Theorie der Firma» von 1937 leuchtet das Schicksal der alten Grossfirmen weit ins 21. Jahrhundert aus.
Oder doch nicht? Die ABB ist noch nicht abgeschrieben. Sie hat sich nach der Fusion von BBC und Asea sogar ausdrücklich als «Commonwealth» von 5000 selbstständigen Einheiten gesehen. Es scheint aber, dass die Konzernzentrale weder die Übersicht noch die heutigen Netze und auch nicht den finanziellen Langfristhorizont hatte, dieses Gebilde blühen zu lassen. Die disziplinierte, hundertfünfzigjährige Siemens hatte da besseren Erfolg. Sie ist eigentlich ein Investmentfonds mit weit gefächerten Anlagen, die Maschinen, Vehikel, Drehbänke, Spitalapparate, Chips und Programme herstellen. Sie verschlankte sich mit dem Börsengang der Epcos und der Infineon kürzlich, aber noch gegen gutes Geld. Der restliche grosse Informatikbereich will nicht so recht anspringen, zehntausend Entlassungen drohen, und vielleicht entdecken die disparaten Abteilungen des deutschen Giganten, dass sie auf Netzen eigentlich geradeso billig mit Dritten geschäften können – ohne die Bürokratie und den Gewinnanspruch einer Zentrale.
Solche existentiellen Verwerfungen plagen die neuen Stars der schweizerischen Maschinenindustrie nicht. Als «globale Nischenproduzenten» bilden sie die mittelgrossen, fokussierten Glieder der neuen Wertschöpfungsketten. Dabei verfolgen sie durchaus verschiedene Erfolgswege.
Der erstaunlichste ist und bleibt krude Massenproduktion. In der Styner + Bienz, einer Firma der Adval Tech bei Bern, laufen Hunderttausenderserien von Scheibenwischern oder Lenksäulen vollautomatisch vom Band, ein Roboter bettet sie pfleglich in die Versandkisten. Die Berner sind nur ein Teil des «Gesamtprojekts Auto», dessen Risiken der ferne Integrator trägt, VW, Mercedes oder wer auch immer. Ähnliche Rollen spielen Saia-Burgess in Murten bei Schaltungen, Phoenix Mecano mit Metallprofilen oder Mikron mit Handyteilen. Die automatisierte Produktion lässt die sonst hohen schweizerischen Standortkosten schrumpfen, Automaten sind Automaten, hier wie in Südkorea. Allerdings zwingt sie die rasche Lieferbereitschaft in die Nähe der Abnehmer – die kleinen, fokussierten Massenplayer werden global. Mikron, SIG und andere errichteten Anlagen in Asien. Wie die momentanen Gewinnprobleme dieser Firmen zeigen, trifft sie ein Nachfrageschock recht intensiv – nach oben wie nach unten.
Deshalb kombinieren einige Player als zweites Strategieelement die Massenproduktion mit dem Anlagenbau, um den Geschäftsgang der Gruppe zu stabilisieren. Ausserdem kann die eigene Produktion von Serien als Referenz für die Anlagenkunden dienen. Die Mikron baute sich diese zwei Beine der Strategie auf, die Feintool, die SIG, die Adval Tech auch, indem neben den «Umformungsprodukten» der Styner + Bienz noch Werkzeugformen, etwa zur Herstellung von Optical Discs, angeboten werden.
Diese «Werkzeuge» bilden in sich schon wieder fast eine dritte Strategie der Schweizer Industrie. Denn das sind nicht Hämmer oder Schraubenzieher, sondern die in jeder mechanischen und automatischen Produktion entscheidenden Teile: die Form, in die Metalle, Bleche, Kunststoffe sich drücken oder spritzen lassen; Düsen, mittels deren dies geschieht; Bohr-, Fräs- oder Schleifstücke aus extrem harten Materialien, die von den Bearbeitungszentren auf die Werkstücke angesetzt werden. Dies geschieht in rasender Kadenz, auf Millionen von Stücken – und die Werkzeugform bestimmt, ob es Materialverschleiss, Ausschuss und teure Unterbrüche gibt oder nicht. Deshalb sind für gute Werkzeugformen auch gute Preise zu machen. «Die Amerikaner stehen bei uns Schlange», triumphiert ein Kleinunternehmer unter den erstaunlich vielen Rheintaler Werkzeugmachern wie SFS, Berhalter oder Otto Männer. Die Branche ist gross, sie exportiert für zwei Milliarden Franken – schon halb so viel, wie die übrigen Maschinenexporte einbringen. Die Wertschöpfung dieser Schlüsselteile ist überproportional.
Eine vierte Strategie stürzt sich auf jene Weltmärkte, die spezifisch und daher klein sind. Eine dominierende Stellung lässt sich dort rasch erreichen, man kann den technischen Standard mitdefinieren, und die Margen sind meist respektabel. Mit Maschinen zur Kabelkonfektionierung hält die Komax vierzig Prozent des Weltmarkts, Feintool ist Weltmarktführer bei Maschinen des Feinschneidens, Saia-Burgess versorgt Nordamerika mit jedem dritten Betätigungsmagneten, Schaffner aus Luterbach deckt zwanzig Prozent des Weltbedarfs an Einrichtungen zur elektromagnetischen Verträglichkeit ab. Die Schweizer Maschinenindustrie ist voll von solchen heimlichen Monopolisten, die sich in schmucken kleinen Dorffabriken verstecken.
Wieder andere grosse Kleine übernehmen verwandte, aber nicht gleiche Hersteller im Ausland. Der Vorteil wird dann durch gemeinsame Plattformen der unterschiedlichen Maschinen gesucht. Die Starrag in Rorschach hat sich, nach langer Stagnation bei ihren Starrfräsmaschinen, die Heckert in Deutschland im Zeichen dieser Strategie angeschnallt.
Ferner gehen fast alle Maschinen- und Werkzeughersteller dazu über, ihre Produkte mit Dienstleistungen zu umwickeln. Die altbekannte Montage und der jederzeit zu Kunden in aller Welt abflugbereite Servicemonteur spielen eine grosse Rolle. Aber auch die mitgelieferten, später adaptierten Programme bestimmen immer stärker, wie schlagkräftig eine Anlage ist. Bei der im Weltmarkt starken Schindler sind Montage und Serviceverträge viel arbeitsintensiver und länger kundenbindend als die Herstellung der Liftkästen.
Und zuallerletzt stellen viele schon ältere Firmen eine erstaunliche Wandlungsfähigkeit unter Beweis. Der Drehautomatenfabrikant Tornos in Moutier hat sich aufgerappelt, stellte Leute ein und verdoppelte deren Produktivität. Die SIG konzentriert sich aufs Verpacken, die Georg Fischer wird sich vermutlich zweiteilen in Anlagenbau und Fahrzeug- und Fertigungstechnik. Während die grosse Adtranz das Handtuch warf, baute die ehemals kleine Stadler sich zu einem Fahrzeugmulti um, der in Altenrhein, Bussnang und Berlin produziert.
Wenn so viele KMUs ungehemmte Vitalität zeigen, gehört es fast zum Bild, dass etablierte Grosse lahmen. Angst um die schweizerische Maschinenindustrie als Ganzes muss man nicht haben. Auch die menschlichen Qualitäten stimmen – welche Industrie in der weiten Welt beschäftigt 20 Prozent Hochschulabgänger, 55 Prozent Techniker und Berufsleute und nur 26 Prozent Ungelernte?
Wachstumsgrenzen sind allenfalls langfristig auszumachen. Die Nischenmärkte sind – auch im Weltmassstab – klein, sie werden durch die enorme Leistungsfähigkeit der Schweizer Produzenten schnell ausgeschöpft. Die Kundennähe zwingt zur Expansion ins Ausland, was hier keine neuen Arbeitsplätze, dafür aber Risiken bringt. Schliesslich ist komplexe Feinmechanik nicht in beliebigen Grössenordnungen herstellbar. Doch die Schweizer Maschinenindustrie verdient Geld, jährlich wiederkehrend, mit solide steigender Tendenz. Vorerst ist kein Ende in Sicht.
Doch halt, das Unterholz wächst nach. Adval Tech, Feintool, Kardex, Komax, Mikron, Saia-Burgess, Phoenix Mecano, Schaffner, Schweiter, Starrag-Heckert, Zehnder und viele andere haben innert kurzem zwei-, drei-, fünfhundert Millionen Franken mehr umgesetzt. Und Unternehmen wie Disetronic, Kudelski, Phonak, Geberit hätten früher zur Maschinenindustrie gehört, kombinieren aber heute Kunststoffe, Programme und Dienstleistungen zu völlig Neuem. Sie sind als Firmen Milliarden wert wie ehemals nur die Grossen – und alle scheinen etwas zu machen, was die Giganten nicht schafften.
Diese sind in drei Fallen getappt. Da fiel Saurer in die Qualitätsfalle – aus den Werkhallen am Bodensee rollten perfekte Lastwagen mit jahrzehntelanger Diensttauglichkeit. Aber in Italien, Deutschland und Schweden rollten hundertmal mehr Lastwagen vom Band, billiger, einfacher, auf ein paar Jahre Einsatz bei ohnehin rasch umdisponierenden Firmen getrimmt. Auch die grosse Maschinenfabrik der Sulzer hatte einen fast handwerklichen Stil von Auftragsproduktion bewahrt, wenn man sie mit den grossen Produzenten verglich. Das alles tut dem Betrachter richtig Leid.
Empörender war die zweite Falle, nämlich handgestricktes Management erfolgsverwöhnter Herren bei Alusuisse, Ascom und ABB. Mit Getöse wurde Alusuisse zuerst zu einem voll integrierten Mischkonzern von der Bauxitgrube bis zum Generalunternehmer aufgebaut, dann wieder zum blossen Verarbeiter von Aluminium ausgedünnt, hernach mit der integrierten Alcan rückfusioniert. Die Ascom schaffte es verhängnisvolle lange Jahre nicht, die Königreiche von Autophon und Hasler wirklich zu fusionieren und ihrem Ende als Hof- und Systemlieferant der alten PTT ins Auge zu sehen. ABB wurde vom Misch- (unter Percy Barnevik) zum Wissenskonzern (unter Göran Lindahl) und wird nun (unter Jörgen Centerman) auf Industrial IT getrimmt. Doch die ständigen Neuorganisationen liessen und lassen ABB kaum Zeit und Energie fürs eigentliche Geschäft.
ABB strauchelte auch noch in eine dritte Falle, zusammen mit Sulzer: das Empire-Building. Die Unternehmen waren allen alles, aber innere Synergien der vielen Hundert Teile gab es kaum, nur schwere Wasserköpfe. Irgendwann merkten sie dies, schälten laufend Teile ab wie von einer Zwiebel – jedoch: viele Tränen, keine Wirkung. BBC verkaufte mit den Flüssigkristallen vermutlich erst noch das Falsche. Später wurden Haushaltgeräte, Lokomotiven, Kraftwerke gestrippt. Damit waren die Schweizer Konglomerate nicht alleine: In den USA ging die Westinghouse unter, ein Urgestein amerikanischer Wirtschaftsgeschichte, vor fünf Jahren die deutsche AEG, und der alten englischen General Electric hilft auch der schöne Name Marconi gegenwärtig nur wenig. Nur Siemens und GE unter Jack Welch überlebten bisher ohne grössere Zerreissprobe.
Die Grenzen des Wachstums solcher Supermaschinen von Firmen sind absehbar. Schuld daran ist die schöpferische Zerstörungskraft der neuen Netze. Erklärt wird die Götterdämmerung der Giganten durch eine bald siebzig Jahre alte, nobelpreisgekrönte Theorie. Firmen, grosse Firmen hätten sich gebildet, weil dies offenbar für alle Beteiligten billiger gewesen sei, als für jede Handreichung mit Dritten auf den Markt zu gehen, schrieb Ronald Coase 1937. Ein Produzent will nicht jeden Morgen mit Entwicklern oder Taglöhnern neu verhandeln, und diese wollen Sicherheit – also treten alle in ein Zeitlohnverhältnis ein. Der Kapitalgeber seinerseits will nicht jede Einzelfertigung bevorschussen, wie noch im frühen Kapitalismus Handelsgesellschaften jeweils ad hoc für eine Schiffsreise aufgestellt worden sind. Das alles würde hohe Transaktions- und Informationskosten verursachen. Eine Grossfirma löst dies unter sich einfacher, dauernder.
Doch heute gelten andere, revolutionäre Regeln – Informatiknetze, Transparenz, Logistik und Programme sind daran, diese Transaktionskosten spektakulär zu verbilligen. Hat ein Ingenieur eine gute Idee, kann er sich die Zulieferer für Komponenten, die Marketingfirma, einige Kapitalgeber und die Verteilorganisation über elektronische Marktplätze besorgen. Seine Firma ist bloss ein vorübergehendes Projekt, das Produkt ist sofort «skalierbar», kann also in Massen hergestellt werden. Alle beteiligten Zulieferer sind fokussierte Klein- oder Mittelfirmen, und nur zusammengenommen bilden sie das, was früher Giganten unter ihrem Dach vereinten. Die braucht es heute dazu nicht mehr. Die «Theorie der Firma» von 1937 leuchtet das Schicksal der alten Grossfirmen weit ins 21. Jahrhundert aus.
Oder doch nicht? Die ABB ist noch nicht abgeschrieben. Sie hat sich nach der Fusion von BBC und Asea sogar ausdrücklich als «Commonwealth» von 5000 selbstständigen Einheiten gesehen. Es scheint aber, dass die Konzernzentrale weder die Übersicht noch die heutigen Netze und auch nicht den finanziellen Langfristhorizont hatte, dieses Gebilde blühen zu lassen. Die disziplinierte, hundertfünfzigjährige Siemens hatte da besseren Erfolg. Sie ist eigentlich ein Investmentfonds mit weit gefächerten Anlagen, die Maschinen, Vehikel, Drehbänke, Spitalapparate, Chips und Programme herstellen. Sie verschlankte sich mit dem Börsengang der Epcos und der Infineon kürzlich, aber noch gegen gutes Geld. Der restliche grosse Informatikbereich will nicht so recht anspringen, zehntausend Entlassungen drohen, und vielleicht entdecken die disparaten Abteilungen des deutschen Giganten, dass sie auf Netzen eigentlich geradeso billig mit Dritten geschäften können – ohne die Bürokratie und den Gewinnanspruch einer Zentrale.
Solche existentiellen Verwerfungen plagen die neuen Stars der schweizerischen Maschinenindustrie nicht. Als «globale Nischenproduzenten» bilden sie die mittelgrossen, fokussierten Glieder der neuen Wertschöpfungsketten. Dabei verfolgen sie durchaus verschiedene Erfolgswege.
Der erstaunlichste ist und bleibt krude Massenproduktion. In der Styner + Bienz, einer Firma der Adval Tech bei Bern, laufen Hunderttausenderserien von Scheibenwischern oder Lenksäulen vollautomatisch vom Band, ein Roboter bettet sie pfleglich in die Versandkisten. Die Berner sind nur ein Teil des «Gesamtprojekts Auto», dessen Risiken der ferne Integrator trägt, VW, Mercedes oder wer auch immer. Ähnliche Rollen spielen Saia-Burgess in Murten bei Schaltungen, Phoenix Mecano mit Metallprofilen oder Mikron mit Handyteilen. Die automatisierte Produktion lässt die sonst hohen schweizerischen Standortkosten schrumpfen, Automaten sind Automaten, hier wie in Südkorea. Allerdings zwingt sie die rasche Lieferbereitschaft in die Nähe der Abnehmer – die kleinen, fokussierten Massenplayer werden global. Mikron, SIG und andere errichteten Anlagen in Asien. Wie die momentanen Gewinnprobleme dieser Firmen zeigen, trifft sie ein Nachfrageschock recht intensiv – nach oben wie nach unten.
Deshalb kombinieren einige Player als zweites Strategieelement die Massenproduktion mit dem Anlagenbau, um den Geschäftsgang der Gruppe zu stabilisieren. Ausserdem kann die eigene Produktion von Serien als Referenz für die Anlagenkunden dienen. Die Mikron baute sich diese zwei Beine der Strategie auf, die Feintool, die SIG, die Adval Tech auch, indem neben den «Umformungsprodukten» der Styner + Bienz noch Werkzeugformen, etwa zur Herstellung von Optical Discs, angeboten werden.
Diese «Werkzeuge» bilden in sich schon wieder fast eine dritte Strategie der Schweizer Industrie. Denn das sind nicht Hämmer oder Schraubenzieher, sondern die in jeder mechanischen und automatischen Produktion entscheidenden Teile: die Form, in die Metalle, Bleche, Kunststoffe sich drücken oder spritzen lassen; Düsen, mittels deren dies geschieht; Bohr-, Fräs- oder Schleifstücke aus extrem harten Materialien, die von den Bearbeitungszentren auf die Werkstücke angesetzt werden. Dies geschieht in rasender Kadenz, auf Millionen von Stücken – und die Werkzeugform bestimmt, ob es Materialverschleiss, Ausschuss und teure Unterbrüche gibt oder nicht. Deshalb sind für gute Werkzeugformen auch gute Preise zu machen. «Die Amerikaner stehen bei uns Schlange», triumphiert ein Kleinunternehmer unter den erstaunlich vielen Rheintaler Werkzeugmachern wie SFS, Berhalter oder Otto Männer. Die Branche ist gross, sie exportiert für zwei Milliarden Franken – schon halb so viel, wie die übrigen Maschinenexporte einbringen. Die Wertschöpfung dieser Schlüsselteile ist überproportional.
Eine vierte Strategie stürzt sich auf jene Weltmärkte, die spezifisch und daher klein sind. Eine dominierende Stellung lässt sich dort rasch erreichen, man kann den technischen Standard mitdefinieren, und die Margen sind meist respektabel. Mit Maschinen zur Kabelkonfektionierung hält die Komax vierzig Prozent des Weltmarkts, Feintool ist Weltmarktführer bei Maschinen des Feinschneidens, Saia-Burgess versorgt Nordamerika mit jedem dritten Betätigungsmagneten, Schaffner aus Luterbach deckt zwanzig Prozent des Weltbedarfs an Einrichtungen zur elektromagnetischen Verträglichkeit ab. Die Schweizer Maschinenindustrie ist voll von solchen heimlichen Monopolisten, die sich in schmucken kleinen Dorffabriken verstecken.
Wieder andere grosse Kleine übernehmen verwandte, aber nicht gleiche Hersteller im Ausland. Der Vorteil wird dann durch gemeinsame Plattformen der unterschiedlichen Maschinen gesucht. Die Starrag in Rorschach hat sich, nach langer Stagnation bei ihren Starrfräsmaschinen, die Heckert in Deutschland im Zeichen dieser Strategie angeschnallt.
Ferner gehen fast alle Maschinen- und Werkzeughersteller dazu über, ihre Produkte mit Dienstleistungen zu umwickeln. Die altbekannte Montage und der jederzeit zu Kunden in aller Welt abflugbereite Servicemonteur spielen eine grosse Rolle. Aber auch die mitgelieferten, später adaptierten Programme bestimmen immer stärker, wie schlagkräftig eine Anlage ist. Bei der im Weltmarkt starken Schindler sind Montage und Serviceverträge viel arbeitsintensiver und länger kundenbindend als die Herstellung der Liftkästen.
Und zuallerletzt stellen viele schon ältere Firmen eine erstaunliche Wandlungsfähigkeit unter Beweis. Der Drehautomatenfabrikant Tornos in Moutier hat sich aufgerappelt, stellte Leute ein und verdoppelte deren Produktivität. Die SIG konzentriert sich aufs Verpacken, die Georg Fischer wird sich vermutlich zweiteilen in Anlagenbau und Fahrzeug- und Fertigungstechnik. Während die grosse Adtranz das Handtuch warf, baute die ehemals kleine Stadler sich zu einem Fahrzeugmulti um, der in Altenrhein, Bussnang und Berlin produziert.
Wenn so viele KMUs ungehemmte Vitalität zeigen, gehört es fast zum Bild, dass etablierte Grosse lahmen. Angst um die schweizerische Maschinenindustrie als Ganzes muss man nicht haben. Auch die menschlichen Qualitäten stimmen – welche Industrie in der weiten Welt beschäftigt 20 Prozent Hochschulabgänger, 55 Prozent Techniker und Berufsleute und nur 26 Prozent Ungelernte?
Wachstumsgrenzen sind allenfalls langfristig auszumachen. Die Nischenmärkte sind – auch im Weltmassstab – klein, sie werden durch die enorme Leistungsfähigkeit der Schweizer Produzenten schnell ausgeschöpft. Die Kundennähe zwingt zur Expansion ins Ausland, was hier keine neuen Arbeitsplätze, dafür aber Risiken bringt. Schliesslich ist komplexe Feinmechanik nicht in beliebigen Grössenordnungen herstellbar. Doch die Schweizer Maschinenindustrie verdient Geld, jährlich wiederkehrend, mit solide steigender Tendenz. Vorerst ist kein Ende in Sicht.
Partner-Inhalte