Donald Trump möchte einen Deal mit der Schweiz. Der Ball liegt beim Bundesrat. Nur: Wie lange ist das Zeitfenster noch offen?
Normalerweise interessiert es die Politiker in Washington wenig, wenn die Politiker in Bern schlafen. Jetzt aber arbeitet die US-Regierung mit Hochdruck daran, internationale Handelsabkommen unter Dach und Fach zu bringen. Am Freitag letzter Woche veranstaltete Donald Trump eigens eine TV-Ansprache, um einen Durchbruch mit den Mexikanern zu verkünden.
Zugleich setzte er dem andern Nachbarn ein Ultimatum: Kanadas Aussenministerin Chrystia Freeland musste ihre Europareise abbrechen, um in Washington über Zölle zu verhandeln. «Lasst uns einen grossartigen Deal machen, wie wir das mit Mexiko gemacht haben», verkündete der oberste Wirtschaftsberater im Weissen Haus, Larry Kudlow.
«A great deal»: Das hätte Donald Trump auch gern mit weiteren Staaten. Sein Handelsstreit mit China und der EU hat viele businessgeneigte Sympathisanten der Republikaner kopfscheu gemacht. Also will der Präsident mit bilateralen Deals beweisen, dass er kein plumper Protektionist ist. Die Schweiz wird damit interessanter denn je: Ein Freihandelsabkommen mit dem Alpenland wäre ein symbolisches Schmuckstück.
Ehrlicher und fairer Dialog
Daraus macht Botschafter Edward McMullen kein diplomatisches Geheimnis. «Ein Freihandelsabkommen wäre eine gute Sache», sagte Trumps Mann in Bern jüngst zur «NZZ am Sonntag», und im März stellte er in der «Handelszeitung» fest: «Ich sehe kein grundsätzliches Problem, das einen ehrlichen und fairen Dialog behindern würde.» Die Haltung im Umfeld des Weissen Hauses zeigte sich auch in einem Aufruf des wichtigsten konservativen Think-Tanks in Washington: «Wir brauchen ein Freihandelsabkommen mit der Schweiz», schrieb der Chef der Heritage Foundation, Ed Feulner.
Doch klar ist auch, wer sich bewegen muss: die Schweiz. Oder genauer: der Bundesrat. Es entspricht den Gepflogenheiten, dass eher der kleinere Partner anklopft; obendrein war es die Schweizer Regierung gewesen, die im Januar 2006 den ersten Anlauf zu einem Freihandelsabkommen abgebrochen hatte. Die Gründe wurden nie exakt ausgebreitet, aber wie der damalige FDP-Nationalrat Johann Schneider-Ammann laut vermutete, spielte der geballte Druck von Bauern- und Konsumentenlobby eine entscheidende Rolle.
«Wir müssen bereit sein»
Nun, zwei US-Präsidentschaften später, liegt das Spielfeld plötzlich neu da. «Es gibt ein ‹window of opportunity› für ein Abkommen», sagt SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher. «Das muss die Schweiz unbedingt nutzen.» Um dies zu unterstreichen, setzte Martullo-Blocher soeben in der Wirtschaftskommission des Nationalrates das Traktandum, dass die Schweiz explorative Gespräche mit den USA aufnehme. Mit Erfolg: Die Kommission stimmte dem Begehren zu. «Ich versuche mein Bestes, um die Verwaltung von der wirtschaftlichen Bedeutung und Dringlichkeit eines Abkommens zu überzeugen», so die Ems-Chemie-Chefin. «Es wäre für uns Industrielle von höchster Priorität.»
Fast zeitgleich meldet sich der CEO der Schweizerisch-Amerikanischen Handelskammer mit einer Jetzt-oder-nie-Analyse und vielen Ausrufezeichen: «In den nächsten 12 bis 18 Monaten werden neue Handels-Realitäten festgelegt», schreibt Martin Naville in einem Brief an seine Mitglieder. «Wir müssen bereit sein!»
Die Unruhe hat einen Ausgangspunkt: Montag, 25. Juli 2018. An jenem Sommertag trafen sich Donald Trump und Jean-Claude Juncker im Weissen Haus – und statt im erwarteten Trümmerhaufen endete das Treffen in Minne. Der US- und der EU-Kommissions-Präsident vereinbarten, eine Null-Zoll-Zukunft anzustreben. Das aus Berner Sicht bald verdrängte Treffen könnte sich als Rückschlag für die Schweiz erweisen: Wenn die Nachbarländer en bloc zu einem Deal mit der Supermacht kämen, bliebe die Schweiz wieder mal als Sonderfall in Europa zurück. Sie müsste als Bittstellerin einen Anschluss suchen, oder aber hiesige Firmen wären eher versucht, auf europäischem Boden für den amerikanischen Grossmarkt zu produzieren.
«Solange die EU den Vertrag nicht hat, brauchen wir das auch nicht so dringend», sagt Martin Naville. «Wenn die EU aber zu einem Freihandelsabkommen kommt, wird es für uns ein absolutes Must.»
Tatsächlich gab die Geschichte dem zaghaften Bundesrat in den letzten Jahren recht: Auch ohne Deal verbandelten sich die «Sister Republics» mehr und mehr – und wie. Die helvetischen Exporte über den Atlantik kletterten von 2007 bis 2017 um sagenhafte 83 Prozent. Mit einem Handelsabkommen könnte diese Erfolgsgeschichte weitergeschrieben werden – und die engen Wirtschafsbeziehungen weiter vertieft werden, sind hiesige Wirtschaftsvertreter überzeugt. «Weil viele technische und tarifäre Handelshemmnisse bestehen, liegt im Handel mit den USA auch für die Schweiz enormes Potenzial brach», sagt Jan Atteslander, Leiter Aus-senwirtschaft bei Economiesuisse. Der Verband hat in den letzten Monaten informelle Gespräche mit Vertretern der US-Botschaft geführt – und Erstaunliches festgestellt: «Die Amerikaner haben nach dem Scheitern der Gespräche im Jahr 2006 nicht vergessen, dass sie ein starkes realwirtschaftliches Interesse haben, den Zugang zum Schweizer Markt zu vereinfachen», sagt -Atteslander. Hier müsse jetzt angeknüpft werden: Wenn die USA mit der EU, Grossbritannien oder Japan ein -Abkommen abschliessen möchten, dann hätte auch die Schweiz eine reelle Chance, nachzuziehen.
Davon profitieren würde die Maschinenindustrie. «Nur schon ein Abbau der Zölle brächte spürbare Vorteile», sagt Ivo Zimmermann von Swissmem. Noch viel grösser wären die Chancen bei einer gegenseitigen Anerkennung von Normen und Standards. Laut einer Umfrage des Verbands ist fast die Hälfte der MEM-Firmen gezwungen, für den US-Markt nach unterschiedlichen technischen Normen zu fertigen – das treibe die Produktionskosten in die Höhe, sagt Zimmermann.
Ähnlich ist die Ausgangslage für die Pharmabranche: Einen Drittel ihres Weltumsatzes erzielen Novartis, Roche und Co. im Land der unbegrenzten Medikamentenpreise. Der grösste Teil jener Ausfuhren erfolgt zwar dank WTO-Abkommen zollfrei. «Dieses muss aber, um neue Produkte zu erfassen, immer aufwendig angepasst werden», heisst es beim Verband Scienceindus-tries; eine Bürokratie, die mit dem Abkommen entfiele
Die Chancen liegen da, die Tür ist offen, doch etwas steht davor: die Landwirtschaft. Deren Zollschutz müsste die Schweiz wohl weitgehend aufgeben. Noch äussert sich Bauernverbandspräsident Markus Ritter nur zurückhaltend: Der Bundesrat kenne die roten Linien, die aus Sicht der Landwirtschaft gälten. Doch es besteht kein Zweifel, dass sich die Bauernlobby mit ihrer gewohnten Kraft gegen ein Abkommen stemmen würde, wenn die Amerikaner auf eine Öffnung der Agrarmärkte pochten – und die aktuellen Verhandlungen mit Kanada beweisen, dass auch das Trump-Team seine Milch- und Rinderfarmer knallhart weiter vertritt.
«Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die US-Regierung ein Abkommen abschliesst, das wichtige landwirtschaftliche Interessen der USA nicht berücksichtigt», sagt Christian Etter: Zu gross sei der Einfluss der Agrarlobby der USA. Etter war bis Ende Januar Delegierter des Bundesrats für Handelsverträge und er war es, der 2006 die explorativen Gespräche mit den USA leitete.
Der frühere Seco-Mann ist skeptisch, dass ein zweiter Anlauf für ein Abkommen zum Erfolg führen würde: «Die innenpolitischen Voraussetzungen in der Schweiz sind auch derzeit nicht erfüllt, um in erfolgversprechende Verhandlungen mit den USA zu treten.» In der Agrarpolitik finde der Bundesrat weiterhin zu wenig Gefolgschaft für den notwendigen Abbau des Grenzschutzes. Das zeigte sich soeben in der Wirtschaftskommission des Nationalrats: Sie empfiehlt, dass die Landwirtschat bei exploratorischen Gesprächen mit den USA explizit ausgeschlossen wird.
Hoffnung auf viele weitere Erleichterungen
Und so kann die wirtschaftlich unbedeutende Bauernbranche erneut darauf setzen, dass sie einen Deal am Ende wieder aushebeln könnte. Denn trotz diversen Vorteilen für wichtige Exportbranchen: Streng ökonomisch ist die Bedeutung verblüffend begrenzt. Laut einer Studie, die 2006 im Auftrag der beiden Regierungen die Folgen ausmass, könnte ein Zollabbau das BIP der Schweiz um etwa 1,1 Milliarden Dollar steigern – gutes Geld, gewiss. Aber gemessen an der Gesamtwirtschaft doch eher Peanuts.
«Der grösste Teil des Handels zwischen den beiden Ländern ist ja bereits liberalisiert», erläutert Richard Baldwin dazu; der Ökonom des Centre for Trade and Economic Integration in Genf war Mitautor jener Analyse von 2006. «Aber man unterschätzt die Bedeutung einer Freihandelszone, wenn man sie bloss in Dollar ausdrückt: Nebenbei liessen sich viele Erleichterungen erzielen.» Und vor allem, so Baldwin, wäre es strategisch besser, sich jetzt mit den Amerikanern an den Verhandlungstisch zu setzen, als Krach zu haben mit Donald Trump.
Geht also die Landesregierung den ersten Schritt? Antwort des zuständigen Bundesrates: «Die USA sind nach der EU der wichtigste Handelspartner der Schweiz. Bekommen wir also eine Chance von den USA, werden wir diese sicher sehr genau prüfen», sagt Johann Schneider-Ammann. «Sie wissen, dass dieses Thema vor mehr als zehn Jahren weit gediehen war, bevor die Schweiz den Prozess abbrach. Aber wir stehen mit den USA ständig in engem Kontakt zu Handelsfragen und hören genau hin, was von dort kommt.»