Der Tausendsassa Simon Michel, Ypsomed-Chef, Nationalrat und gern gesehener Redner an Anlässen, baute im vergangenen April einen Selbstunfall auf der A1. Er kollidierte laut der «Aargauer Zeitung» mit einer Baustellensignalisation, beschädigte Baustellenbaken und Beleuchtungen sowie sein Auto. Michel wird vorgeworfen, das Auto in «übermüdetem Zustand» gefahren zu haben. Das bestreitet Michel, er sei gedanklich bei einem bevorstehenden Vortrag gewesen, habe in der Folge eine Strassenpylone touchiert und das Auto «kontrolliert zum Stillstand gebracht».
Nur eine Strassenpylone touchiert. Michel hatte Glück. Es gibt jedoch weitere Fälle. Der zweite ist jener des ehemaligen Waadtländer SVP-Nationalrats und Landwirts Jean-Pierre Grin: Er war 2012 in einen tödlichen Unfall mit seinem Traktor verwickelt. Wie er das Auto übersehen konnte, kann sich Grin bis heute nicht erklären. 2014 wurde er wegen fahrlässiger Tötung bei «durchschnittlichem Verschulden» zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt.
Ein dritter Fall: Der ehemalige FDP-Parteipräsident Philipp Müller kam 2015 auf die Gegenfahrbahn, wo er frontal mit einer entgegenkommenden 17-jährigen Motorradlenkerin kollidierte und sie schwer verletzte. Er war zu diesem Zeitpunkt geschäftlich unterwegs, übermüdet und litt an Schlafapnoe. Die Staatsanwaltschaft verurteilte Müller wegen Fahrens in fahrunfähigem Zustand sowie wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung infolge mangelnder Aufmerksamkeit.
Ausbrennen für die Politik oder den Beruf
Abgelenkt sein, jemanden übersehen oder übermüdet am Steuer sitzen – die Gründe sind unterschiedlich, doch sie zeugen vom gleichen Problem: Die Personen stossen an ihre Grenzen. Das ist nicht nur ein politisches Phänomen, sondern lässt sich genauso im beruflichen Alltag beobachten – und mit steigenden Burnout-Zahlen belegen. Der stete Erfolgsdruck und Zeitstress rufen Ermüdung hervor.
Ob Politiker oder Spitzenmanagerin – sie bewältigen einen beruflichen Alltag, pendeln zwischen Terminen hin und her, besitzen ein Haus und eine Familie, absolvieren ihre sportlichen Einheiten, treten am Abend auf diversen Bühnen auf und stehen im Zentrum des öffentlichen Interesses. Das erfordert eine durchgetaktete Agenda. Im Fall von Simon Michel seien es, wie er gegenüber der «Aargauer Zeitung» sagte, «acht bis zehn Stunden Arbeit für Ypsomed, drei Stunden für Ernährung, Haushalt und Hygiene, sechs Stunden Schlaf und fünf bis sieben Stunden für Familie und Politik».
Das ist zwar ein löbliches Zeitmanagement, doch ebendieses zerbricht, sobald etwas Unvorhergesehenes passiert. Ein voller Terminkalender erlaubt keinen Spielraum für Spontanes. Die Agenda zerbirst wegen neuer Termine und multipliziert den Bedarf an Reaktionen. Wer bereits zuvor alles bis zur letzten Minute gefüllt hat, dem bleibt jetzt nicht einmal mehr Raum zum Atmen. Und doch denken viele, dass sie auch das noch schaffen. Sie überschätzen sich und ihre Fähigkeiten. Vor allem auch, weil die Aussicht auf Erfolg lockt.
Spätestens wenn die Folge davon ein Autounfall mit potenziell fatalem Ausmass ist, gehören die eigene Leistung kritisch hinterfragt, die Agenda überprüft und mögliche Lösungen angesprochen.