Die Schweizer Wirtschaft steht durch internationale Verflechtungen und geopolitische Risiken unter Druck, was die Resilienz von Lieferketten zur Priorität macht.
Unternehmen setzen auf Strategien wie Nearshoring, Lagerpuffer und verbessertes Risikomanagement, unterstützt durch Digitalisierung und spezialisierte Versicherungsangebote.
Versicherer wie Swiss Re und Zurich bieten innovative Dienstleistungen und Analysen, um Unternehmen bei der Bewältigung dieser Herausforderungen zu unterstützen.
Die Schweizer Wirtschaft ist durch ihre Exporte und Importe stark auf dem internationalen Parkett eingebunden – und damit auch verletzlich bei Ereignissen wie der Covid-Pandemie und ausländischen Geschehnissen wie der Blockade des Suezkanals, dem Ukraine-Krieges oder der Angriffe auf den Schiffsverkehr im Roten Meer. Die Planung des operativen Betriebes wird so zu einer Herkulesaufgabe. Die aktuellen geopolitischen Risiken stellen zusätzlich einen Rückschlag für die internationale Arbeitsteilung und die multilaterale Wirtschaftsordnung dar. Das wirkt sich unmittelbar auf die «Supply Chains», also die Lieferketten, aus.
Neue Geschäftsmodelle
Das liegt der Wirtschaft sehr auf dem Magen. Kein Wunder, bildeten die Themen «Restrukturierung im Supply-Chain-Management: Wie gestalten wir die Zukunft?» und «Resilienz in der Beschaffung – Strategien für eine widerstandsfähige Lieferkette» den Schwerpunkt am kürzlich durchgeführten Supply Chain Innovation Day 2024. «Systemische Veränderungen erfordern eben neue Lösungen und eröffnen damit Chancen auf innovative Geschäftsmodelle», begründet Leon Zacharias die Themenwahl. Zacharias ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Supply Chain Management der Universität St. Gallen (ISCM-HSG) und Organisator des Branchenanlasses.
Unternehmen sehen sich heute mit der anspruchsvollen Aufgabe konfrontiert, ihre Lieferketten in einem Spannungsverhältnis zwischen Effizienz, Resilienz und Nachhaltigkeit zu gestalten. Doch wie lässt sich das machen, und anhand welcher Kennzahlen kann dies gemessen werden? «In Bezug auf die Effizienz bedarf es einer kontinuierlichen Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Dies können Unternehmen durch die effektive Verwendung von neuen Technologien sowie mit dem Ausbau der Digitalisierung erreichen. Ein Mindsetwandel weg vom Reagieren und hin zum proaktiven Handeln ist unerlässlich. Bei der Senkung der Kosten nimmt die Automatisierung und Digitalisierung eine wichtige Rolle ein», erläutert Zacharias.
Dies bestätigt auch Andreas Kyburz vom Berufsverband der Einkäuferinnen und Einkäufer, Procure.ch: «Die Beschaffung übt in der Tat eine zentrale Unternehmensfunktion aus; hier entscheidet sich ein Grossteil des wirtschaftlichen Erfolges. Im Zentrum stehen Kosten, Qualität, Innovation, Diversität und Nachhaltigkeit. Und die diversen Regulatorien bilden eine zusätzliche Verantwortung, die stark in den Fokus rückt.» Zudem spiele der Einkauf eine massgebliche Rolle bei der Digitalisierung. «All diese Herausforderungen stellen die Unternehmen vor grosse Aufgaben betreffend Personal und finanzielle Mittel», so der Procure.ch-Geschäftsführer.
Abhängigkeiten verringern
Handlungsbedarf sieht auch Michael Rüsch: «Neben einzelnen Ereignissen kommen jetzt vermehrt regulatorische Vorgaben dazu, welche das Geschäft mit dem Warenverkehr komplexer gestalten – inklusive der Risiken, die nicht zuvorderst auf dem Radar stehen.» Als Leiter DACH der Swiss Re Corporate Solutions und damit verantwortlich für die Märkte Deutschland, Schweiz und Österreich weiss er, wovon er spricht. Denn von den Verwerfungen sind auch die Industrieversicherer betroffen.
«Aktuelle geopolitische Risiken wie beispielsweise die Angriffe auf den Schiffsverkehr im Roten Meer veranlassen Unternehmen, ihre Lieferquelle zu diversifizieren und vermehrt auch auf regionale Lieferanten wie etwa in Osteuropa zu setzen», ergänzt Leon Zacharias von der Uni St. Gallen und spricht damit das sogenannte Nearshoring an. Durch eine solche Diversifikation können Abhängigkeiten von Lieferanten und Regionen verringert werden. «Ein weiterer Ansatz ist der Aufbau von Lagerpuffer für kritische Komponenten», sagt Urs Lüthy, Leiter Commercial Insurance der Zurich Schweiz. Entscheidend sei jedoch, so Lüthi, dass Firmen die Risiken in ihren Lieferketten überhaupt einmal identifizieren und danach mit passenden Massnahmen ihren Handlungsspielraum erweitern.
Versicherungsschutz überprüfen
Neben den eigenen Massnahmen der Wirtschaft kann die Überprüfung des bisherigen Versicherungsschutzes eine zusätzliche Handlungsoption für eine resilientere Lieferkette sein. Neben Klassikern wie Versicherungen gegen Betriebsausfall, Schaden und Unfall, gegen Cyberattacken, für Management-Liability, Alternative-Risk-Transfer, Business-Continuity-Management oder die Errichtung einer Captive gilt es jedoch auch, neue Ansätze im Auge zu behalten. Stichworte dazu sind künstliche Intelligenz und Big Data (siehe Box).
Für Michael Furtschegger, Regional Managing Director der Allianz Commercial sind Versicherung und damit verbundene Entschädigungsleistungen nur die Ultima Ratio: «Es geht stattdessen vor allem darum, Lieferverpflichtungen einzuhalten und als Unternehmen im Markt zu bleiben. Dies erfordert ein gutes Risikomanagement bei den Unternehmen selbst und unsererseits ein Verständnis für potenzielle Ausfallszenarien.» Er setzt ebenso wie Rüsch und Lüthy auch stark auf Transparenz: «In der Lieferkette müssen wir Abhängigkeiten erkennen und deren Wirkung auf die Wertschöpfung einschätzen. Ausserdem spielen wir Szenarien dazu durch, welche Auswirkung potenzielle Ausfälle haben könnten.» In der Sachversicherung bietet die Allianz Commercial je nach individueller Risikoanalyse Rückwirkungsschadendeckungen im Rahmen der Betriebsunterbrechungsdeckung an, deren Umfang abhängig vom Ausgang der Analyse ist.
Swiss Re Corporate Solutions setzt stark auf die Plattform RDS (siehe Box), welches Unternehmen hilft, einen genauen Überblick über ihre Risiken zu erhalten. Und die Zurich hat in ihrer Commercial Insurance die «Zurich Resilience Services» gegründet und verfügt dort rund um den Globus über Expertinnen und Experten im Risk-Management, die der Industrie beratend zur Seite zu stehen. «Diese haben einerseits die Fähigkeit, traditionelle Risiken wie Feuer und Erdbeben zu analysieren, anderseits aber auch die Instrumente, um detaillierte Gefährdungsanalysen für andere Naturgefahren vorzunehmen – dies unter Berücksichtigung der zu erwartenden Folgen des Klimawandels», erklärt Urs Lüthy. Sie liefern Antworten auf Fragen wie: Steht ein kritischer Lieferant in einer Zone, die immer mehr flutgefährdet ist? Betreibt eine Firma Lagerhäuser, die nach einem Ereignis von Lastwagen nicht mehr erreicht werden können? Sind Firmen sowie ihre kritischen Lieferanten und Abnehmer genügend vor Cybergefahren geschützt?
Versicherer bleiben am Ball
Es sind solche Fragen, welche auch die Industrieversicherer um- und antreiben. Die Versicherungsindustrie bleibt jedenfalls am Thema dran. So etwa mit der zweitägigen DACH-Fachtagung «Transportversicherung» vergangenen April, die in enger Zusammenarbeit des deutschen Gesamtverbands der Versicherer (GDV), des Versicherungsverbands Österreich (VVO) und des Schweizerischen Versicherungsverbands (SVV) organisiert wurde. Die Tagung bot den rund hundert Teilnehmenden einen umfangreichen Einblick in die aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen der Transportversicherung im internationalen Vergleich. Eines ist sicher in einer unsicheren Welt: Bezüglich Absicherung von Lieferketten bleibt alles dynamisch.
Dieser Beitrag ist Teil des am 23. Oktober 2024 erschienenen HZ-Insurance-Print-Specials «Unternehmensversicherung».