Was weiss man heute über die grössten Defizite im Middle Management in Firmen?
Das hängt von der Unternehmens- und der Persönlichkeitsstruktur der Beteiligten ab. Man bekommt von beiden Seiten Druck, wird von allen als Ansprechpartner gesucht. Da ist man irgendwann mit seinen kognitiven, emotionalen, aber vor allem auch zeitlichen Ressourcen am Ende. Und damit entwickelt man sich häufig ungewollt zum Flaschenhals für Informationen und Umsetzung.
Welche dieser Defizite lassen sich mit generativer KI verringern beziehungsweise lösen?
Die generative KI kann kurzfristig bereits die informative Rolle übernehmen. Hier kann beispielsweise ein GPT mit Informationen aus dem Management gefüttert werden, welche Mitarbeitende dann zu jeder Zeit in für sie verständlicher Form abrufen können. Ebenfalls können andere Aufgaben, zu denen es schon umfassende Dokumentationen gibt, zum Beispiel wiederkehrende Kundenanfragen, über solche GPTs abgebildet werden. Aber da wird es sicher nicht aufhören. Ich forsche daran, wie Maschinen auch zunehmend Menschenführung übernehmen können und damit auch stärker in die Umsetzung gehen.
Gibt es dazu erfolgreiche Beispiele?
Ich besuchte vor ein paar Jahren eine Fabrik von Hugo Boss in Izmir. Dort war das mittlere Management in der Tat durch eine algorithmische Steuerung ersetzt worden. Die Mitarbeitenden bekamen morgens ihr Tablet in die Hand, und über dieses wurden sie informiert, an welcher Maschine sie zu arbeiten haben, mit welcher Charge, mit welchen Zielen und so weiter. Gleichzeitig bekamen sie Rückmeldung über ihre individuelle Produktivität und die des Teams.
Wie kam die Tablet-Lösung an?
Die Mitarbeitenden vor Ort fanden das System prächtig. In Interviews erzählten sie uns, dass sie sich endlich nicht mehr bei den Vorarbeitern einschmeicheln mussten, um die besseren Stationen zugewiesen zu bekommen, denn jetzt gab es ein faires Rotationssystem. Endlich mussten sie nicht mehr Managerinnen oder Manager suchen, die ihnen ein Ersatzteil genehmigen, sondern konnten das direkt über ihre Tablets machen. Und endlich hatten sie ein Verständnis für ihre tägliche Leistung.
Welche Arbeit blieb für das Middle Management?
In besagtem Beispiel wurden die Mitarbeitenden des Middle Management umgeschult. Sie wurden Transformationsmanager für andere Fabriken. Aber das ist natürlich endlich. Irgendwann wird diese mittlere Ebene auch in der Fläche deutlich ausgedünnt sein.
Wird die KI viele Berufe ersetzen?
Es gibt zumindest bestimmte Berufsfelder, in denen KI bereits jetzt die Hochschulabschlussprüfungen sehr gut besteht. Häufig besser als die Menschen. Beispielsweise in Informatik, Jura oder Medizin. Zudem sehen wir, dass KI auch zunehmend Funktionen in kreativen Bereichen übernimmt. Ich wage da keine Prognose, welche konkreten Berufe der Wissens- und Kreativwirtschaft stärker unter Druck geraten. Alles, was digital abgebildet werden kann, wird dies früher oder später auch sein.
Ist absehbar, dass bestimmte neue Berufsfelder kommen werden?
Ich wünschte, ich könnte das so konkret vorhersagen. Wir Menschen werden uns wandeln müssen, nicht mehr die Antworten liefern. Denn Antworten wird die KI in Zukunft schneller und vielfach auch besser bereitstellen können. Ich glaube, wir Menschen werden lernen müssen, gute und wichtige Fragen zu stellen. Wieder unsere Neugierde zu kultivieren. Und entsprechend auch unsere Institutionen so umbauen, dass sie dem Rechnung tragen.
Zur Person
Niels Van Quaquebeke ist Professor für Führung und Organisationspsychologie an der Kühne Logistics University in Hamburg (D) sowie ausserordentlicher Forschungsprofessor an der University of Exeter (UK). Er gilt als einer der einflussreichsten deutschen Wirtschaftswissenschafter und hat sich den Ruf eines Denkers erworben, der nicht nur sein Fachgebiet, sondern auch wichtige Diskurse in der Praxis zum Thema Führung prägt.
Wo gelangt die Gen KI an Grenzen?
Im Moment – denn das muss man bei dieser rasanten Entwicklung anmerken – halluzinieren viele Gen KI noch. Das ist für Berufe, in denen die Korrektheit von Informationen wichtig ist, untragbar. Aber es wird wahrscheinlich ein endliches Phänomen sein. Ebenfalls klar an die Grenzen gerät KI derzeit noch, wenn unterschiedliche Akteure koordiniert werden müssen. Im Prinzip ist die Gen KI wie ein junger Strategieberater, der auch nur Buchwissen hat und denkt, dass Strategie darin besteht, komplexe Probleme theoretisch zu lösen. Das ist nicht schlecht, aber die wahre Schwierigkeit liegt in der Umsetzung.
Kann auch das Topmanagement durch eine Gen KI ersetzt werden?
Klar. Ich könnte jetzt jede einzelne C-Suite-Rolle mit Ihnen durchgehen, aber machen wir es mal an der Rolle des CEO fest. Dieser soll im Kern die Strategie des Unternehmens bestimmen. Was ist denn Strategie? Im besten Fall ist es eine datenbasierte und evidenzgetriebene Wahrscheinlichkeitsabwägung von Kosten, Risiken und Erträgen in einem dynamischen Umfeld. Also eigentlich doch genau die Stärke von KI. Es dürfte daher nicht verwundern, dass alle grossen Strategieberatungen ihre eigenen GPTs trainieren. Mit ihren eigenen Daten und Strategien der letzten Jahrzehnte gerüstet, kann so schnell eine neue Strategie für Kundinnen und Kunden formuliert werden. Der Mensch kann dann vielleicht noch eine Strategieoption auswählen. Aber warum eigentlich? Warum das nicht innerhalb bestimmter ethischer und anderer Parameter auf Autopilot belassen?
Was bedeutet das für zukünftige Karrieren?
Wir werden wahrscheinlich unsere eigenen Superkolleginnen und -kollegen trainieren. Die Frage ist dann aber: Wem gehören die? Dem Unternehmen, in dem ich gearbeitet habe? Dann würde ich es vielleicht nie verlassen. Vielleicht ist eine Option, dass wir unsere Trainingsparameter mit zur nächsten Firma nehmen dürfen. Oder haben einige von uns ihren KI-Kollegen so gut trainiert, dass auch andere damit arbeiten wollen, und wir können diese Kollegen entsprechend für Geld ausleihen? Die Zukunft wird auf jeden Fall spannend ... und anders werden.