Um die negativen Auswirkungen der intensiven Bebauung in Siedlungsräumen zu reduzieren, wurden in den letzten Jahrzehnten spezielle bautechnische Verfahren entwickelt – etwa die Begrünung von Gebäudefassaden und Hausdächern. Diese Idee ist jedoch alles andere als neu. So wurden der Überlieferung nach die «Hängenden Gärten von Babylon» als terrassierte Dachgärten gebaut und gelten als eines der sieben Weltwunder der Antike. Das Beispiel machte Schule: Infolge der Ausdehnung und Verdichtung der Städte wurden auch im antiken Athen und Rom auf den Flachdächern zunehmend Gärten angelegt.

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In der Neuzeit lebte der österreichische Künstler Friedrich Hundertwasser mit dem Konzept seiner Bauwerke nach der Prämisse, der «Natur auf dem Dach zurückzugeben, was ihr beim Hausbau weggenommen wurde». Auch der schweizerisch-französische Architekt Le Corbusier, welcher sonst für seine «geraden Linien» in Funktionalität und Planung bekannt ist, integrierte die Begrünung von Dächern in seine raumplanerischen Visionen. In der Forschung von Le Corbusier war der Dachgarten ein grundlegendes Mittel, um die Natur in die Häuser zu bringen. Betrachtet man allerdings heutige Flachdächer und Dachgärten, so zeigt sich, dass sich die Zukunftsträume von Le Corbusier und Hundertwasser mehrheitlich in Luft aufgelöst haben.

 

Bautechnische Etablierung

Immerhin: Flachdachbauten haben sich durchgesetzt. In mitteleuropäischen Städten gewannen aktiv angelegte Dachbegrünungen seit den 1970er-Jahren an Bedeutung. Zunächst standen vor allem die gestalterischen Aspekte im Vordergrund, erst in den letzten Jahren kam ökologischen Aspekten eine grössere Bedeutung zu. Defizite sind jedoch zu erkennen, wenn es um die effektive Nutzung der Dachflächen geht. Mit der bautechnischen Etablierung der extensiven Dach- und Fassadenbegrünung ergibt sich deshalb die Möglichkeit, solche Flächen – ganz im Sinne Hundertwassers – «der Natur zurückzugeben».

Die Möglichkeit der Begrünung von Flachdächern gilt heute als eine von vielen Massnahmen im Rahmen einer ökologisch orientierten Stadtplanung. Extensive Dachbegrünungen beispielsweise sind in den Bauverordnungen vieler Gemeinden und der meisten grossen Städte in der Schweiz verpflichtend festgelegt. Das bestätigt Erich Steiner, Geschäftsführer der Schweizerischen Fachvereinigung Gebäudebegrünung (SFG): «Dächer und Fassaden nehmen einen beträchtlichen Teil der städtischen Fläche ein. Städte erkennen zunehmend die Vorteile von Dach- und Fassadenbegrünungen als Teil der Antwort auf den Klimawandel. Neben ökologischen und klimatischen Aspekten werden sie auch als ästhetische Bereicherung des Stadtbilds betrachtet.»In der Tat: Über unseren Köpfen – auf Dächern und an Fassaden – bieten sich vielversprechende Strategien zur Verbesserung des Stadtklimas und zur Förderung der Biodiversität an. «Städtische Wärmeinseln, Starkniederschläge und Feinstaub beeinträchtigen nicht nur das Stadtklima negativ, sondern gefährden auch die Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner. Die Integration von grünen Elementen auf Dächern und an Fassaden kann hier einen entscheidenden Beitrag leisten», so Steiner (siehe auch Interview weiter unten).

 

Wertsteigerung von Immobilien

Ein weiterer wichtiger Vorteil ist gemäss der SFG die Erhaltung der Biodiversität: Die Dach- und Fassadenbegrünungen bieten Lebensräume in urbanen Gebieten, die diesen Schutz fördern. Die so geschaffenen zusätzlichen Grün- und Nutzflächen binden CO₂, verbessern die Luftqualität durch Luftreinigung und Bindung von Feinstaub und vermindern die Verdunstung von Meteorwasser, was ebenfalls zu einer Verbesserung der Lebensqualität in den Städten führt. «Und das bedeutet in der Folge eine Wertsteigerung von Immobilien», ist der SFG-Geschäftsführer überzeugt.

Für grosse Dächer und Fassaden ist das nachvollziehbar. Doch lohnt es sich auch für kleinere Flächen? «Absolut», sagt Erich Steiner, «es gibt kein Entweder-oder! Sowohl extensive Dachbegrünungen mit geringer Aufbauhöhe als auch intensive Begrünungen mit tieferem Substratauftrag bieten vielfältige Möglichkeiten für Fauna, Flora und die Nutzung durch uns Menschen. Die Anpassbarkeit an unterschiedliche Grössen macht Dach- und Fassadenbegrünungen zu einem ganzheitlichen Lösungsansatz.»

«Dach- und Fassadenbegrünungen sind nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch und sozial sinnvoll», hält Experte Steiner fest. «Als Teil einer ganzheitlichen Strategie bieten sie eine nachhaltige Antwort auf die Herausforderungen des Klimawandels und schaffen grüne Oasen inmitten von Beton und Asphalt. Die weltweite Akzeptanz dieser grünen Revolution auf Dächern und Fassaden markiert einen bedeutenden Schritt in Richtung einer nachhaltigen Zukunft.»

«Grüne Dächer rechnen sich»

Interview mit Erich Steiner, Geschäftsführer der Schweizerischen Fachvereinigung Gebäudebegrünung (SFG)

 

Abgesehen von den vielen Vorteilen: Rechnen sich die Dach- und Fassadenbegrünungen für die Liegenschaftsbesitzerinnen überhaupt?

Ja, das lohnt sich absolut. Verschiedene Kosten-Nutzen-Analysen zeigen, dass sich begrünte Dächer je nach Installationsdauer rechnen.

Was sind die wichtigsten Hebel?

Es sind vor allem direkte oder indirekte Kosteneinsparungen. So führt der Schutz der Dachhaut vor äusseren Einflüssen zu einer verlängerten Lebensdauer. Ich denke da an Temperatureinwirkungen und Einwirkungen durch Starkwinde, UV-Strahlung und Hagel. Die Wärmedämmung der Gebäude durch Dachbegrünungen sowohl im Winter als auch im Sommer – zur Kühlung der Gebäude – hat Energieeinsparungen zur Folge. Ein weiterer Punkt: Aufgrund der zunehmenden Starkniederschlag-sereignisse spielt die Wasserrückhaltung auf Gründächern eine zunehmend wichtige Rolle bei der Siedlungsentwässerung.

Das ist aber kein wirtschaftlicher Aspekt.

Doch, ist es. Denn die Entlastung der Entwässerung im Allgemeinen führt zu Einsparungen bei allfälligen Gebührenberechnungen. Regenrück–haltebecken, Leitungen und Rohre können zudem potenziell weniger gross dimensioniert werden.

 

INTERVIEW: MARC RÜEDI