Die Stadt Winterthur erwärmt sich: Im Jahr 2023 lag die Höchsttemperatur in Winterthur bei 37 Grad, und an 14 Tagen war es heisser als 30 Grad. Vor hundert Jahren habe es nur zweimal pro Jahr solche Hitzetage mit über 30 Grad im Durchschnitt gegeben, erklärt Marisa Kappeler-Schudel, Leiterin Smart City & Nachhaltigkeit im Amt für Stadtentwicklung der Stadt Winterthur. 

Das hat konkrete Folgen: Durch den Klimawandel nehmen Trockenheit, starker Regen und Stürme zu. Das Wetter richtet häufiger grosse Schäden an. Gemäss den Hitzekartenmodellen, mit denen man hier arbeitet, rechnet man für das Jahr 2050 mit 20 bis 50 Hitzetagen mit über 30 Grad pro Jahr. «Städte sind besonders betroffen von Hitzewellen im Sommer», so Kappeler-Schudel. «Strassen und Gebäude heizen sich stärker auf als Wälder, Wiesen und Seen.» In den urbanen Gebieten bilden sich dann Wärmeinseln. 

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Kühlung durch freie Flächen

«Entsprechend braucht es zusätzliche Massnahmen, um Gebäude zu kühlen, etwa durch thermische Netze – siehe das Projekt Coolcity in Zürich – oder durch Urban Greening», sagt Martina Rechsteiner, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und Geschäftsleiterin der Future City Alliance. 

«Um das Klimaziel ‹Netto-null 2040› zu erreichen und die notwendigen Anpassungen an den Klimawandel vorzunehmen, braucht es Massnahmen, die die Stadt Winterthur mit vereinten Kräften umsetzt», konkretisiert Christine Ziegler, Leiterin der Fachstelle Klima bei der Stadt Winterthur. «Dabei besteht ein Spannungsfeld zwischen Idealvorstellung und den verfügbaren Ressourcen. Unser Ziel ist, die Mittel so einzusetzen, dass eine möglichst grosse Wirkung erzielt wird.» Das Nichtstun koste jedoch viel mehr. «Das erste Halbjahr 2024 allein hat deutlich aufgezeigt, was klimabedingte Schäden an Kosten verursachen», so Ziegler. «Die Vorbeugung solcher Schäden ist enorm wichtig: Jetzt können wir Massnahmen ergreifen, um zukünftige Kosten zu vermeiden oder zu minimieren.» 

Die Stadt hat fünf Handlungsfelder eruiert, um sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen: Die Hitzebelastung in und um Gebäude soll reduziert werden, Frei- und Strassenräume sollen klimagerecht gestaltet werden, die Gesundheit der Menschen soll geschützt, die Bewirtschaftung von Grünflächen auf die veränderten Bedingungen ausgerichtet und die Stadt soll auf veränderte Naturgefahren vorbereitet werden. Die Bevölkerung macht mit – sie hat im Juni 2024 den Gegenvorschlag des Parlaments zur «Gute-Luft-Initiative» angenommen. 

Zu den geglückten Beispielen einer Anpassung zählt in Winterthur der Eulachpark: Hier sorgt eine grosse offene Rasenfläche dafür, dass nachts kühle Luft von den umliegenden Wäldern in die bewohnten Areale strömt. Bäume am Rand spenden tagsüber Schatten, und wer durstig ist, findet Trinkbrunnen. Auch gibt es einige Überbauungen, bei denen die Dächer begrünt und mit Solaranlagen ausgestattet sind. Ein interessantes Projekt ist das von Smart City Winterthur geförderte Citizen-Science-Projekt «Stadt-Thermometer»: Hier rüsteten Bewohnerinnen und Bewohner ihre privaten Aussenbereiche mit Messstationen aus, um die Temperaturen in den Sommermonaten zu erfassen.

 

Smart ist nicht gleich digital 

«Auch der Einsatz innovativer Strommessgeräte wie die von Clemap oder die smarten Thermostaten von Viboo sind ein Beispiel für intelligente Massnahmen zur Reduzierung und Optimierung des Energieverbrauchs», ergänzt Rechsteiner. «Bei der Begrünung der Innenstadt zählen unter anderem Barcelona mit vielen neu eröffneten Parks in den 1990er-Jahren und Mexiko-City mit dem Projekt Viaverde zu den Pionieren.»

«Smart» bedeute nicht zwangsläufig «digital», erklärt Rechsteiner. Häufig sollte zuerst eruiert werden, welche baulichen, smarten Lösungen möglich sind. «Dazu gehören zum Beispiel gut isolierte Gebäude, die Nutzung erneuerbarer Energien wie beispielsweise Wärmeverbünde mit Seewasser, das Rückhalten von Wasser im Rahmen der Schwammstadt-Vorgehensweisen oder die Wiederbegrünung versiegelter Strassen.» Des Weiteren könnten digitale Lösungen wie Strommess- und Stromsteuerungsgeräte, Apps zur Verfolgung der Stromerzeugung oder intelligente Beleuchtungssysteme, die den Energieverbrauch erheblich reduzieren, ohne die Funktionalität zu beeinträchtigen, einen wichtigen Beitrag leisten.

«Technologien sind nur Werkzeuge und Hilfsmittel, die richtig oder falsch oder gar nicht angewendet werden können oder gegebenenfalls zu entwickeln sind», sagt auch Benjamin Szemkus, Geschäftsleiter beim Verband Smart City Hub. «Die zentralen Herausforderungen sind und bleiben die Informationsvermittlung und die Verhaltensänderungen des Homo sapiens.»

 

Winterthur 2050: Weniger Ressourcen, mehr Kreislauf 

«Städte wie Winterthur werden sich zukünftig aus mehr Plusenergiequartieren zusammensetzen, in denen mehr erneuerbare Energie produziert als verbraucht wird», erwartet Vicente Carabias, stellvertretender Institutsleiter sowie Schwerpunktleiter Nachhaltige Energiesysteme und Smart Cities für die Zeit nach 2040 an der ZHAW. «Generell wird der Ressourcenverbrauch dank erhöhter Effizienz und Kreislaufwirtschaft weiter reduziert werden.» Mehr Null- oder eben auch Plusenergiebauten würden das Stadtbild prägen, mit integrierter Photovoltaik auf den Dächern und bei günstiger Exposition auch in den Fassaden. «Wir werden uns mit verschiedenen Verkehrsmitteln von A nach B bewegen und uns dank intelligenter Ticketsysteme nicht um Tickets kümmern müssen», so Carabias. «Mit den Smart-City-Ansätzen soll letztlich zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung beigetragen werden.»