Während Politik und Umweltlobby sich mit Vorschlägen zu einer klimaneutralen Zukunft gegenseitig zu überbieten versuchen, macht die Wirtschaft Nägel mit Köpfen. Einer der Ansatzpunkte sind Baumaterialien wie Beton und sein Bindemittel Zement, bei dessen emissionslastigen Herstellung das CO2 abgeschieden und in geeignetem Gestein gespeichert werden kann, oder der natürliche Baustoff Holz mit der CO2-Aufnahme im Wald und der langfristigen Speicherung in Holzgebäuden, welche zur CO2-Speicherung – im Fachjargon CCS (Carbon Capture and Storage) genannt – genutzt werden können.

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Die Planungsbranche spielt dabei eine Schlüsselrolle bei der durch den Klimawandel erforderlichen Transformation des Gebäude- und Infrastrukturparks. Entsprechend haben die Delegierten des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA) an ihrer Versammlung 2023 den Aktionsplan «Klima, Energie und Ressourcen» lanciert. Im Rahmen des Aktionsplans werden die Konsequenzen des 1,5-Grad-Ziels für die Schweiz und insbesondere für die Schweizer Baubranche konkretisiert. Der Verein entwickelt dazu unter anderem eine Methode zur Berechnung der CO2-Emissionen im Bau und zur Anrechnung negativer Emissionen weiter und legt sich darauf fest.

 

Schlüsselressourcen schonen

Bereits einen Schritt weiter ist die Schweizer Zementindustrie. Wie sie konkret zum Netto-null-Ziel bis 2050 beitragen will, hat sie in einer «Roadmap» beschrieben. «Auch eine nachhaltige Zukunft ist ohne Zement und Beton undenkbar», wie Stefan Vannoni, Direktor des Verbandes der Schweizerischen Zementindustrie, Cemsuisse, betont, «denn Beton spielt bei modernen Energiesparlösungen eine gewichtige Rolle, weil er durch seine grosse Masse hervorragend Energie speichert».

Ansatzpunkte sind Recyclingbeton sowie nachhaltige Bauweisen. Recyclingbeton etwa schont Schlüsselressourcen wie Kies und wertvolle Deponieräume und schliesst dadurch den Stoffkreislauf nachhaltig. Vannoni: «Beim Betonabbruch werden in der Schweiz hohe Recyclinganteile erreicht – Beton ist unbegrenzt rezyklierbar.»

Umweltbetrachtungen seien zudem immer aus einem breiten Blickwinkel heraus vorzunehmen: Kann ein Gebäude mit dauerhaften Baumaterialien beispielsweise umgenutzt werden, so lassen sich dadurch Bauabfälle und Deponiematerial vermeiden. Es gelte also, bei der ökologischen Beurteilung immer auch die Lebensdauer eines Gebäudes beziehungsweise alle Effekte über den Lebenszyklus zu berücksichtigen, betont der Cemsuisse-Direktor.

Zentral sind dabei attraktive wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen. Für die Zementindustrie ist der Zugang zu Primärrohstoffen sowie zu ausreichend alternativen Brennstoffen elementar. Ein weiterer, zentraler Baustein in Richtung Netto-null ist die Umsetzung und Skalierung von Technologien im Bereich CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS, Carbon Capture and Storage, respektive CCU, Carbon Capture and Utilization). «Dafür braucht es aber politische und regulatorische Rahmenbedingungen, welche die nötige Planungs- und Investitionssicherheit für solche Projekte sicherstellen», fordert Stefan Vannoni. Alle beteiligten Akteure in der gesamten Wertschöpfungskette müssen dazu an einem Strick ziehen – und in die gleiche Richtung. Ohne langfristige Planungs- und Investitionssicherheit lassen sich Projekte in dreistelliger Millionenhöhe nicht umsetzen.

 

Dauerhafte Speicherung

In die gleiche Richtung denkt Valentin Gutknecht, Mitgründer und Co-CEO der Berner Neustark AG, einem Anbieter im schnell wachsenden Bereich von Carbon Dioxide Removal (CDR), der eine Lösung zur dauerhaften Speicherung von biogenem CO2 in recycelten mineralischen Abfällen wie Abbruchbeton entwickelt hat. Konkret sieht das Konzept so aus: Am Ende ihres Lebenszyklus werden Gebäude abgerissen, und der Abbruchbeton wird von einem Recycler transportiert, weiter gebrochen und gesiebt. Neustark fängt das CO2 bei Biogasanlagen ein und verflüssigt es, um es danach zu einem Baustoffrecycler zu transportieren. Mit der Technologie von Neustark wird Abbruchbetongranulat mit CO2 angereichert. Ein Mineralisierungsprozess wird ausgelöst, der das CO2 innerhalb von wenigen Stunden in Kalkstein umwandelt.

Der Recycler kann das mit CO2 angereicherte Betongranulat nach dem üblichen Verfahren weiterverwenden, um Recyclingbeton oder andere Materialien für den Gebäude- oder Strassenbau herzustellen. Die Neustark AG arbeitet zudem mit Unternehmen mit «ehrgeizigen Klimazielen» zusammen, welche die CDR-Zertifikate erwerben. Valentin Gutknecht: «Sie erreichen Netto-null, indem sie schwer vermeidbare Emissionen entfernen.»

 

Negativemissionen produzieren

Mit Zertifizierung beschäftigt sich auch die Zürcher Timber Finance. «Wir bilden weltweit die CO2-Speicherung in Holzgebäuden ab und monetarisieren diese, sowohl über Timber-Carbon-Removal-Zertifikate als auch mit auf die CO2-Speicherung in Holz fokussierten Finanzprodukten im Asset- und Portfoliomanagement», beschreibt Thomas Fedrizzi, Co-Founder und Managing Partner von Timber Finance das Geschäftsmodell.

Fedrizzi hält fest, dass die im Rahmen der Dekarbonisierung des Gebäudesektors weltweit vor einem Boom stehende Holzbaubranche die einzige börsenkotierte Industrie sei, die mit ihren Produkten sogenannte Negativemissionen produziere – also Produkte, dank denen das CO2 für mehr als hundert Jahre eingebunden werden kann. Das ist für Investoren interessant, die ihre Portfolios dekarbonisieren müssen.

 

Lowtech statt Hightech

Einen anderen Ansatz verfolgt Martin Ménard vom Zürcher Low-Tech Lab: «Wir verfolgen einen Ansatz, der es uns erlaubt, mit möglichst einfachen Mitteln ein System, in unserem Fall die Klimabilanz von Gebäuden, zu verbessern.» Durch die Vermeidung von Überflüssigem (etwa weniger Flächenbedarf pro Person, weniger technische Anlagen), die Reduktion auf das Wesentliche (keine unnötigen Sicherheitszuschläge) und den Einbezug der Nutzenden (wie manuelle Fensterlüftung, Sonnenschutz) ermögliche Lowtech die Erreichung des Netto-null-Ziels mit einem geringeren Material- und Kapitaleinsatz.

Ein konkretes Beispiel: Ein bestehendes Mehrfamilienhaus mit Baujahr vor 1980 könne mit Lowtech typischerweise für rund 300 Franken pro Quadratmeter Geschossfläche für die Klimawende fit gemacht werden. Eine «klassische» Hightech-Gesamterneuerung koste rund 1500 Franken pro Quadratmeter und verursache über die ganze Lebensdauer hinweg zudem höhere Treibhausgasemissionen, sofern man auch die Emissionen der für den Umbau benötigten Materialien berücksichtige. Für Martin Ménard ist deshalb klar: «Lowtech ermöglicht eine beschleunigte Dekarbonisierung des Gebäudebestands und ist gleichzeitig sozialverträglicher als die landläufig propagierte Gesamterneuerung oder der Ersatzneubau von bestehenden Gebäuden.»