Carbo Culture ist so etwas wie das finnische Äquivalent zum Schweizer Startup Climeworks – ein sehr erfolgversprechendes Jungunternehmen im Klimabereich. Während das Spin-off der ETH Zürich mit einer eigens entwickelten Absaugetechnik Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre entfernt, setzt die Firma aus Helsinki auf ein uraltes, von indigenen Völkern im Amazonasgebiet angewendetes Verfahren, um der Umluft CO2 zu entziehen.
Das Verfahren geht so: Wird pflanzliche Biomasse auf eine bestimmte Art und Weise erhitzt, verwandelt sie sich in Biocarbon – eine stabile Form von Kohlenstoff, die Emissionen speichern kann und diese aus der Atmosphäre entfernt. Die wohl bekannteste Version ist Holzkohle. Aber die ökologischere Variante ist Biokohle – und auf diese baut das 2018 von Henrietta Moon und Chris Carstens gegründete finnische Startup Carbo Culture, indem es Biokohlenanlagen entwickelt und baut.
Eine Prise Ideologie ist nötig
Carbo Culture ist damit Teil einer schnell wachsenden Branche, die technologische Antworten auf den Klimawandel finden will. Ihr finanzieller Antrieb: Um die eigenen Netto-null-Ziele zu erreichen, dürsten Unternehmen und Grosskonzerne nach CO2-Zertifikaten, die von Firmen wie Carbo Culture ausgegeben werden. Entsprechend müsse sich die Branche schnell weiterentwickeln – «auf eine gerechte und soziale Art und Weise», wie es Charlotta Liukas, Head of Operations bei Carbo Culture, ausdrückt. Die in Zürich lebende Finnin trat am Annual Meeting von Lucerne Dialogue auf, sozusagen als Vertreterin der Cleantech-Branche.
Die noch ziemlich junge Branche ist geprägt von vielen Startups, die Dynamik in den Markt bringen, angetrieben von einer Prise Ideologie – was die «Repräsentantin» Liukas auch befürwortet: «In der Energiebranche braucht es ideologisch getriebene Personen, die einen anderen Weg als die Öl- und Gaskonzerne aufzeigen.» Ihre Überzeugungen leitet die Finnin aus einem Verantwortungsgefühl heraus ab: «Der globale Norden ist hauptverantwortlich für den Klimawandel, darum müssen auch wir Lösungen finden. Und gleichzeitig muss der Süden die Möglichkeit haben, weiter zu wachsen.»
Reagiert die EU auf das Klimapaket der USA?
Gerade weil die Cleantech-Branche so dynamisch und dadurch auch risikoreich sei, hätten es die Startups schwer, die Finanzierung zu bewerkstelligen, wie Liukas betont: «Viele Technologien zur Reduktion von Treibhausgasemissionen befinden sich noch in frühen Entwicklungsstadien – darum sind viele etablierte Grossfirmen nicht bereit, darin zu investieren. Es braucht deshalb mehr Fördergelder und Regulation seitens der Staaten.»
Klar ist: Die grüne Transformation wird massgeblich durch die Politik getrieben. Doch in den meisten Ländern fehlen umgreifende Fördermassnahmen und Regularien. Die Schweiz gehört innerhalb Europas zu den Schlusslichtern: Der rechtliche Rahmen für die erneuerbaren Energien gilt als zu eng, die Fördertöpfe als zu klein und zu unübersichtlich.
Viel weiter sind etwa die USA. Joe Bidens Regierung hat mit dem Inflation Reduction Act (IRA) Tatsachen geschaffen. Das darin enthaltene Klimapaket von 369 Milliarden Dollar soll mit grosszügigen Subventionen auch Unternehmen aus dem Ausland anlocken.
Die hinterherhinkende Europäische Union sieht im Vorgehen aus Washington eine protektionistische Massnahme – was die EU aber wiederum zu einer Reaktion zwingen könnte, wie Liukas glaubt, zum Vorteil von Firmen im Klimamarkt. «Wir erwarten von der EU ein Klimapaket, wie es die USA mit dem IRA auf den Weg gebracht haben.»
Charlotta Liukas ist Head of Operations bei Carbo Culture. Die Finnin gilt als erfahrene Führungspersönlichkeit in der Unternehmensorganisation mit mehr als einem Jahrzehnt Erfahrung in der Skalierung von Tech-Startups. Sie hat auch im internationalen Entwicklungssektor gearbeitet, wo sie Innovationsprojekte für die UN und die Gates Foundation durchgeführt hat.
Die in Zürich lebende Liukas hat einen Master of Sciences in Management von der Aalto-Universität, Finnland, und ist Absolventin des IIT Kanpur, Indien, und der Yonsei-Universität, Südkorea.
Neue Testanlage bei Helsinki dank EU-Geldern
Dass aus der EU jedoch schon jetzt Gelder in klimafreundliche Projekte fliessen, dafür ist Carbo Culture ein Beispiel. Der Europäische Innovationsrat hat mit 2,2 Millionen Euro eine Biokohlenfabrik, die als finale Testanlage dem kommerziellen Markteintritt dient, mitfinanziert. Die etwas ausserhalb von Helsinki gelegene Anlage ist seit letztem August in Betrieb und soll laut Angaben von Carbo Culture 3000 Tonnen CO2 pro Jahr aus der Atmosphäre entfernen. Das entspricht den Emissionen von rund 1500 mit Benzin fahrenden Autos.
Noch ist das nicht eine riesige Menge. Trotzdem ist die Carbo-Culture-Fabrik eine der grössten Europas. Zudem entwickelt das Startup anhand der gewonnenen Erkenntnisse aus dem Testbetrieb Anlagen mit grösseren Kapazitäten. Bis 2026 sollen mehrere Fabriken in Betrieb sein. Und als Vision strebt Carbo Culture an, der Atmosphäre eine Milliarde Tonnen CO2 entziehen zu können.
Neben Carbo Culture existiert eine ganze Reihe anderer Unternehmen, die an der Biokohlentechnologie zur Emissionsspeicherung tüfteln. Allein in Europa sollen bis Ende Jahr rund 180 Biokohlenanlagen in Betrieb sein. Das liegt unter anderem am vielversprechenden Herstellungsverfahren von Biokohle. Dabei kommt nämlich ein physiologischer Prozess zum Einsatz, der sehr energieschonend ist: die Fotosynthese. «Wir sind davon überzeugt, dass die Fotosynthese die schnellste Möglichkeit ist, um der Atmosphäre CO2 zu entziehen», so Liukas.
Klimapessimismus bedroht Cleantech-Branche
Trotz diesen positiven Perspektiven: Die aktuelle Wirtschaftslage mit hohen Zinsen und Rezessionsängsten macht der Cleantech-Branche zu schaffen. Grüne Firmen leiden unter einem aufkommenden Klimapessimismus – global und auch hierzulande. Fast alle kotierten Schweizer Unternehmen im Klimabereich kämpfen mit Kursverlusten.
Doch Liukas ist überzeugt, dass der Wind wieder drehen wird: «Dass die Firmen im Markt für Klimakompensation unter der aktuellen Wirtschaftslage leiden, ist ein vorübergehendes Phänomen. Der Markt wird sich wieder erholen.» Darum schaut sie auch optimistisch in die Zukunft: «Die zukünftigen Jobs im Energiesektor werden von den nachhaltigen Unternehmen und Startups kommen.»