Mit erstklassigen Werken aus sieben Jahrhunderten blickt die Kunsthalle Tübingen auf die rund achtzig Jahre dauernde Tätigkeit der in Zürich ansässigen Kunsthändler Fritz Nathan (1895-1972) und seines Sohnes Peter Nathan (1925-2001) zurück. Damit hat die Kunsthalle ein Projekt verwirklicht, das Peter Nathan noch zu Lebzeiten ins Auge gefasst hatte.

Präsentiert wird ein hochkarätiges Ensemble mit beinahe zweihundert Meisterwerken aus öffentlichen und privaten Sammlungen, die einst durch die Hände von Fritz und Peter Nathan gingen. Angefangen bei einer sakralen Darstellung von Bernardo Daddi aus dem 14. Jh. reicht die Spanne über Künstler des Barock (Peter Paul Rubens, Claude Lorrain), des 18. Jhs. (Bernardo Bellotto, Giovanni Battista und Giandomenico Tiepolo) und der Romantik (Caspar David Friedrich) bis hin zu impressionistischen Landschaftsbildern (Edouard Manet, Claude Monet, Auguste Renoir und Alfred Sisley) und der Abstraktion im 20. Jh. (Nicolas de Staël).

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Auswirkungen auf die Kunstgeschichte

Von 1922 bis 2001 nahmen Fritz und Peter Nathan aktiv am Kunstgeschehen teil. In diesen acht Jahrzehnten vermittelten sie mehrere tausend Werke. Sie berieten bedeutende Sammler wie Oskar Reinhart in Winterthur oder Emil Georg Bührle in Zürich und wirkten massgeblich am Ausbau von Museumsbeständen in Europa und Übersee mit.

Die Tätigkeit von Kunsthändlern wurde in den letzten Jahren zwar vermehrt in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt, doch ist das Ausmass ihres Beitrags zur Kunstgeschichte immer noch kaum überschaubar, wie Götz Adriani, der Direktor der Kunsthalle Tübingen, im Katalogvorwort schreibt. Sicher ist jedoch, dass etwa die Rezeption des Werkes von Paul Cézanne ohne den Pariser Galeristen Ambroise Vollard völlig anders verlaufen wäre, um nur ein Beispiel zu nennen.

Vereinzelt sind Kunsthandlungen bereits Gegenstand von Publikationen, andere werden anhand von Forschungsprojekten derzeit näher untersucht. Eine Rückschau im Rahmen einer Ausstellung, wie sie jetzt erfolgt, lässt jedoch eine wesentliche Schärfung der Perspektive zu, weil anhand der Gruppierung ausgewählter Originale einerseits ein neuer Blick auf die Schwerpunkte der Tätigkeit möglich ist, andererseits aber auch auf die Auswirkungen historischer Umwälzungen.

Den Schwerpunkt der Ausstellung bildet die französische und deutsche Kunst des 19. und des frühen 20. Jhs. Besonders gut vertreten sind hier Eugène Delacroix und Théodore Géricault, weitere Höhepunkte bilden Gemälde und Studien von Camille Corot, Honoré Daumier und Gustave Courbet, sowie Werkgruppen von Adolph Menzel, Pierre Bonnard, Juan Gris und Fernand Léger.

Eines der prominentesten Gemälde der deutschen Romantik ist der «Kreidefelsen auf Rügen», um 1818/19 von Caspar David Friedrich gemalt. Fritz Nathan vermittelte es bereits 1930 an Oskar Reinhart, wie er auch die übrigen vier Gemälde Friedrichs sowie zwei seiner schönsten Aquarelle an Reinhart vermittelte. Insgesamt ist mehr als ein Dutzend Werke dieses Künstlers durch seine Hände gegangen dies zu einer Zeit, als die deutsche Romantik ein noch recht vernachlässigtes Gebiet darstellte und nur wenigen Kennern ein Begriff war.

Der Kunsthandel als Berufung und Verpflichtung

Ausgehend von der Kunst des 19. Jhs. weitete sich die Tätigkeit von Fritz und Peter Nathan später auf die klassische Moderne, die alten Meister und die Kunst der Nachkriegszeit in Frankreich aus. Selbst wenn man sich heute kaum mehr vorstellen kann, dass sich ein Händler einst für Künstler wie Picasso oder Cézanne einsetzen musste, so war das im ersten Viertel des 20. Jhs. ebenso nötig wie der Einsatz für Künstler wie Bonnard, Kandinsky, Ernst oder Miro in der Zwischenkriegszeit.

Peter Nathan schrieb 1985 über den Kunsthandel als Berufung und Verpflichtung: «Der echte Kunsthändler ist ein Besessener, früh und spät leidenschaftlich auf der Jagd, und wenn er einmal eine Niederlage einstecken muss, sei es, weil er zuviel riskiert hat, so zieht er daraus die Lehre und wird es das nächste Mal besser machen.»

Anlässlich der Ausstellung ist bei Hatje Cantz ein prachtvoller, über 300 Seiten starker Katalog erschienen. Dort sind als Begleitabbildungen auch jene Werke zu sehen, die als Leihgaben für die Ausstellung nicht in Frage kamen, da sie aus konservatorischen Gründen mit einem Reiseverbot belegt sind.

Kunsthalle Tübingen; bis 8. Januar 2006.