Er gilt als der Schweizerische Nobelpreis – der mit 100000 Fr. dotierte Marcel-Benoist-Preis. Dieses Jahr geht er an den in Zürich lehrenden Ökonomen Ernst Fehr (siehe Interview links) – zum ersten Mal an einen Vertreter der Wirtschaftswissenschaften. Bisher haben ihn vor allem Naturwissenschafter erhalten. Viele von ihnen wurden später mit dem echten Nobelpreis ausgezeichnet.

Gut möglich, dass diese Ehrung dereinst auch Ernst Fehr zuteil wird. Er gehört zu den führenden Vertretern (siehe Artikel rechts) einer jungen Bewegung unter Ökonomen, die sich genauer mit menschlichem Entscheidungsverhalten befassen und sogar die Hirnforschung miteinbeziehen.

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Innerhalb der ökonomischen Wissenschaft kommt das einer Revolution gleich. Die Ergebnisse dieser neuen Forschung haben entscheidende Konsequenzen für die Wirtschaftspolitik, aber auch für die Führung einzelner Unternehmen.

Bisher gingen die Wirtschaftswissenschaften von einem vereinfachten Menschenbild aus – dem sogenannten Homo oeconomi-cus. Dieser strebt im Rahmen seines vorhandenen Wissens und seiner finanziellen Mittel nach einer Maximierung seines Nutzens, welcher meist in materiellem Reichtum bzw. in Geld gemessen wird. Das steht oft nicht im Widerspruch zum Wirtschaftsalltag, wo Beschäftigte an einem hohen Lohn und Unternehmen an einer Gewinnmaximierung interessiert sind. Die wichtigste Folgerung des Modells geht auf den Moralphilosophen und Begründer der modernen Ökonomie, Adam Smith (1723 bis 1790), zurück. Ihm gemäss kann diese Eigennutzorientierung unter einer Reihe von Bedingungen (die in Debatten meist unbeachtet bleiben) zum maximalen Wohlstand für alle führen.

Die Ökonomen waren sich durchaus bewusst, dass dieses Menschenbild die Realität verkürzt erfasst. Doch sie hielten es für gut genug, um die Vorgänge in der Wirtschaft zu verstehen. Irrationales Verhalten von Einzelnen sollte sich auf den Märkten zudem neutralisieren: Kauft beispielsweise jemand zu seinem Nachteil Aktien zu höheren als Marktpreisen, würden andere daraus Profit schlagen, der Kurs der Titel bliebe letztlich unbeeinflusst.

Tatsächlich aber blieben viele Vorgänge in der Wirtschaft mit den vereinfachenden Annahmen des Homo oeconomicus schlecht bis gar nicht erklärbar. Allein auf Kapitalmärkten zeigte sich, dass Anleger zuweilen systematisch gegen ihren eigenen Nutzen handeln, was auch auf der Ebene der Gesamtmärkte nicht neutralisiert wird – etwa in Phasen von unrealistischen Kurssteigerungen ganzer Märkte, die dann in dramatischen Abstürzen münden. Die geplatzte Immobilienblase in den USA ist ein Beispiel dafür. «Behavioural Finance» wird der Zweig der verhaltensorientierten Ökonomie genannt, der sich mit dem Verhalten an den Börsen befasst. Diese Forschung erklärt die dortigen Vorgänge oft besser als hergebrachte Theorien.

Unternehmen besser verstehen

Auch das Verhalten von Unternehmen lässt sich mit materiellen Anreizen allein schlecht erklären. Reputation, Fairness und Normen zählen für Kunden, Lieferanten und Beschäftigte ebenso sehr wie Preise und Löhne und beeinflussen diese auch: Ein Unternehmen mit guter Reputation wird gute Beschäftigte auch ohne exorbitante Löhne gewinnen und besser halten können; Kunden werden höhere Preise akzeptieren als bei einem Unternehmen, das sie als unfair wahrnehmen.

Hier setzt die Forschung von Ernst Fehr ein. Er untersucht zum Beispiel, wann Fairness eine Rolle spielt, was als fair erachtet wird und vor allem, wie Leute reagieren, wenn sie etwas als unfair empfinden.

Wirtschaftsfaktor Fairness

Fehr und seine Mitarbeiter erforschen dies etwa an Experimenten mit dem sogenannten «Ultimatumspiel» (siehe Kasten unten links). Dabei zeigt sich: Menschen nehmen erhebliche Kosten auf sich, um andere zu bestrafen, von denen sie sich ungerecht behandelt fühlen. Dieses Ergebnis zeigt sich in unterschiedlichen Kulturen. Zu einer Maximierung des eigenen Nutzens steht dieses Verhalten im krassen Widerspruch.

Fehr geht noch einen Schritt weiter und untersucht auch, was bei ökonomischen Entscheidungssituationen im Hirn geschieht. Das von ihm mitbegründete Forschungsgebiet wird «Neuroökonomie» genannt. Auch hier bestätigt sich, dass das Bestrafen anderer, von denen man sich unfair behandelt fühlt, jene Hirnregionen aktiviert, die für Glücksgefühle zuständig sind. Die Volksweisheit, dass Rache süss ist, bestätigt sich in der Hirnforschung.

Eine Konsequenz aus der Forschung betrifft die Lohnsetzung in Unternehmen: Zu starke Lohnunterschiede innerhalb eines Unternehmens oder Teams können dazu führen, dass jene sich schädlich zu verhalten beginnen, die sich benachteiligt fühlen. Nachteile wie Lohnkürzungen oder eine Entlassung werden sie nicht davon abschrecken. Die Fairnessforschung erklärt wichtige Phänomene in Unternehmen weit besser als die herkömmliche Ansicht der Ökonomen, nach der für Beschäftigte einzig der Lohn zählt und dieser nur eine entsprechende Leistung entschädigt: Zum Beispiel dass in Teams und Abteilungen das Lohngefüge relativ flach ist, dass über Löhne nicht offen gesprochen wird und dass Unternehmen eher Leute entlassen als die Löhne zu senken.

Mit ihrem Fokus auf Normen des Umgangs hat die neue Forschung auch Konsequenzen für die Makroökonomie bzw. die Möglichkeit, mit Geld- oder Fiskalpolitik die Konjunktur zu beeinflussen. Seit den 1970er Jahren haben unter Ökonomen lange Theorien dominiert, die staatliche Einflussnahmen für wirkungslos hielten: Sie fussen alle auf dem Modell des Homo oeconomicus. Die neuen Einsichten der Wirtschaftswissenschafter stellen nun ihrerseits diese Modelle in Frage und liefern neue Argumente für die Notwendigkeit von Eingriffen in die Märkte – zum Beispiel in einer Krise.