2002 war für Siegfried ein Rekordjahr, 2003 folgt eine Negativmeldung nach der andern. Seit wann ist Chemie ein so sprunghaftes Geschäft?

Douglas Günthardt: Nicht nur im vergangenen Jahr, auch in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres haben wir Rekordwerte erzielt.

Trotzdem bauen Sie in Zofingen knapp 100 Stellen ab. Das ist doch ein Widerspruch.

Günthardt: Tatsächlich befinden wir uns in einem Übergangsjahr. Zwei unserer Produkte verlieren den Patentschutz. Dazu kommt die zeitliche Verzögerung bei einem weiteren Produkt um 12 bis 18 Monate. Und schliesslich hat ein Kunde von uns seine Lagerhaltungspolitik geändert, mit negativen Konsequenzen für Siegfried.

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Diese Kumulation kann ja wohl kein Zufall sein.

Günthardt: Doch, das ist so. Deshalb ist die momentane Situation schwierig und deshalb haben wir rasch gehandelt. Die Dynamik des Geschäfts und die Überkapazitäten zwingen uns dazu.

Inwiefern drückt die nach wie vor schwache Konjunktur auf den Geschäftsgang von Siegfried?

Günthardt: Der schwache Dollar bremst natürlich unser Wachstum. Aber insgesamt ist der Pharmabereich weniger von der Konjunktur abhängig, sondern vielmehr von den Pipelines der Unternehmen.

Sie haben in den letzten drei Jahren in Zofingen 200 Mio Fr. investiert und 280 Stellen geschaffen. Und jetzt bauen Sie bereits wieder einen Drittel ab. Wie sollen das die Leute nachvollziehen?

Günthardt: Sehen Sie, das gesamte Umfeld in unserer Branche ist anspruchsvoller geworden. Da wäre es fahrlässig, Überkapazitäten aufrechtzuerhalten. Wir können heute nicht garantieren, dass in 18 Monaten die Auslastung automatisch wieder besser ist. Insofern wurde das Geschäft tatsächlich kurzlebiger.

Wie hoch liegt die Auslastung bei Siegfried?

Günthardt: Im Moment liegt sie bei rund 70% hier in Zofingen für den Bereich Chemie. Ohne Abbau würde die Auslastung im ersten Halbjahr 2004 auf 50% sinken.

Genügen die ergriffenen Massnahmen?

Günthardt: Ja, unter den heutigen Gegebenheiten genügen sie. Wir planen keinen weiteren Abbau. Aber wissen Sie, das Pharmageschäft ist immer mit Risiken verbunden. Schauen Sie Pfizer an. Die haben ein Produkt, Lipitor, das 20 bis 25% Umsatz des Unternehmens bestreitet. Fällt der Patentschutz weg, müssen sie die Lücke stopfen.

Das Gleiche müssen Sie nun tun, wenn bei Siegfried zwei Produkte wegfallen.

Günthardt: Ja, das stimmt, wir sind daran. Aber es liegt ausserhalb unserer Kontrolle, ob ein neues Produkt auf den Markt kommt oder nicht. Dies gehört zu den Risiken.

Das heisst, Siegfried hängt stark von Pharmaunternehmen ab.

Günthardt: Ja, das ist so. Für die Pharmafirmen macht es umgekehrt Sinn, die Produktion ihrer Wirkstoffe auszulagern, weil sie dann ihre Mittel eher in den Bereichen Forschung und Vertrieb einsetzen können. In diesen Bereichen ist die Wertschöpfung höher als in der chemischen Produktion. Von diesem Outsourcing leben wir.

Auf die Exklusivsynthese haben in der Vergangenheit viele andere Unternehmen wie Lonza oder Clariant auch gesetzt. Heute beklagen alle Überkapazitäten.

Günthardt: Alle redeten davon, dass in der Feinchemie das Outsourcing für die Pharmaindustrie sehr attraktiv sei. Folglich drängten viele neue Anbieter in diesen Markt. Das Aufkommen der Generikafirmen und die geringere Anzahl neuer Produkte führten dann aber dazu, dass Pharmaunternehmen zusehends Mühe bekundeten, ihre Kapazitäten zu decken. Also begannen sie wieder einzusourcen. Heute werden Kapazitäten abgebaut. Dieser Konsolidierungsprozess in der Feinchemie ist immer noch in Gang.

Was unternehmen Sie dagegen?

Günthardt: Wir haben ja noch andere Standbeine, etwa die Entwicklung und Herstellung von Generika und die Biotechnologie.

Können Sie den gleichen Wirkstoff für einen Originalhersteller und für einen Generikahersteller produzieren?

Günthardt: Im Prinzip ja. Jedoch nur, wenn der Originalhersteller einwilligt, bei ihm liegen ja die geistigen Eigentumsrechte. Darum ist es in der Realität praktisch ausgeschlossen, denselben Wirkstoff an verschiedene Konkurrenten zu liefern.

Welche Bedeutung hat das Biotech-Geschäft für Siegfried?

Günthardt: Wir sind seit fünf Jahren in der Biotechnologie tätig. Im Vordergrund stand die Entwicklung von Technologiepaketen über eine virtuelle Struktur. Wir kamen zu der Einschätzung, dass das virtuelle Modell schwer wiegende Nachteile in der Fortführung der Projekte besitzt. Darum haben wir Anfang 2003 die Alpha Bioverfahrenstechnik mehrheitlich übernommen. Hier werden wir bereits in diesem Jahr Breakeven erreichen. Der Umsatz liegt bei 5 Mio Euro.

Schreibt das frühere Sorgenkind von Siegfried, das Werk in Pennsville, dieses Jahr schwarze Zahlen?

Günthardt: Ja, dies war bereits im ersten Halbjahr der Fall.

Fünf Produkte bestreiten 50% Ihres Umsatzes. Nun bricht eines weg. Ist dieses Klumpenrisiko nicht gefährlich für ein kleines Unternehmen wie Siegfried?

Günthardt: Der Anteil am Umsatz mag hoch sein. Aber die durchschnittliche Dauer, während der wir diese Produkte herstellen, beträgt fünf Jahre. Insofern ist das Risiko einigermassen kalkulierbar.

Wann schafft Siegfried die 400-Mio-Grenze? Letztes Jahr lag der Umsatz bei 399 Mio Fr.

Günthardt: Dieses Jahr werden wir es nicht schaffen. Und wann es soweit ist, kann ich heute nicht sagen. Wichtiger als der Umsatz ist für mich ohnehin die Profitabilität. In der 130-jährigen Geschichte von Siegfried war 2002 das absolute Rekordjahr. Auch wenn wir jetzt eine anspruchsvolle Phase durchlaufen, wird 2003 bezüglich Rentabilität zu den fünf besten Jahrgängen gehören. Und spätestens 2005/2006 werden wir wieder wachsen.

Ist Siegfried allein gross genug?

Günthardt: Unsere Unabhängigkeit hat gewisse Vorteile. Gerade gegenüber unseren Kunden spüren wir dies immer wieder. Stabilität und Kontinuität bei den Besitzverhältnissen, im Verwaltungsrat und beim Management sind von grosser Bedeutung. Wir sind fokussiert auf das Pharmageschäft und sind nicht ein Puzzlestein eines globalen Pharmakonglomerates.

Bernard Siegfried hat seit einem halben Jahr im Unternehmen nicht mehr das Sagen. Was ändert sich?

Günthardt: Als Vertreter der Gründerfamilie und der Camellia-Gruppe, dem grössten Aktionär im Verwaltungsrat, hat Bernard Siegfried nach wie vor eine starke Stellung innerhalb unserer Firma. In den letzten 6 Monaten erfolgte ein sanfter Übergang des VR-Präsidiums von ihm auf Markus Altwegg. Seine Erfahrung im Pharmageschäft ist für uns von grossem Nutzen.

Zeichnen sich bei den Grossaktionären, insbesondere der Camellia-Gruppe mit ihren 33,35%, Veränderungen ab?

Günthardt: Der Aktionärspoolvertrag zwischen der Familie Siegfried und Camellia ist langfristig ausgerichtet. Neu hat Tweedy, Browne 6,3% der Aktien erworben, gehört aber nicht zum Pool.

Der Free Float von 52% und die Stimmrechtsbeschränkungen von 3% machen Ihre Aktien wenig interessant an der Börse.

Günthardt: In den letzten Jahren war es vielleicht nicht so schlecht, uninteressant zu sein ... Doch Spass beiseite: Unsere Besitzverhältnisse haben nichts mit Aktionärsfeindlichkeit zu tun, es ist eher eine Voraussetzung für den Erfolg unseres Geschäfts. Mit dem Aktiensplit, der Nennwertrückzahlung und der markanten Erhöhung der Dividende haben wir gezeigt, dass wir uns aktiv um die Aktionäre kümmern.

Von Ihnen als Amerikaner hätte ich erwartet, dass Sie die Erwartungen in die Höhe schrauben.

Günthardt: Ich bin Doppelbürger: Schweizer und Amerikaner, und lebe gerne in der Schweiz. Ich schätze das Konservative und das langfristige Denken der Schweizer.

Der Schweizer Standort steht für Siegfried also ausser Frage?

Günthardt: Ja, Zofingen stellen wir überhaupt nicht in Frage. Wir haben hier ein ausgezeichnetes Geschäftsumfeld und profitieren vom Pharmagrossraum Basel, wo wir die nötigen Spezialisten finden.

Warum verkaufen Sie nicht Ihre Medizinaltee-Sparte Sidroga? Es gibt keine Synergien zur Chemie.

Günthardt: Nein, Synergien gibt es keine. Aber es geht um historisch gewachsene Strukturen. Siegfried ist erst seit drei Jahren aufs Pharmazulieferer-Geschäft fokussiert. Zuvor waren wir eine Finanzholding, die in verschiedensten Bereichen tätig war. Der Bereich Siegfried steuert heute 92% zum Gruppenumsatz bei, Sidroga macht 8% aus. Nach der Auslagerung der Produktion erzielen wir bei Sidroga mit 50 Leuten über 30 Mio Fr. Umsatz.

Was bleibt unter dem Strich?

Günthardt: Finanziell ist Sidroga im Moment nicht attraktiv, weil wir den generierten Cash in die Weiterentwicklung investieren. So lancierten wir neue Lifestyle-Teeprodukte wie «High Energy» oder «Perfect Harmony». Neue Produkte wird es auch bei den Phytopharmaka, also Heilmitteln auf pflanzlicher Basis, geben. In den nächsten Wochen lancieren wir in Deutschland Passiflor, ein Beruhigungsmittel auf natürlicher Basis. In diesem Indikationsgebiet steckt ein Potenzial.

Indem Sie die Sidroga-Sparte mit den eigenen Mitteln stärken, machen Sie doch die Braut schön für den Verkauf.

Günthardt: Wissen Sie, eine schöne Braut kann man auch behalten. Bernard Siegfried hat sein persönliches Engagement in die Marke Sidroga gesteckt. Und die Leute in der Schweiz kennen möglicherweise Siegfried nicht, dafür aber die Sidroga-Produkte.

Und wie ist der Versuch herausgekommen, mit Sidroga ins Teeland England vorzustossen?

Günthardt: Wir sind zum Schluss gekommen, dass es keinen Sinn macht, in England Fuss fassen zu wollen. Die Testphase mit den Apotheken haben wir abgebrochen.

Steckbrief:

Name: Douglas C. Günthardt

Funktion: CEO von Siegfried

Alter: 44

Wohnort: Zofingen

Familie: Verheiratet, drei Söhne

Ausbildung: Angewandte Mathematik Harvard; MBA Stanford

Karriere

1984 - 1988 Hewlett-Packard Schweiz Treasurer

1988 - 1994 Compaq Computer Schweiz CFO

1994 - 1996 Haemonetics CFO

1996 - 2001 Siegfried CFO

seit 2001 Siegfried CEO

Siegfried Letzter Kurs: Fr. 149.50

Fazit: Kurzfristig könnte der Abwärtstrend bei Siegfried andauern. Die Überkapazitäten im Feinchemiegeschäft machen sich bei den Zofingern bemerkbar. Zudem drücken abgelaufene Produkte die Umsätze. Aufwärts gehts frühestens 2005.

(in Mio Fr.) 2002 2001 %

Ebit 75 44 70

Ebitmarge (in %) 19 12 58

Dividende (in Fr.) 5. 2. 150

Beschäftigte 1019 1010 1