Sehen kann man ihn nicht oft. Aber von weitem hören, wenn man ihm denn einmal begegnet. Zwölf Zylinder sind selten geworden, und diese hier tönen famos! Erst danach folgt die optische Sensation, und sie lässt kaum jemanden kalt: Dieser Zweitürer ist ein Muscle Car, der nur auf den ersten Blick glattflächig aussieht. Wenn Licht über die vielen Kanten, Sicken, Fugen, Gitter und Klappen tanzt, ergibt das interessante Reflexe, wirkt die mobile Skulptur beinahe lebendig.

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Der F12 Berlinetta – sein nomineller Zusatz benennt bei Ferrari ein Coupé – ist (nach dem bereits ausverkauften Strassenrennwagen «La Ferrari») das Topmodell des italienischen Traumautoherstellers. Damit steht er in der Ahnenreihe jener klassischen Gran Turismo mit Frontmotor, die es bei den Roten schon während der späten 1940er Jahren gegeben hat. Neben den Vorfahren 166, 250 GT und Daytona waren es zuletzt die V12-Boliden 550 Maranello (1999–2001) oder 599 (2006–13). Der F12 ist jedoch keine Weiterentwicklung, sondern die komplett neu konstruierte Interpretation eines Supersportwagens, mit dem sich mühelos längere Distanzen überwinden lassen. Nicht überwinden mussten wir uns bei der Frage, ob wir den Zweisitzer der edlen Fiat-Tochter einmal ausprobieren wollten: Einer muss es ja tun, also sagten wir zu.

Der Italo-GT kennt nur wenige layouttechnisch ähnlich konzipierte Konkurrenten. Den Aston Martin Vanquish mit 573 PS vielleicht, die neue 455-PS-Corvette C7 (nicht lachen!) oder einen Mercedes SLS AMG mit 571 PS. Dass der Ferrari seine sagenhafte Kraft ohne Aufladung generiert, macht ihn umso faszinierender. Nun sind derartige Hochleistungsfahrzeuge nicht immer sozialverträglich, besonders in einem Tempo-120-Land, das Fahrspass streng verboten hat. Und wenn dann noch ein Cavallino rampante auf dem Auto prangt, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Liebe oder Hass. Das spürt man als Gastfahrer sofort an den Reaktionen. Die gibt es reichlich – vom erhobenen Daumen meist jüngerer Männer bis hin zur demonstrativen Ablehnung mit strenger Miene und steifem Nacken, um jedweder Versuchung des Doch-noch-hinsehen-Müssens muskulös vorzubeugen. Lustig sind auch jene Oberstudienräte, die auf der linken Spur ihre Tachos in genau dem Moment kalibrieren müssen, wenn der F12 vorbeigrummeln will. In einem Ferrari bist du nie alleine, das muss man als Kaufinteressent wissen. Und so ist die Beherrschung des Gasfusses eine wesentliche Tugend, weil die Karre in nur 3,1 Sekunden auf Tempo 100 und in 8,5 Sekunden auf 200 Sachen beschleunigen kann.

Ein alltagstaugliches Vergnügen. Dabei muss man sich an Bord des F12 nicht verrenken: Die Vorzüge dieses Zweisitzers – und die wesentlichen Unterschiede zum hitzigen Mittelmotormodell 458 – sind seine Alltagstauglichkeit und der Komfort. Der Zweisitzer besteht übrigens aus einem Spaceframe-Chassis, über das sich das eingangs erwähnte Aluminiumkleidchen spannt. Es wirkt in natura grösser, als es tatsächlich ist, kommt von Pininfarina, erfüllt neben einem wohl dosierten Schuss Aggressivität auch höchste ästhetische Ansprüche und hat dazu ein paar technische Besonderheiten zu bieten. Die «Aero Bridges» etwa, die nicht nur den Abtrieb erhöhen, sondern auch die Luft ab Mitte der Motorhaube höflich in die Flanken umleiten, bevor sie auf die Frontscheibe treffen und dort Windgeräusche verursachen könnte. Oder zwei tief angeordnete Lüftungsklappen in der Bugpartie, die sich nur öffnen, falls die pizzagrossen Karbon-Keramik-Bremsscheiben bei scharfer Kurvenhatz mehr Kühlung benötigen. Hinten gibt es ein prägnantes Heck, dessen fixe Abrisskante bei hohem Tempo genug Abtrieb produziert, um auf weitere aerodynamische Hilfsmittel verzichten zu können. Dass der Supersportler leer gerade mal 1525 Kilo und damit 70 Kilo weniger wiegt als sein Vorgänger, kommt nicht nur dem Leistungsgewicht, sondern eben auch der Fahrkultur zugute. Das elektronisch justierbare, magnetorheologische Fahrwerk bügelt auf Knopfdruck gröbere Verwerfungen aus dem Asphalt. Zudem wird der Pilot von einer erstaunlich leichtgängigen Lenkung verwöhnt, die sehr präzise Manöver ermöglicht und sich erst bei zunehmender Geschwindigkeit verhärtet. Ich behaupte: Es ist die beste Lenkung, die man derzeit in einem Sportwagen haben kann.

Die Kabine ist erstaunlich geräumig und mit feinstem Poltrona-Frau-Leder ausgeschlagen. Man sitzt bemerkenswert tief, aber gut. Die offene Schaltkulisse gehört auch bei Ferrari inzwischen der Vergangenheit an: Sieben Gänge werden per Doppelkupplungsgetriebe sortiert, das man gemeinsam mit Getrag entwickelt hat und das die üppige Kraft entweder vollautomatisch oder per Lenkradwippenbefehl auf die 315er-Hinterräder schickt.

Das Cockpit ist ebenso geschmackvoll wie funktional ausgestattet; die Instrumente bestehen aus einem zentral angeordneten Drehzahlmesser – der rote Bereich liegt bei 8450 U/min – und zwei darum arrangierten Digitaldisplays, die sich individuell konfigurieren lassen und rechts auch das Infotainmentsystem (Bluetooth, Freisprechanlage, Bildschirmnavigation, Radio/USB) enthalten. Ein mit zehn Knöpfen bestücktes Lenkrad betont die Formel-1-Tradition des Hauses; mit dem kleinen Manettino unten rechts werden die Fahrprogramme Wet, Sport, Race abgerufen – oder gleich alle Stabilitätshilfen komplett deaktiviert.

Letzteres sollte man aber nur tun, wenn alle Sinne und Reflexe beieinander und die Strassen trocken sind: Ist der Automatikmodus abgeschaltet und lässt man die Gänge bis in den roten Bereich hochdrehen, wird der Ferrari F12 zum Tier und legt seine bei ziviler Gangart sehr guten Manieren ab. Die Fahrt wird dann zum Videospiel, die Beschleunigung ist irrwitzig, die Stabilität bemerkenswert und auch die Verzögerung atemberaubend. Langstrecken werden auf Kleinformat zusammengedampft.

Eigentlich zu billig. Ladies and Gentlemen, der F12 ist der Gipfel des derzeit Machbaren, und er transportiert die Herrlichkeit vergangener Vollgastage in die CO₂-fixierte Jetztzeit. Dass das Vollblut im Galopp trotz Direkteinspritzung über 20 Liter benötigt und 350 Gramm pro Kilometer emittiert, ist der Physik geschuldet und sei hier ausnahmsweise mal verziehen: Wie viele Filets werden heute in veralteten Tiefkühltruhen gelagert? Das interessiert schliesslich auch niemanden, und dieses Ferrari-Modell wird schätzungsweise nur 3000-mal gebaut werden. Die Umweltbelastung hält sich also in akzeptablen Grenzen.

Dann ist es vorbei. «Mein» F12 muss zurück, und ich verlasse die Firmenzentrale per Taxi. Der Entzug schmerzt, zumal die Mietdroschke pro Kilometer kaum billiger zu sein scheint. Zurück im Alltagsauto, suchen meine Hände noch nach Tagen die Schaltwippen – und greifen ins Leere. So ist es eben, wenn man Aussergewöhnliches erlebt hat. Mir wird klar: Der grossartige F12 ist eigentlich viel zu billig. Und ich sollte mit der BILANZ-Redaktion dringend über eine Gehaltserhöhung sprechen.

Ferrari F12 Berlinetta: Supersport-Coupé mit zwei Sitzplätzen, Pininfarina-Karosserie, V12-Frontmittelmotor, Doppelkupplungsgetriebe und Heckantrieb.

  • L/H/B: 462/127,5/194 cm
  • Radstand: 272 cm
  • Hubraum: 6262 cm3
  • Leistung: 740 PS bei 8250 U/min
  • Drehmoment: 690 Nm bei 6000 U/min
  • Leergewicht: 1525 kg
  • 0–100 km/h: 3,1 Sek.
  • 0–200 km/h: 8,5 Sek.
  • V max.: 345 km/h
  • 100–0 km/h: 35 m
  • Verbrauch: 15 l
  • Preis: 326 500 Fr.