Wenn der neue Digitalchef von Volkswagen seine Vision von autonom fahrenden Autos ausschmückt, wird es feierlich. Die digitale Revolution im Auto soll der Menschheit Segen bringen: «Mehr Sicherheit, mehr Zeit und mehr Lebensqualität», versprach Johann Jungwirth am Vorabend der Automesse in Genf. Im Schnitt bringe jeder 37'688 Stunden im Auto zu, ein Grossteil davon gestresst im Stau oder auf Parkplatzsuche. «Wir werden den Menschen diese Zeit zurückschenken», sagte Jungwirth. Nichts geringeres als das Auto und die Mobilität neu zu erfinden, hat sich Volkswagen vorgenommen. Die Autoindustrie steckt mit der Digitalisierung in einem tiefen Umbruch.

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«Digitale Dienste im Auto sind alternativlos»

Begeisterung für Pferdestärken, Hubraum oder Beschleunigung wird bei Autofahrern zunehmend vom Wunsch nach Dauer-Zugang zum Internet, nach Assistenzsystemen für Service, Sicherheit oder Spass abgelöst. «Digitale Dienste im Auto sind alternativlos. Der Kunde erwartet das, besonders wenn er jünger ist», sagt Autoexperte Klaus Schmitz von der Unternehmensberatung Arthur D. Little. Navigation, Telefonieren oder E-Mails sind längst selbstverständlich.

Doch wohin die Reise für Hersteller wie Daimler, BMW oder Audi künftig geht, ist offen. «Bei digitalen Diensten ist die Autobranche noch in der Such- und Findungsphase», sagt Michael Zimmermann von der Beratungsfirma Altran. «Wichtig ist, einen echten Mehrwert für den Kunden zu schaffen.»

BMW schlägt Fahrrad, Bahn oder Auto vor

BMW tüftelt daran, dem Kunden künftig per Smartphone je nach Entfernung, Tageszeit, Wetter oder Ziel vorzuschlagen, ob er besser mit Fahrrad, Bahn oder Auto fahren soll. Der Gewinnbeitrag von Mobilitätsdiensten wird nach Einschätzung von BMW-Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich zunächst jedoch gering sein. «Wir haben erstmal die dringende Aufgabe, damit unser Geschäftsmodell zu erhalten und das bisherige Ergebnis zu sichern», sagte er im Reuters-Interview.

Einen nahtlosen Übergang von einem Verkehrsmittel zum anderen bietet der Erzrivale Daimler mit seiner Plattform «Moovel» schon länger. Fährt der Kunde Mercedes, wollen ihm die Schwaben laut Werbeslogan «mehr Zeit pro Stunde» liefern. Informationen über Benzinpreise an nahe gelegenen Tankstellen oder über Gebühren auf verschiedenen Parkplätzen sollen Zeit und Geld sparen. Man dürfe den Kunden aber nicht mit Daten überschwemmen, erklärte Daimler Digitalchef Sajjad Khan in München. Unverlangte Informationen zu Restaurants könnten fehl am Platze sein: «Ich muss nicht wissen, welches Schnitzel auf der Karte steht, wenn ich schon beim Mittagessen war.»

Berater sehen Billionen-Markt

Die hohen Investitionen in neue Ideen und vor allem die nötige Software dürften sich für die Autobauer langfristig lohnen, prophezeien Unternehmensberater. Mit 1,5 Billionen Dollar Umsatzpotenzial könnten neue digitale Dienste 2030 fast ein Viertel des Gesamtumsatzes der Branche ausmachen, heisst es in einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey.

Autoexperten gehen davon aus, dass sich mit Fahrerassistenzsystemen für mehr Sicherheit nicht viel verdienen lässt. Die Anforderungen der Behörden seien hoch, der Aufwand gross. «Entertainment lässt sich kostengünstiger anbieten», sagt Zimmermann von Altran. Nach einer Befragung von Accenture wären fast zwei Drittel der Kunden bereit, für Information oder Unterhaltung extra zu bezahlen. Für Funktionen eines mobilen Büros wie Mails vorlesen lassen oder diktieren würde nur jeder Zweite etwas ausgeben. Auch für Echtzeit-Informationen zum Verkehr oder zur Parkplatzsuche gebe es Zahlungsbereitschaft, erklärte Accenture-Berater Gabriel Seiberth.

Tech-Unternehmen versus Autobauer

Um all diese Angebote wird nach Einschätzung der Berater ein harter Kampf zwischen den traditionellen Autobauern und den Profis für digitale Dienste, den Internet- und IT-Konzernen, entbrennen. Die Tech-Unternehmen seien den Autoherstellern bei der Personalisierung und Auswertung von Daten eine halbe Ewigkeit voraus, erklärte Accenture-Experte Seiberth. «Ein wesentlicher Vorteil der Internetunternehmen ist, dass ihre Angebote bereits einen festen Platz im Alltag der Nutzer haben und fast den gesamten Tagesablauf abdecken.»

Die Relevanz der Autohersteller beschränke sich dagegen auf den kurzen Zeitraum im Fahrzeug. Sein Kollege Schmitz von Arthur D. Little sieht dagegen die Autobauer in einer starken Position, weil sie die Bedürfnisse ihrer Kunden sehr gut verstünden. «Wer das Spiel gewinnt, ist offen», ergänzte er.

(reuters/ccr)

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