Herr Straumann, das neue Banken-Regularium Basel III final ist eine Reaktion auf die Finanzkrise von 2007/2008. Mittlerweile schreiben wir aber das Jahr 2024. Kommt so ein Regularium also nicht viel zu spät?

Nein, Basel III kam wenige Jahre nach der Finanzkrise, und die Schweizer Banken haben es bereits 2013 implementiert. Neu ist nur die Verschärfung – eben Basel III final.

Warum war die Einführung von Basel III überhaupt nötig?

Weil Basel II höchst schädlich war und viel zur Finanzkrise beigetragen hat. Basel II hat die Kapitalstandards durch die internationale Harmonisierung stark heruntergesetzt. Bei einer Harmonisierung setzt sich immer der tiefste Standard durch, weil es dort mehr Konsens gibt.

Ausserdem wurden die Berechnungsmodelle den Banken überlassen. Die Regulatoren hatten keine Ahnung, wie die Banken genau ihre Risiken gewichteten.

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Lassen Sie uns einen etwas breiteren Blick auf die Idee werfen, Banken zu regulieren. Welche Meilensteine gab es?

1974 gab es die Herstatt-Krise, bei der eine deutsche, relativ kleine Bank, die vor allem im Devisenhandel tätig war, untergegangen ist. Davon waren viele Banken diesseits und jenseits des Atlantiks betroffen. Weil die deutschen Behörden ohne Absprache handelten, kam es zu chaotischen Verhältnissen auf den internationalen Finanzmärkten. So kam der Wunsch auf, sich abzusprechen, wenn etwas passiert, damit alle gleichzeitig den gleichen Informationsstand haben. Das war dann durch Basel I der Fall.

Basel I machte zudem Eigenkapitalvorschriften, aber es kam noch nicht zu einer grossen Senkung. Erst mit Basel II wurden die Eigenkapitaldecken der internationalen Grossbanken enorm dünn. 

Das ist gewissermassen typisch: Es gibt ein Problem, es wird verhandelt, und dann mischen sich alle möglichen Interessengruppen ein. Und am Schluss kommt etwas raus, das nicht im Sinne der ursprünglichen Absicht war. Die Finanzkrise zeigte auch, dass Basel II nicht gut war. 

Basel III war dann deutlich ausgebauter, wie konnte es dennoch sein, dass vor einem Jahr die CS unterging – hätte das mit noch besseren Regularien verhindert werden können?

Ich glaube nicht, dass die Regularien das Hauptproblem waren. Die CS war einfach eine schlecht geführte Bank. 

Selbst wenn die Eigenkapitalanforderungen verschärft werden, kann man nicht ausschliessen, dass grosse Banken Probleme bekommen. Ich fände es dennoch wichtig, dass alle internationalen Grossbanken noch höheres Eigenkapital haben.

Fokus Reformpaket:

Das Reformpaket Basel III final soll eine Antwort auf die Finanzkrise von 2007/2008 sein. Es betrifft die Banken weltweit und ab 2025 auch die Schweiz. Aus diesem Grund möchte HZ Banking verschiedene Ausprägungen des Reformpakets beleuchten und in lose erscheinenden Teilen dessen verschiedene Auswirkungen betrachten. Der erste Teil handelte von der Auswirkung des Pakets auf die Schweizer Banken.

 

Das bedeutet, Basel III final bietet wahrscheinlich das Maximum an Sicherheit, das mit Regularien erreicht werden kann?

Ja, im Moment sieht es so aus. Aber das kann sich wieder ändern, wenn es zu einer neuen Finanzkrise kommt. Es wäre gut, wenn die internationalen Eigenkapitalvorschriften weiter verschärft würden.

Könnten solche Regularien wie Basel III final zukünftige Finanzkrisen abschwächen oder verhindern?

Finanzkrisen kann es immer wieder geben, egal, wie gut das System reguliert wird. Und auch der Staat muss in einer Krise in irgendeiner Form mithelfen. Das musste er ja auch bei der CS. 

Um Krisen zu verhindern, müsste das Finanzsystem völlig anders aussehen. Es bräuchte ganz strenge Kontrollen des internationalen Kapitalverkehrs und der Kreditpolitik der Banken, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg existierten. Aber das ist utopisch, denn wir befinden uns heute in einer anderen Situation.

Die Basel-Regularien im historischen Überblick:
  • Basel I: 1988 als Reaktion auf die Herstatt-Bankkrise beschlossen
  • Basel II: 2004 beschlossen
  • Basel III: 2010 als Reaktion auf die Finanzkrise von 2007 und 2008 beschlossen
  • Basel III final: In der Schweiz ab 2025 gültig



 

Ganz naiv gefragt: Gibt es denn gar keine Möglichkeit, Finanzkrisen vorzubeugen? 

Es liegt in der Definition einer Krise, dass sie sich nicht voraussehen lässt. Auch wenn sich im Nachhinein ein Muster erkennen lässt, kommt die Krise immer wieder von einer anderen Seite. Zum Teil spielt auch Pech eine Rolle. Es kann ja auch sein, dass politische Ereignisse wie der Bankrott eines Landes vorkommen. Etwa der Bankrott Deutschlands in den 1930er-Jahren. Wir sollten uns darauf konzentrieren, wie man Krisen schnell eindämmen kann, denn verhindern lassen sie sich nicht. 

Nach der Finanzkrise von 2007 und 2008 wurde dieses Narrativ viel zu stark verbreitet, dass gute Regulierungen eine Staatsintervention bei einer Bankenkrise unnötig machen. Das hat falsche Erwartungen geweckt und entsprechend wütende Reaktionen hervorgerufen.

 

Zur Person Tobias Straumann:

Tobias Straumann ist Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Zürich und Leiter des MAS in Applied History. Sein Spezialgebiet ist die europäische Finanz- und Währungsgeschichte. Seine letzte Publikation (zusammen mit Dagmar Schönig): «Paria inter Pares: Das Ende der Bank Wegelin», Stämpfli Verlag, Bern 2023.

Bei all diesen Regularien und Krisen spielen die USA eine zentrale Rolle. Auch die Diskussion um die Umsetzung von Basel III final wird in den USA deutlich kontroverser geführt. Lässt sich das aus historischer Sicht erklären? Haben die USA einfach ein anderes Verständnis von Banking und Risiko als der Rest der Welt?

Die USA halten sich häufig nicht an Abkommen, die sie selbst anstossen. Etwa an den internationalen Informationsaustausch oder an die OECD-Mindeststeuer für Unternehmen, welche die USA nicht übernehmen. Das ist das Privileg einer Supermacht. Das Seltsame ist, dass sie damit meist durchkommen. Ich staune manchmal, dass die anderen Länder sich nicht weigern und sagen: Wir setzen etwas erst dann um, wenn die USA es auch umsetzen. Die EU ist da erstaunlich passiv. 

Zudem haben die USA historisch ein völlig anderes Finanzsystem. Die grossen Banken sind viel weniger aktiv im Hypothekenmarkt als die europäischen Banken. Bei Hypotheken muss eine Bank sehr viel Eigenkapital halten. Das ist einer der Hauptgründe, warum grosse amerikanische Banken sagen, sie brauchen nicht so viel Eigenkapital.

Lassen Sie uns zum Schluss nochmals zur Schweiz zurückkehren. Der Schweizer Finanzplatz rühmt sich häufig mit seiner Sicherheitsaffinität. Haben Regularien dazu beigetragen, dass der Schweizer Finanzplatz nach der Finanzkrise wieder als sicherer wahrgenommen wird?

Nein, das glaube ich nicht. Alle wissen, dass die Schweiz mit ihren Grossbanken seit langem Systemrisiken besitzt. Was die Schweiz aber immer noch hat, sind extrem stabile Rahmenbedingungen – die politische Stabilität, der Schweizer Franken, die gesunden Staatsfinanzen, der soziale Frieden und eine gute Infrastruktur. 

Die grosse Änderung der jüngsten Zeit ist der Wegfall des Bankgeheimnisses für ausländische Kundinnen und Kunden. Der Finanzplatz Schweiz hat dadurch an internationaler Ausstrahlung verloren.

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