Der Euro ist ein Erfolgsmodell. Seine Einführung im Jahr 2002 führte zur grössten Bargeldumstellung der Geschichte und heute ist es eine Selbstverständlichkeit, dass wir in Deutschland, Österreich, Italien, Spanien oder Frankreich in derselben Währung bezahlen können.
Nun wagen sich die europäischen Behörden an ein weiteres ambitioniertes Projekt heran: Sie wollen den Euro digitalisieren. Mit diesen Bemühungen stehen sie nicht allein. Das Aufkommen dezentraler Privatwährungen wie Bitcoin, der gescheiterte globale Stablecoin von Facebook oder das neue Stablecoin-Projekt von Paypal wirken als Katalysator für Zentralbanken weltweit, die Möglichkeiten zur Digitalisierung von Bargeld zu prüfen.
Die drei Ebenen der digitalen Euro-Einführung
Das europäische Projekt ist besonders weit fortgeschritten: Tests wurden durch die Europäische Zentralbank durchgeführt und es zirkulieren bereits Regulierungsentwürfe für die neue digitale Währung. Diese zeigen detailliert auf, wie der digitale Euro ausgestaltet und unter die Leute gebracht werden soll. Zu unterscheiden sind dabei drei Ebenen.
Erste Ebene: Das gesetzliche Zahlungsmittel
Die erste Ebene betrifft die Qualifikation der Währung als gesetzliches Zahlungsmittel. Ein gesetzliches Zahlungsmittel zeichnet sich dadurch aus, dass es zur Tilgung von Geldschulden zum vollen Nennwert angenommen werden muss. Damit wird für die Wirtschaftsteilnehmer Sicherheit geschaffen, dass sie in einem Land mit dem fraglichen Zahlungsmittel ihre Schulden begleichen können.
Der digitale Euro soll diese Voraussetzung wie sein analoges Pendant erfüllen. Dazu gehört auch, dass er grundsätzlich allen Personen für eine Bezahlung offenstehen wird. Der digitale Euro soll also als Retail CBDC – das heisst als Zentralbankengeld für alle – ausgestaltet werden. Allerdings sieht der Verordnungsentwurf Einschränkungen vom Annahmezwang vor, die weiter gehen als jene für traditionelles Bargeld. Insbesondere müssen kleine Unternehmen und Privatpersonen keine Zahlungen in digitalen Euros annehmen. Dadurch wird ein signifikanter Anteil des Gesamtvolumens an Transaktionen nicht vom digitalen Euro als gesetzlichem Zahlungsmittel profitieren.
Zweite Ebene: Die Zahlungsinfrastruktur
Die zweite Ebene richtet sich auf die Ausgestaltung der Zahlungsinfrastruktur. In der Diskussion um die Ausgestaltung von digitalem Zentralbankengeld wird zwischen zentralen und dezentralen Systemen unterschieden. Diese Terminologie ist geprägt durch den mit Bitcoin begründeten Trend hin zu privaten dezentralen Zahlungssystemen, bei denen organisatorisch und technisch weitgehend unabhängige Akteure ein Zahlungssystem betreiben und der Öffentlichkeit bereitstellen.
Demgegenüber stehen konventionelle, zentralisierte Systeme, bei welchen ein zentraler Akteur die autoritative Buchführung und damit das Settlement übernimmt. Während die Nutzer in einer zentralen Architektur dieser zentralen Instanz vertrauen müssen, verlassen sie sich in dezentralen Infrastrukturen auf ein Quorum der Teilnehmer.
Der digitale Euro versucht, die Effizienz einer zentralen Infrastruktur mit den Vorteilen eines zumindest teilweise dezentralen Zahlungsmechanismus zu verbinden.
Die Nutzer können digitale Euros nämlich einerseits online beziehen und überweisen. Der technologische Aufbau folgt dabei dem traditionellen Bankensystem: Das Kernsystem, die «digital Euro settlement infrastructure», ist der EZB zuzurechnen und wird vom Eurosystem eingerichtet und betrieben.
Weiter werden Zahlungsdienstleister mandatiert, digitale Euro-Konten zur Verfügung zu stellen und digitale Euros zu verteilen. Das Onboarding erfolgt dabei über zwei zentralisierte Mechanismen. Zum einen wird der Account-Inhaber durch den Zahlungsdienstleister identifiziert. Zum anderen ist zur Nutzung aller Funktionen eines digitalen Euro-Kontos ein bestehendes Zahlungskonto bei einem Zahlungsdienstleister verpflichtend notwendig. Wird der digitale Euro durch den Nutzer online genutzt, werden die Transaktionen unter zwingendem Einbezug der jeweiligen Zahlungsdienstleister ausgeführt.
Andererseits können Nutzer mit bestehendem digitalem Euro-Konto digitale Euros aber auch zur Offline-Nutzung entnehmen, indem sie den Wert auf den Offline-Träger – beispielsweise ein Mobiltelefon – verschieben. Bankomaten stellen die Parallele zu dieser Konvertierung zwischen Online- und Offline-Version des digitalen Euros dar. Der Erstbezug erfolgt zwar auch hier über das digitale Online-Euro-System. Nachfolgende Transaktionen erfolgen jedoch Peer-to-Peer ohne verpflichtende Einbeziehung eines Dritten, also dezentral.
Dritte Ebene: Die Privatsphäre
Die dritte Ebene betrifft die Privatsphäre bei Überweisungen in digitalen Euros. Diverse Machbarkeitsstudien zum digitalen Euro identifizieren ein hohes Bedürfnis an Datenschutz bei den zukünftigen Nutzern der Währung. Diesem Bedürfnis stehen zunehmend stringentere Anforderungen aus der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung gegenüber.
In diesem Spannungsfeld lässt sich für die Ausgestaltung von Zentralbankengeld die folgende Gleichung formulieren: Mit steigendem Datenschutzniveau einer digitalen Währung verringern sich die Möglichkeiten zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung – und umgekehrt.
Der Regulierungsentwurf zum digitalen Euro unterscheidet auch betreffend Datenschutz zwischen der Online- und der Offline-Variante. Bei der Online-Variante sind die Zahlungsdienstleister befugt und verpflichtet, neben der zur Erbringung der Services notwendigen Datenverarbeitung auch umfangreiche Massnahmen zur Bekämpfung der Geldwäsche umzusetzen.
Bei der Offline-Variante des digitalen Euros sind die Möglichkeiten und Befugnisse der Zahlungsdienstleister dagegen eingeschränkt. Im Wesentlichen erhalten sie bei diesem Transaktionstyp nur Zugriff auf die Finanzierungs- und Abbuchungsdaten der Nutzer. Diese Daten sind vergleichbar mit den personenbezogenen Informationen, die von den Zahlungsdienstleistern bei Ein- oder Auszahlungen von Bargeld erfasst und gespeichert werden. Daten über die einzelnen Offline-Zahlungen zwischen den Nutzern werden weder durch die Zahlungsdienstleister noch durch die Zentralbank erfasst.
Die beschriebene Parallelität von Online- und Offline-Variante lässt sich darauf zurückführen, dass der digitale Euro mit Kritik aus zwei Lagern konfrontiert wird: Auf der einen Seite stehen jene, die den digitalen Euro als destabilisierend für den bestehenden Geldkreislauf und die Rolle der Banken bezeichnen. Ihnen versucht der Gesetzgeber mit einer breiten Einbindung der heutigen Zahlungsdienstleister und einer Höchsthaltegrenze für den digitalen Euro entgegenzukommen.
Auf der anderen Seite finden sich jene Kritiker, welche die Lancierung des digitalen Euros mit dem Verlust jeglicher Privatsphäre der Nutzer vor den staatlichen Behörden gleichsetzen. Der Gesetzgeber begegnet diesen Befürchtungen mit dem Offline-Euro und dessen bargeldnahen Eigenschaften.
Noch viele offene Fragen
Ob der vorgeschlagene Kompromiss dazu führt, dass sich der digitale Euro bei seiner allfälligen Einführung gegenüber den bestehenden Zahlungsmöglichkeiten zu behaupten vermag, oder ob die Vermischung von Online- und Offline-Elementen zum Bumerang wird, hängt massgeblich von der Umsetzung des Regulierungsvorschlags ab. Hier bestehen noch viele offene Fragen. So muss die Zentralbank aufzeigen, dass sie auch bei der Online-Variante tatsächlich keine Kenntnis der einzelnen Zahlungen der Nutzer hat. Weiter ist offen, wie die Zahlungen in der Offline-Variante technisch ausgestaltet sein werden und wie sich die Beschränkung der Annahmepflicht sowie die Höchsthaltegrenze in der Praxis auswirken werden.
Damit der digitale Euro in die Champions League des digitalen Zahlungsverkehrs vorstösst, müssen diese Fragen transparent und verständlich adressiert werden. Bleiben überzeugende Antworten aus, wird der digitale Euro weder dem herkömmlichen Bargeld noch den digitalen Alternativen privater Zahlungsanbieter so bald den Rang ablaufen.
Der Beitrag basiert auf Christian Sillaber/Mirjam Eggen, Der Digitale Euro: «Ein (fast) perfektes Bargeldäquivalent?», RDi Heft 11/2023, S. 503-510. Für weitere Informationen siehe hier.